Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Was in Gaza passiert, ist schwer erträglich“
Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein über die Folgen des Hamas-Massakers - auch hierzulande
Berlin.
Der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat die Welt gefährlicher gemacht. Wer kann zur Befriedung beitragen? Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nimmt auch die Schulen und Universitäten in Deutschland in die Pflicht.
Wie schwer fällt es Ihnen gerade, Israel zu verteidigen?
Was im Gazastreifen passiert, erschüttert mich. Das ganze Leid – die Tötung von Zivilisten, auch von Mitarbeitenden internationaler Hilfsorganisationen – ist schwer erträglich. Gleichwohl dürfen wir nicht vergessen, dass Auslöser dieser Militäroperation ein terroristischer Angriff der Hamas auf Israel war. Nach wie vor werden israelische Staatsbürger völlig völkerrechtswidrig als Geiseln im Gazastreifen festgehalten.
Ist die israelische Reaktion auf das Massaker vom 7. Oktober noch vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt?
Israel muss alles dafür tun, zivile Opfer zu vermeiden. Ganz offensichtlich ist das hier nicht geschehen. Gleichzeitig müssen wir im Blick behalten, dass die israelische Armee gegen eine Terrororganisation kämpft, die palästinensische Zivilopfer aus Gründen der Öffentlichkeitswirksamkeit auf zynische Weise bewusst einkalkuliert. Israel hat zugegeben, dass der Beschuss des Hilfskonvois von World Central Kitchen ein Fehler war. Jetzt muss es eine Untersuchung geben, wie es zur Tötung von sieben Menschen gekommen ist. Es war ja nicht nur ein Fahrzeug, das beschossen wurde, sondern mehrere hintereinander – obwohl die Hilfsorganisation den Konvoi angemeldet hatte. Das muss eine Demokratie wie Israel wirklich lückenlos aufklären. Man kann das nicht mit den Worten abtun, so etwas passiere nun mal im Krieg.
Genau das hat Israels Regierungschef Netanjahu getan.
Die Art der Kriegsführung wird in Israel kritisch begleitet. Die israelische Gesellschaft ist nicht mehr dieselbe, die sie Anfang Oktober war. Immer mehr Menschen gehen gegen die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu auf die Straße. Es gibt Zweifel an dem Grundversprechen, dass die Regierung alles tut, um die Geiseln zu befreien. Ich kann nachvollziehen, dass es den Wunsch nach Neuwahlen gibt.
Demonstrationen gibt es auch in Deutschland. Wann schlagen Mitgefühl und Solidarität mit den Palästinensern in Antisemitismus um?
Ich selbst möchte mein Mitgefühl mit den palästinensischen Familien zum Ausdruck bringen, die völlig unschuldig in diesen Konflikt hineingezogen worden sind. Es ist richtig, Empathie für die israelischen und ebenso für die palästinensischen Opfer zu zeigen. Allerdings ist eine Grenze überschritten, wenn Juden in aller Welt dafür verantwortlich gemacht werden, was jetzt im Gazastreifen geschieht. Menschen kollektiv in Haftung zu nehmen, nur weil sie jüdisch sind, ist antisemitisch. Judenhass zeigt auch, wer von Genozid spricht. Die israelische Armee tötet Menschen ja nicht, nur weil sie Palästinenser sind. Dann wäre auch das Kriegsgeschehen ein ganz anderes.
Juden sind in Deutschland so bedroht wie seit dem Holocaust nicht mehr – mit dieser Aussage haben Sie nach dem 7. Oktober das Land aufgerüttelt. Hat sich die Lage seither verbessert?
Glücklicherweise ja. Die Zahl der antisemitischen Straftaten, die im vierten Quartal 2023 auf ein Rekordniveau gestiegen war, ist in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres wieder etwas zurückgegangen. Genaue Zahlen liegen noch nicht vor. Die Stimmung in Deutschland ist aber immer noch sehr stark gegen Israel eingestellt. Darunter leiden die Jüdinnen und Juden ganz direkt. In Schulen und an Universitäten müssen sie sich rechtfertigen für das, was im Gazastreifen passiert. Zum Glück ist der Angriff auf den jüdischen Studenten an der Freien Universität Berlin in dieser extremen Form ein Einzelfall geblieben. Aber das Klima der Angst ist immer noch da.
Was erwarten Sie von Schulen und Universitäten?
Wir müssen die Sensibilität für Antisemitismus deutlich erhöhen. Ein guter Weg ist, Beauftragte für Antisemitismus an Schulen und Universitäten zu bestellen. Dann haben Betroffene eine Anlaufstelle. Das reicht aber nicht aus. Ich rufe dazu auf, einen bundesweiten Aktionstag gegen Antisemitismus in allen Schulen und Universitäten in Deutschland zu organisieren – noch vor den Sommerferien. Das wäre mehr als ein Symbol. An diesem Tag könnten Informationen zu den Wurzeln des Antisemitismus und zur besonderen Verantwortung Deutschlands gegeben werden. Antisemitismus bedroht nicht nur die jüdische Gemeinschaft, sondern unsere Demokratie schlechthin. Getragen werden könnte der Aktionstag von einem breiten Bündnis, dem die Bundeszentrale für Politische Bildung und Organisationen wie die Amadeu Antonio Stiftung angehören. Auch christliche und muslimische Gemeinden könnten sich beteiligen. Ich bin mir sicher, dass die allermeisten Lehrkräfte dafür offen sind. Wir brauchen aber auch die Unterstützung der Kulturministerkonferenz.
Haben Sie die nicht?
Die vorige Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Berliner Bildungssenatorin Günther-Wünsch, war dafür offen. Die aktuelle Präsidentin, die saarländische Bildungsministerin StreichertClivot, scheint Vorbehalte zu haben. Gründe werden uns nicht genannt. Ich appelliere noch einmal an die Präsidentin, den Vorstoß für einen Aktionstag
zu unterstützen.