Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Barmherzigkeit“raus, „Held“ein
Ausstellung in der Nikolaikirche über das in der Nazizeit veränderte evangelische Gesangbuch
Es ist eine weitere Facette der Aufarbeitung der verstörenden und entsetzlichen Arbeit des 1939 in Eisenach von elf evangelischen Landeskirchen gegründeten „Entjudungsinstitutes“, die Sven Bergelt aufgearbeitet und nun in Form der Ausstellung „Großer Gott wir loben dich – Eine Relektüre“vorstellt. Die Ausstellung ist seit Sonntag (26. Juni) in der Eisenacher Nikolaikirche zu sehen.
Lieder übernommen, entfernt oder Texte geändert
Das „Entjudungsinstitut“, dessen Geschichte, entsetzliches Wirken und weitere Geschichte im Eisenacher Lutherhaus in einer Sonderausstellung beleuchtet wird, hatte sich damals zu Ziel gesetzt alle „jüdischen Spuren“aus dem deutschen christlichen Leben zu tilgen. Dazu wurden in Kirchen befindliche Psalmen entfernt, Schriften verändert, Geschichte umgeschrieben und eben auch das christliche Gesangbuch bearbeitet. 1941 wurde dieses völlig veränderte Gesangbuch veröffentlicht.
So wurden nur wenige Lieder unverändert aus den bis dahin verwendeten Gesangbüchern übernommen. Eine Vielzahl von etablierten Liedern wurde entfernt und neue in Auftrag gegeben, wobei ein Teil der neuen Stücke NS-Kampflieder sind. Damit nicht genug: In den anderen Liedern wurden ganze Zeilen oder Worte entfernt oder ausgetauscht.
Bergelt hat sich für seine Arbeit die Mühe gemacht, dies Zeile für Zeile zu vergleichen. So verschwand das Wort „Barmherzigkeit“allein fünf Mal aus dem Gesangbuch, „Halleluja“wurde über 20 Mal entfernt und „Jerusalem“3 Mal. Die Worte „Deusche“, „deutsch“und „Deutschen“oder „Held“dagegen tauchten unzählige Male neu an Stellen auf, wo sie vorher nicht zu finden waren. Bergelt: „Das Entfernen von Liedern und Worten mit hebräischen Wurzeln sowie das Einfügen von Worten mit völkischer Ideologie wurden mit dem Argument legitimiert, dass der gesellschaftliche Umbruch im Zuge von Hitlers Machtergreifung auch in der Kirche vollzogen werden müsse.“
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Gesangbuch zwar verboten, aber in manchen Kirchenkreise wurde nicht nur die Weiterführung des Institutes offen debattiert, auch viele der an dem Institut Beteiligten waren auch nach 1945 im Kirchendienst beschäftigt.
In Eisenach hat sich die Kirchgemeinde in Zusammenarbeit mit dem Lutherhaus vor einigen Jahren auf den Weg der Aufarbeitung dieses Teiles der eigenen Geschichte gemacht. Die Kirchengemeinde Eisenach, so Pfarrer Armin Pöhlmann, zur Eröffnung der Ausstellung in der Nikolaikirche, hat sich mit ihrer Aufnahme in die Nagelkreuzgemeinschaft darauf verpflichtet, sich den Wunden der Geschichte zu widmen, und damit auch der weiteren Aufarbeitung der Geschichte des „Entjudungsinstituts“. Sie möchte mit dieser Installation im Zusammenhang der Jubiläumsfeiern zu „500 Jahren Bibelübersetzung“durch Luther einen Blick auf eine irregeleitete und entstellende „Übersetzung“lenken, nämlich auf die „Übersetzung“des christlichen Glaubens in den Nationalsozialismus.
Ausstellung „Großer Gott wir loben dich – Eine Relektüre“von Sven Bergelt bis 31. Juli in der Eisenacher Nikolaikirche Öffnungszeiten: Montag bis Samstag jeweils 15 bis 17 Uhr und bei Veranstaltungen