Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Nur Gutes für alle“

Egon Krenz stand im Herbst 1989 für 50 Tage an der Spitze der DDR. Jetzt blickt er im ersten Band seiner Memoiren zurück auf die Anfänge

- Verena Schmitt-Roschmann Berlin. Egon Krenz, ehemaliger DDRStaatsu­nd Parteichef, läuft im Mai 2022 mit einer Nelke in der Hand über das Gelände des Ehrenmals im Treptower Park.

Es war ausgerechn­et die CDU, die den späteren DDR-Staatschef Egon Krenz in der Nachkriegs­zeit in die Politik brachte. Ein Ortsvorsit­zender namens Bayer in Damgarten in Mecklenbur­g-Vorpommern heuerte ihn als Schüler für fünf Mark im Monat für Botengänge an – Einladunge­n austragen, Spenden sammeln, Beiträge kassieren. Doch dann kam ein heikler Auftrag. Vor der Landtagswa­hl am 20. Oktober 1946 sollte der Neunjährig­e nachts Wahlplakat­e der Einheitspa­rtei SED überkleben. Als Krenz erwischt wurde, wollte der CDU-Mann von seiner Anstiftung nichts mehr wissen.

„So viel Verlogenhe­it hatte ich noch nicht erlebt“, schreibt der frühere Staats- und Parteichef im ersten von geplanten drei Bänden seiner Memoiren. „Egon Krenz – Aufbruch und Aufstieg – Erinnerung­en“erscheint am Montag (27.6.).

Und natürlich gibt es eine Moral zu der Geschichte von einst. Der Junge wurde einbestell­t zum örtlichen SED-Vertreter, der ihn beim Überkleben der Plakate erwischt hatte. „Ich hatte die Hosen gestrichen voll“, gesteht Krenz. „Er war jedoch milde.“Der nette Mann erklärte dem Steppke, dass die SED „nur Gutes für alle“wolle, und bot ihm seinerseit­s einen Job als Austräger der Parteizeit­ung.

Und so nahm die Geschichte ihren Lauf. Der 1937 im damaligen

Kolberg – dem heutigen Kołobrzeg in Polen – geborene Krenz lässt im Buch über seine Herkunft und Jugend bis zum Aufstieg in die SEDFührung keinen Zweifel, wer für ihn die Guten sind. Ein russischer Soldat, der ihm nach der Flucht mit seiner Mutter nach Damgarten Lebensmitt­el schenkte. Die SED, die ihn förderte. Der sozialisti­sche Staat, der ihm Heimat und Lebensaufg­abe wurde. Krenz, der eigentlich Journalist werden wollte, dann Lehrer, folgte denn auch dem Ruf der Partei – so stellt er es selbst dar. Nach Wehrdienst und Studium in Moskau wurde er hauptamtli­cher Funktionär des Jugendverb­ands FDJ.

Klar auch, wer für Krenz die Bösewichte sind. Die deutsche Teilung und der Mauerbau? Erzwungen vom Westen: „Die Einführung der D-Mark (nach dem Zweiten Weltkrieg) markierte das Datum der eigentlich­en Spaltung Deutschlan­ds und seiner Hauptstadt Berlin. 1961 wurde durch die Warschauer Vertragsst­aaten

lediglich befestigt, wofür die Westmächte 1948 den Grundstein gelegt hatten.“Die Bundesregi­erung? Mit Nazis durchsetzt bis ins Umfeld von Kanzler Konrad Adenauer.

Westdeutsc­he Wirtschaft­skraft? Die DDR wurde ja auch „von Anfang an vom Westen boykottier­t. Wir mussten uns gegen Vorbehalte und Lügen behaupten.“

Das Buch ist über weite Strecken eine Verteidigu­ngsschrift des Mannes, der zu DDR-Zeiten als FDJFunktio­när bisweilen als „Berufsjuge­ndlicher“verspottet wurde, der nach der deutschen Einheit wegen der Toten an der Mauer im Gefängnis saß und bis heute von früheren Bürgerrech­tlern heftig angefeinde­t wird. Von Schießbefe­hl, Zwangsmaßn­ahmen, Ausreisesp­erren, Konsummang­el und Perspektiv­losigkeit in der DDR ist in seinem Buch nicht die Rede. Selbstkrit­ik gibt es allenfalls in homöopathi­schen Dosen.

Einige interessan­te Einblicke bieten diese Erinnerung­en dennoch, wenn Krenz aus dem Inneren der SED berichtet. Er bezieht sich dabei unter anderem auf ein Bündel teils handschrif­tlicher Notizen und Dokumente, die ihm der damals schon angeschlag­ene

Staats- und Parteichef Erich Honecker im Frühjahr 1989 zum Lesen gegeben habe. Da ist der jahrelange Machtkampf

Honeckers mit Walter Ulbricht, bei dem sich der sowjetisch­e Staatsund Parteichef Leonid Breschnew mal auf die eine, mal auf die andere Seite schlug. In diese Ränke ordnet Krenz auch die Ereignisse beim Besuch von Bundeskanz­ler Willy Brandt beim DDR-Regierungs­chef Willi Stoph 1970 in Erfurt ein.

Rätselhaft­e Vorgänge beim Brandt-Besuch in Erfurt

Die Menschen riefen „Willy, Willy, Willy“und „Willy Brandt ans Fenster“. Krenz rätselte: „Dass man in Erfurt nicht in der Lage gewesen sein sollte, auf dem Hotelvorpl­atz ein ‘staatstreu­es’ Publikum zu organisier­en, das die Brandt-Jubler hätte übertönen können, verstanden wir nicht.“

Und weiter: „Man musste schon sehr naiv sein, um anzunehmen, dass die Beifallsbe­kundungen für den westdeutsc­hen Gast spontan und die Rufer zufällig dort gewesen wären.“

Die Auflösung, zumindest nach Krenz’ Lesart: Die „Freunde aus Karlshorst“– dem Sitz des sowjetisch­en Geheimdien­sts KGB in der DDR – hätten den Zwischenfa­ll gewollt, und zwar um Ulbricht wegen Eigenmächt­igkeiten und zu großer Nähe zu Brandt abzumahnen.

Ähnlich zwiespälti­ge Signale aus Moskau beschreibt Krenz zu Brandts Ostpolitik. Einerseits habe Breschnew dem Bundeskanz­ler eine „Sozialdemo­kratisieru­ng der DDR“unterstell­t und die SED-Spitze

gewarnt. Anderersei­ts habe der KPdSU-Generalsek­retär den im Dezember 1972 unterzeich­neten Grundlagen­vertrag zur Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und der DDR gegenüber Honecker mit den Worten kommentier­t: „Das ist der Durchbruch, Erich!“Krenz selbst sieht die DDR übrigens auch hier vom Westen ungerecht behandelt: „Heutzutage ist es üblich, die Ostpolitik der SPD als Beitrag zur Entspannun­g zu loben. Den Beitrag der DDR nennt kaum jemand.“

Der erste Band der Krenz-Erinnerung­en endet 1973, aber nicht ohne Cliffhange­r. Da sinniert der Autor über sein Verhältnis zu Honecker, den er in den Wirren des Umbruchs im Oktober 1989 ablösen wird.

Das Schlusswor­t: „Honeckers kameradsch­aftliches Verhältnis zu mir beeindruck­te mich. Es war herzlich und produktiv. Das sollte sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, als Gorbatscho­w in Moskau das Ruder übernahm, ändern. Eine Freundscha­ft ging zu Ende.“Doch dazu später. dpa

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PAUL ZINKEN / DPA
 ?? ?? Egon Krenz: „Egon Krenz – Aufbruch und Aufstieg – Erinnerung­en“, Verlag Das Neue Berlin, 352 Seiten, 24 Euro
Egon Krenz: „Egon Krenz – Aufbruch und Aufstieg – Erinnerung­en“, Verlag Das Neue Berlin, 352 Seiten, 24 Euro

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