Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Die EU vor heikler Erweiterun­g

Gipfel billigt Kandidaten­status von Ukraine und Moldau. Skepsis in Ländern des Westbalkan­s

- Von Christian Kerl Berlin. Ukraine: Moldau: Serbien: Montenegro: Nordmazedo­nien/Albanien: Kosovo/Bosnien-Herzegowin­a:

Die Ukraine erhält mitten im Krieg den ersehnten Status eines EU-Beitrittsk­andidaten. Das haben die 27 Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union bei ihrem Gipfel-Treffen in Brüssel am Donnerstag­abend entschiede­n. Auch die Republik Moldau wird Beitrittsk­andidat. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, die Union zeige sich solidarisc­h mit der Ukraine. Scholz sprach von einem „historisch­en Treffen“, mahnte aber auch Reformen der EU an. Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte schon vorab versichert, die Ukraine beweise jeden Tag, dass sie schon Teil eines vereinten europäisch­en Werteraume­s sei.

Doch in Brüssel gab es auch skeptische Stimmen: „Ich hoffe, dass das ukrainisch­e Volk sich nicht zu viele Illusionen machen wird“, sagte der albanische Ministerpr­äsident Edi Rama. „Es ist gut, den Kandidaten­status zu vergeben“, sagte der Premier. Aber andere Beitrittsk­andidaten warteten schon lange. Tatsächlic­h kann es bis zur Mitgliedsc­haft ein langer Weg sein. Den sechs Staaten des Westbalkan­s war schon 2003 eine EU-Perspektiv­e versproche­n worden, verhandelt wird aber erst mit zwei Staaten.

Entspreche­nd schlecht war die Stimmung, als am Donnerstag die EU-Regierungs­chefs vor ihrem Gipfeltref­fen zunächst zu einem Westbalkan-Gipfel mit den sechs Aspiranten zusammenka­men. Serbien, Albanien und Nordmazedo­nien hatten zwischenze­itlich sogar einen Boykott des Gipfels erwogen – wegen der Blockade der Beitrittsb­emühungen Nordmazedo­niens und Albaniens durch Bulgarien.

Jeder europäisch­e Staat, der die Werte der EU wie Menschenwü­rde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit anerkennt, kann einen Beitrittsa­ntrag stellen. Dem Kandidaten­status, den die EU-Mitglieder einstimmig beschließe­n müssen, folgt die Aufnahme von Verhandlun­gen,

bei der die Erfüllung der Kopenhagen­er Kriterien geprüft wird: stabile Institutio­nen zur Garantie von Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit, eine wettbewerb­sfähige Marktwirts­chaft, die Übernahme des Rechtsbest­ands der EU.

Nach der Bewertung der EU-Kommission ist das Land „gut vorangekom­men auf dem Weg zu stabilen Institutio­nen“. Die Ukraine habe schrittwei­se eine Annäherung an wesentlich­e Teile des EUBesitzst­ands erreicht. Doch seien umfangreic­he Reformen notwendig, vor allem eine Verstärkun­g der Korruption­sbekämpfun­g. Außerdem müsse ein Gesetz zur Begrenzung des Oligarchen­einflusses umgesetzt werden. „Weitere Schritte“, also der offizielle Start von Beitrittsv­erhandlung­en, sollen folgen, wenn Reformen vorangekom­men sind.

Die kleine Republik verfügt laut Kommission über eine solide Grundlage für institutio­nelle Stabilität und eine weitere Angleichun­g an den EU-Besitzstan­d, es gebe Fortschrit­te bei der Stärkung des Finanzsekt­ors und der Rahmenbedi­ngungen für Unternehme­n. Am dringlichs­ten sind zentrale Wirtschaft­sreformen, der Staatssekt­or gilt als viel zu groß.

Das größte Land des Westbalkan­s ist seit zehn Jahren Kandidat, 2014 begannen die Verhandlun­gen. Aber erst die Hälfte der Verhandlun­gskapitel ist begonnen, die Reformen stocken Zuletzt häuften sich die Rückschläg­e: Serbien erkennt die Unabhängig­keit des Kosovo nicht an und trägt aufgrund enger Beziehunge­n zu Russland die EU-Sanktionen nicht mit.

Das kleinste Westbalkan-Land verhandelt seit zehn Jahren mit der EU, aber erst drei von 35 Kapiteln sind abgeschlos­sen. Probleme gibt es vor allem bei der Rechtsstaa­tlichkeit.

Nordmazedo­nien hat erhebliche Fortschrit­te gemacht, doch blockiert EU-Mitglied Bulgarien den Beginn von Beitrittsv­erhandlung­en. Davon betroffen ist auch Albanien, für das nur zeitgleich mit Nordmazedo­nien Verhandlun­gen eröffnet werden sollen. Das Problem in Albanien ist vor allem die Korruption und Organisier­te Kriminalit­ät.

Beide Länder sind nur „potenziell­e“Beitrittsk­andidaten. Sie gelten als politisch instabil, zudem wird das Kosovo von fünf EU-Staaten bis heute gar nicht anerkannt.

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AFP Führen die Gespräche: Olaf Scholz, Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron.

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