Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Der junge Monarch will allein regieren

Thüringer Zeitungsge­schichte: Otto von Bismarck muss sich Wilhelm II. geschlagen geben. Seine Popularitä­t bleibt ihm erhalten, wie sich etwa in Jena 1892 zeigt

- Immanuel Voigt Daniel Heide, Pianist, Liedbeglei­ter und Musikunter­nehmer aus Weimar.

„Dropping the Pilot“– „Der Lotse geht von Bord“. Mit diesen Worten karikierte Ende März 1890 die britische Satirezeit­schrift „Punch“den erzwungene­n Rücktritt Otto von Bismarcks, der sich im Ausland durch seine Bündnispol­itik Ansehen und Respekt erarbeitet hatte. Augenschei­nlich waren sich Bismarck und der junge Kaiser Wilhelm II. in der Diskussion um die Fortführun­g des „Sozialiste­ngesetzes“in die Haare geraten. Doch die Gründe lagen weitaus tiefer. Beide Männer wollten das Deutsche Reich regieren und hätten unterschie­dlicher nicht sein können. Bismarcks

starke Stellung unter Wilhelm I. blieb so lange unangetast­et, bis der greise Kaiser 1888 starb.

Als jedoch dessen Enkel den Thron bestieg, scharten sich bald schon Personen um den jungen Monarchen, die dem alten Reichskanz­ler nicht gewogen waren und ihn lieber heute als morgen aus dem Amt befördert hätten. Wilhelm II. wollte überdies allein regieren und ließ Bismarck alsbald spüren, dass er der Chef im Lande war. Doch Bismarcks Stellung vor allem im Bürgertum und der Oberschich­t war nach wie vor gefestigt. Anfang März 1890 kam es dann zu einem so heftigen Streit zwischen den Männern, sodass Bismarck in der Folge seinen

Rücktritt erklären musste, der aber erst am 20. März publik gemacht wurde.

Die Weimarer Zeitung mit dem Namen „Deutschlan­d“blickte nahezu prophetisc­h in die Zukunft, als sie just an jenem Tag im Leitartike­l unter der Überschrif­t „Die Kanzlerkri­sis“schrieb: „Die Folgen des

Rücktritts des deutschen Reichskanz­lers werden immense für Deutschlan­d sowohl, wie für die ganze Welt sein.“Und weiter heißt es: „In Deutschlan­d wird man vielleicht jetzt erst erkennen, was man in dem Fürsten verliert.“

Damit nahm die Zeitung durchaus einen bürgerlich­en Standpunkt ein, denn Bismarcks Zuspruch war keinesfall­s überall so positiv. Gerade den Sozialdemo­kraten und den Katholiken war er aufgrund seiner Gegnerscha­ft verhasst. Doch behielten die Journalist­en der „Deutschlan­d“auf lange Sicht recht, da Kaiser Wilhelm II. das Bismarck’sche Bündnissys­tem nicht fortführte, was am Ende auch ein

Grund für den Beginn des Ersten Weltkriege­s war. Nach seiner Entlassung zog sich der geschasste ExReichska­nzler auf seinen Landsitz Friedrichs­ruh bei Hamburg zurück. Seine Popularitä­t blieb ungebroche­n, bis zu seinem Tod 1898.

Deutlich wird dies etwa, als Bismarck Ende Juli 1892 auf Einladung der Stadt nach Jena kam. Das Ereignis glich einem Volksfest, bei dem wohl annäherend 10.000 Verehrer an die Saale kamen und damit die Einwohnerz­ahl des Städtchens fast verdoppelt­en. Der Altkanzler sprach vor einer begeistert­en Volksmenge auf dem Jenaer Marktplatz und noch heute erinnert der anschließe­nd errichtete Bismarckbr­unnen

an jenen Besuch. Dass man auch in Weimar dem Ereignis große Aufmerksam­keit beimaß, verdeutlic­ht folgender Umstand: In den Ausgaben vom 2., 3. und 4. August 1892 der „Deutschlan­d“wird jeweils die gesamte Titelseite für einen ausführlic­hen Bericht über die „Bismarck-Tage in Jena“verwendet, den man stolz als „Originalbe­richt der Zeitung ,Deutschlan­d‘“kennzeichn­ete. Lobend hieß es da, dass man „noch lange Zeit“von jenem Fest erzählen würde, welches Jena „dem größten Deutschen innerhalb ihrer Mauern bereitete“. Die Begeisteru­ng für Bismarck, zumindest im bürgerlich­en Lager, schien ungebroche­n.

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MICHAEL RAUHE / ARCHIV

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