Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Wo die freie Meinungsäußerung endet
Lob für das Urteil im Zusammenhang mit Merkels Einlassungen zur Ministerpräsidentenwahl 2020
Ein Leser schreibt:
Das Bundesverfassungsgericht hat wieder mal, wie so oft in seiner Geschichte, geurteilt, wie man es gewohnt ist: weise, aber mit Ja, aber.
Eine Bundeskanzlerin darf zwar, wie alle mündigen Bundesbürger, ihre Meinung sagen, die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit gilt selbstverständlich auch für sie, aber wenn sie als Bundeskanzlerin spricht, hat sie das Gebot der politischen Neutralität zu achten und darf auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als sei sie in ihrer Amtsführung einseitig und gegenüber irgendjemandem voreingenommen. „Gerechtigkeit zu üben gegenüber jedermann“, so steht es der Eidesformel des Grundgesetzes, auf das sie vereidigt wurde.
Frau Merkel hat in ihrer Kommentierung der Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten durch den Landtag des Freistaats Thüringen diesen Grundsatz, der im Übrigen in allen Beamten- und Richtergesetzen des Bundes und der Länder steht, eindeutig und auch für einen juristischen Laien erkennbar, verletzt.
Die Wahl als „schwarzen Tag für die Demokratie“und – jetzt kommt das Entscheidende – als einen Vorgang zu bezeichnen, der wieder rückgängig gemacht werden sollte, geht über das erlaubte Maß der freien Meinungsäußerung einer amtierenden Bundeskanzlerin hinaus. Der klagende AfD-Politiker konnte zu Recht den Eindruck, wenn nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Bundeskanzlerin in ihrer Amtsführung gegenüber der AfD nicht mehr unvoreingenommen ist. Man mag über die AfD denken, wie man will, aber man sollte ihr durch unüberlegte Äußerungen nicht in die Hände spielen und sich auf dasselbe demokratische Niveau begeben, auf dem sie agiert. Nun, wo sie recht hat, hat sie recht. So ist das nun mal in der Demokratie, die wir, mit gewissen Einschränkungen, auch im Justizbereich, immer noch haben.