Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Die EU vor heikler Erweiterung
Gipfel billigt Kandidatenstatus von Ukraine und Moldau. Skepsis in Ländern des Westbalkans
Die Ukraine erhält mitten im Krieg den ersehnten Status eines EU-Beitrittskandidaten. Das haben die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bei ihrem Gipfel-Treffen in Brüssel am Donnerstagabend entschieden. Auch die Republik Moldau wird Beitrittskandidat. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, die Union zeige sich solidarisch mit der Ukraine. Scholz sprach von einem „historischen Treffen“, mahnte aber auch Reformen der EU an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte schon vorab versichert, die Ukraine beweise jeden Tag, dass sie schon Teil eines vereinten europäischen Werteraumes sei.
Doch in Brüssel gab es auch skeptische Stimmen: „Ich hoffe, dass das ukrainische Volk sich nicht zu viele Illusionen machen wird“, sagte der albanische Ministerpräsident Edi Rama. „Es ist gut, den Kandidatenstatus zu vergeben“, sagte der Premier. Aber andere Beitrittskandidaten warteten schon lange. Tatsächlich kann es bis zur Mitgliedschaft ein langer Weg sein. Den sechs Staaten des Westbalkans war schon 2003 eine EU-Perspektive versprochen worden, verhandelt wird aber erst mit zwei Staaten.
Entsprechend schlecht war die Stimmung, als am Donnerstag die EU-Regierungschefs vor ihrem Gipfeltreffen zunächst zu einem Westbalkan-Gipfel mit den sechs Aspiranten zusammenkamen. Serbien, Albanien und Nordmazedonien hatten zwischenzeitlich sogar einen Boykott des Gipfels erwogen – wegen der Blockade der Beitrittsbemühungen Nordmazedoniens und Albaniens durch Bulgarien.
Jeder europäische Staat, der die Werte der EU wie Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit anerkennt, kann einen Beitrittsantrag stellen. Dem Kandidatenstatus, den die EU-Mitglieder einstimmig beschließen müssen, folgt die Aufnahme von Verhandlungen,
bei der die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien geprüft wird: stabile Institutionen zur Garantie von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, eine wettbewerbsfähige Marktwirtschaft, die Übernahme des Rechtsbestands der EU.
Nach der Bewertung der EU-Kommission ist das Land „gut vorangekommen auf dem Weg zu stabilen Institutionen“. Die Ukraine habe schrittweise eine Annäherung an wesentliche Teile des EUBesitzstands erreicht. Doch seien umfangreiche Reformen notwendig, vor allem eine Verstärkung der Korruptionsbekämpfung. Außerdem müsse ein Gesetz zur Begrenzung des Oligarcheneinflusses umgesetzt werden. „Weitere Schritte“, also der offizielle Start von Beitrittsverhandlungen, sollen folgen, wenn Reformen vorangekommen sind.
Die kleine Republik verfügt laut Kommission über eine solide Grundlage für institutionelle Stabilität und eine weitere Angleichung an den EU-Besitzstand, es gebe Fortschritte bei der Stärkung des Finanzsektors und der Rahmenbedingungen für Unternehmen. Am dringlichsten sind zentrale Wirtschaftsreformen, der Staatssektor gilt als viel zu groß.
Das größte Land des Westbalkans ist seit zehn Jahren Kandidat, 2014 begannen die Verhandlungen. Aber erst die Hälfte der Verhandlungskapitel ist begonnen, die Reformen stocken Zuletzt häuften sich die Rückschläge: Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an und trägt aufgrund enger Beziehungen zu Russland die EU-Sanktionen nicht mit.
Das kleinste Westbalkan-Land verhandelt seit zehn Jahren mit der EU, aber erst drei von 35 Kapiteln sind abgeschlossen. Probleme gibt es vor allem bei der Rechtsstaatlichkeit.
Nordmazedonien hat erhebliche Fortschritte gemacht, doch blockiert EU-Mitglied Bulgarien den Beginn von Beitrittsverhandlungen. Davon betroffen ist auch Albanien, für das nur zeitgleich mit Nordmazedonien Verhandlungen eröffnet werden sollen. Das Problem in Albanien ist vor allem die Korruption und Organisierte Kriminalität.
Beide Länder sind nur „potenzielle“Beitrittskandidaten. Sie gelten als politisch instabil, zudem wird das Kosovo von fünf EU-Staaten bis heute gar nicht anerkannt.