Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Tausenden ukrainischen Soldaten droht Einkesselung
Russische Truppen haben Sjewjerodonezk und Lyssytschansk nahezu komplett umzingelt, fast 5000 ukrainischen Kämpfer fehlt der Fluchtweg
Im ostukrainischen Gebiet Luhansk droht ukrainischen Truppen südlich der strategisch wichtigen Stadt Lyssytschansk akut die Einkesselung durch russische Einheiten. „In Richtung Sjewjerodonezk hat der Gegner die Siedlungen Loskutiwka, Raj-Olexandriwka erobert“, teilte der ukrainische Generalstab am Donnerstag mit. Damit steht den ukrainischen Einheiten um die Bergarbeitersiedlung nur noch maximal ein Schlauch von vier Kilometern Breite für den Rückzug zur Verfügung. Nach Angaben britischer Geheimdienste zogen sich einige ukrainische Truppen zurück.
Nach Angaben der Separatisten wird allerdings auch dieser bereits von den russischen Einheiten kontrolliert. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht. Dem Vertreter der Luhansker Separatisten in Moskau, Rodion Miroschnik, zufolge haben die russischen Truppen zudem die letzte Verbindungsstraße von Lyssytschansk nach Westen gekappt. Damit sind laut seinen Schätzungen mindestens 5000 ukrainische Soldaten eingekesselt.
Schwere Kämpfe toben auch südlich des weitgehend von den Russen eroberten Sjewjerodonezks. Sjewjerodonezk und Lyssytschansk sind die letzten noch unter ukrainischer Kontrolle stehenden größeren Städte im Luhansker Gebiet. Die Eroberung
von Luhansk – ebenso wie die des Gebiets Donezk – zählt zu Russlands Hauptzielen im vor vier Monaten begonnenen Krieg gegen das Nachbarland.
Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, berichtete von „katastrophale Zerstörungen“durch „sehr schwerem Beschuss“auch aus der Luft. Auch Wohnhäuser in der Nähe der Polizeiwache seien getroffen worden.
Angriffe gab es zudem in Mykolajiw im Süden des Landes. Am Hafen sind laut den Betreibern zwei Getreidelagerterminals durch Russland bombardiert worden. Bei dem Angriff sei ein Mensch leicht verletzt worden, sagte ein Sprecher des
Konzerns Viterra. Zwei Silos seien in Brand geraten, ein drittes sei beschädigt worden.
Die russischen Fortschritte seien wahrscheinlich ein Ergebnis jüngster Verstärkungen, hieß es in einem
Tweet des Verteidigungsministeriums in London. Trotz des starken Drucks, den die russischen Truppen auf den Kessel von Lyssytschansk und Sjewjerodonezk ausübten, seien die Bemühungen, eine tiefere Einkreisung der westlichen Donezk-Region zu erreichen, aber weiterhin festgefahren.
Mit Blick auf mögliche Verhandlungen besteht der Kreml auf all seinen Forderungen. Ein Friedensplan sei möglich, aber erst wenn Kiew alle Forderungen erfüllt habe, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge, ohne Details zu nennen. Öffentlich geäußerte Forderungen Moskaus sind etwa eine Anerkennung der Separatistengebiete
Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten sowie der 2014 annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim als russisches Staatsgebiet. Selenskyj wiederum hatte kürzlich die Rückeroberung der Krim und des Donbass als Ziel Kiews formuliert.
Aktive Verhandlungen über einen Friedensschluss hatte es zuletzt Ende März in Istanbul gegeben. Seither sprechen beide Kriegsparteien nur noch über Teillösungen wie den Austausch von Toten oder Kriegsgefangenen – nicht aber über eine Beendigung des Kriegs. An den auf Eis liegenden Verhandlungen geben sie sich gegenseitig die Schuld. dpa/afp