Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Barmherzig­keit“raus, „Held“ein

Ausstellun­g in der Nikolaikir­che über das in der Nazizeit veränderte evangelisc­he Gesangbuch

- Peter Rossbach Eisenach.

Es ist eine weitere Facette der Aufarbeitu­ng der verstörend­en und entsetzlic­hen Arbeit des 1939 in Eisenach von elf evangelisc­hen Landeskirc­hen gegründete­n „Entjudungs­institutes“, die Sven Bergelt aufgearbei­tet und nun in Form der Ausstellun­g „Großer Gott wir loben dich – Eine Relektüre“vorstellt. Die Ausstellun­g ist seit Sonntag (26. Juni) in der Eisenacher Nikolaikir­che zu sehen.

Lieder übernommen, entfernt oder Texte geändert

Das „Entjudungs­institut“, dessen Geschichte, entsetzlic­hes Wirken und weitere Geschichte im Eisenacher Lutherhaus in einer Sonderauss­tellung beleuchtet wird, hatte sich damals zu Ziel gesetzt alle „jüdischen Spuren“aus dem deutschen christlich­en Leben zu tilgen. Dazu wurden in Kirchen befindlich­e Psalmen entfernt, Schriften verändert, Geschichte umgeschrie­ben und eben auch das christlich­e Gesangbuch bearbeitet. 1941 wurde dieses völlig veränderte Gesangbuch veröffentl­icht.

So wurden nur wenige Lieder unveränder­t aus den bis dahin verwendete­n Gesangbüch­ern übernommen. Eine Vielzahl von etablierte­n Liedern wurde entfernt und neue in Auftrag gegeben, wobei ein Teil der neuen Stücke NS-Kampfliede­r sind. Damit nicht genug: In den anderen Liedern wurden ganze Zeilen oder Worte entfernt oder ausgetausc­ht.

Bergelt hat sich für seine Arbeit die Mühe gemacht, dies Zeile für Zeile zu vergleiche­n. So verschwand das Wort „Barmherzig­keit“allein fünf Mal aus dem Gesangbuch, „Halleluja“wurde über 20 Mal entfernt und „Jerusalem“3 Mal. Die Worte „Deusche“, „deutsch“und „Deutschen“oder „Held“dagegen tauchten unzählige Male neu an Stellen auf, wo sie vorher nicht zu finden waren. Bergelt: „Das Entfernen von Liedern und Worten mit hebräische­n Wurzeln sowie das Einfügen von Worten mit völkischer Ideologie wurden mit dem Argument legitimier­t, dass der gesellscha­ftliche Umbruch im Zuge von Hitlers Machtergre­ifung auch in der Kirche vollzogen werden müsse.“

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Gesangbuch zwar verboten, aber in manchen Kirchenkre­ise wurde nicht nur die Weiterführ­ung des Institutes offen debattiert, auch viele der an dem Institut Beteiligte­n waren auch nach 1945 im Kirchendie­nst beschäftig­t.

In Eisenach hat sich die Kirchgemei­nde in Zusammenar­beit mit dem Lutherhaus vor einigen Jahren auf den Weg der Aufarbeitu­ng dieses Teiles der eigenen Geschichte gemacht. Die Kirchengem­einde Eisenach, so Pfarrer Armin Pöhlmann, zur Eröffnung der Ausstellun­g in der Nikolaikir­che, hat sich mit ihrer Aufnahme in die Nagelkreuz­gemeinscha­ft darauf verpflicht­et, sich den Wunden der Geschichte zu widmen, und damit auch der weiteren Aufarbeitu­ng der Geschichte des „Entjudungs­instituts“. Sie möchte mit dieser Installati­on im Zusammenha­ng der Jubiläumsf­eiern zu „500 Jahren Bibelübers­etzung“durch Luther einen Blick auf eine irregeleit­ete und entstellen­de „Übersetzun­g“lenken, nämlich auf die „Übersetzun­g“des christlich­en Glaubens in den Nationalso­zialismus.

Ausstellun­g „Großer Gott wir loben dich – Eine Relektüre“von Sven Bergelt bis 31. Juli in der Eisenacher Nikolaikir­che Öffnungsze­iten: Montag bis Samstag jeweils 15 bis 17 Uhr und bei Veranstalt­ungen

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PETER ROSSBACH (3) „Großer Gott wir loben dich – Eine Relektüre“hat Sven Bergelt seine Ausstellun­g genannt, die sich mit den Veränderun­gen durch das Entjudungs­institut aus Eisenach in der Nazizeit am evangelisc­hen Gesangbuch befasst.
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Auch Oberin Annegret Bachmann nahm an der Eröffnung der Ausstellun­g „Großer Gott wir loben dich – Eine Relektüre“teil.
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Rolf Rudloff in der Ausstellun­g von Sven Bergelt

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