Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Trauer und Jubel im Iran
Tod von Präsident Raisi stürzt das Land in eine Krise. Ein Machtkampf droht. Was das für das Mullah-Regime bedeutet
Berlin. Der Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauberabsturz wirft viele Fragen auf. War es Sabotage, eine Killer-Aktion oder ein technischer Defekt? Kommt es nun zu einem Machtkampf innerhalb des MullahRegimes? Flammt die Protestbewegung neu auf? Und was bedeutet dies für den Krieg im Nahen Osten? Ein Überblick.
Was ist passiert?
Irans Präsident Ebrahim Raisi hatte sich am Sonntagmorgen mit seinem aserbaidschanischen Amtskollegen Ilham Aliyev im Grenzgebiet der beiden Länder getroffen. Beide weihten einen Staudamm ein. Auf dem Rückweg stürzte Raisis Helikopter in der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan im Nordwesten des Landes ab. Alle neun Insassen wurden getötet – neben Raisi auch Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. Die Suche mit mehr als 60 Rettungsteams erwies sich als äußerst schwierig. Es herrschte Nebel, die Absturzstelle befand sich in unzugänglichem Bergland.
Was könnte den HubschrauberAbsturz verursacht haben?
Israel hat zwar Erfahrung mit der Tötung von Stützen des iranischen Systems. Und Präsident Raisi, der immer wieder die Vernichtung des jüdischen Staats gefordert hatte, gehörte zweifellos dazu. Doch sein Tod bringt Israel nichts. Die wichtigen Entscheidungen werden vom obersten politischen und religiösen Führer Ali Chamenei gefällt – ein erklärter Israel-Feind. Auch eine Sabotage-Aktion aus Oppositionskreisen ist unwahrscheinlich. Der innerste Machtzirkel in der iranischen Theokratie ist hermetisch abgeschirmt. Am ehesten kommt ein technischer Defekt als Ursache für den Helikopter-Absturz infrage. Irans Luftwaffe ist veraltet.
Wer sind die potenziellen Nachfolger Raisis?
Der oberste Führer Chamenei ernannte Raisis ersten Stellvertreter, Mohammed Mochber, zum Übergangs-Präsidenten. Auch er ist ein Hardliner. Binnen 50 Tagen muss laut Verfassung ein neuer Präsident gewählt werden. Das Unglück dürfte die Islamische Republik in eine politische Krise stürzen. Raisi, der einen engen Draht zum obersten Führer Chamenei hatte, galt als heißer Kandidat für dessen Nachfolge. Chamenei ist 85 Jahre alt und soll
an Diabetes leiden. Der oberste Führer trifft im Iran alle strategischen Entscheidungen. Ob sich Chamenei an die Verfassung hält, ist nicht sicher. Nach Einschätzung des iranischen Historikers Arash Azizi ist es möglich, dass Parlamentssprecher Mohammad Bagher Ghalibaf „nun eine gute Chance haben könnte, Raisis Nachfolger zu werden“. Auch eine Allianz mit Modschtaba Chamenei, dem Sohn des obersten Führers, sei denkbar.
Was bedeutet Raisis Tod für die iranische Protestbewegung?
Als die Nachricht vom Hubschrauber-Absturz am Sonntag bekannt wurde, gab es in Saghez in der iranischen Provinz Kurdistan FreudenFeuerwerke.
Saghez ist die Heimatstadt von Mahsa Amini, die im September 2022 wegen angeblichen Verstoßes gegen den staatlichen Kopftuchzwang wahrscheinlich von der Sittenpolizei getötet wurde. Die Nachricht von ihrem Tod löste die schwersten Proteste gegen das Mullah-Regime seit der Islamischen Revolution 1979 aus. In den sozialen Netzwerken wurden auch Freuden-Kundgebungen in anderen Teilen des Landes gezeigt.
Raisi galt als Symbolfigur der mit eiserner Faust regierenden Theokratie und war bei den Regime-Kritikern verhasst. Doch trotz Raisis Tod ist nicht mit einem Aufflammen der Protestbewegung zu rechnen. Das Regime reagiert auf jeden öf
fentlich geäußerten Unmut mit brutaler Gewalt.
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter zeigte wenig Hoffnung auf einen Richtungswechsel in Teheran. Zwar werde sich die Staatsführung „nun neu sortieren müssen“, sagte er unserer Redaktion. „Es steht allerdings zu befürchten, dass sich am brutalen Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung und am gewaltvollen und provokanten internationalen Auftreten auch mit neuem Personal nichts ändern wird.“Hofreiter forderte, dass die Staatengemeinschaft weiter „mit klaren Worten, Sanktionen wo nötig und der ganz deutlichen Unterstützung der mutigen Demonstrierenden in Iran agieren“müsse.
Welche Folgen hat Raisis Tod für das Land?
Der Tod des Präsidenten wird die Polarisierung des Landes weiter ver- stärken. Das fundamentalistische Mullah-Regime wird noch brutaler auf jede Kritik reagieren. Allerdings bekommt die mittels knallharter Unterdrückung erzeugte Schein- Stabilität des Irans durch das Füh- rungs-Vakuum im Präsidentenamt Risse. Der Iran-Experte Azizi rech- nete in der US-Zeitschrift „The At- lantic“mit einem heftigen Machtkampf. Die Hardliner sähen sich aufgrund von Raisis Passivität er- mutigt, unterstrich er. Es ist nun nicht ausgeschlossen, dass die Re- volutionsgarden, die bereits weite Teile der Wirtschaft kontrollieren, mittel- und langfristig eine Art Mili- tärherrschaft anstreben.
Wie sind die Auswirken auf die Lage im Nahen Osten?
Die grundsätzlichen Konstanten bleiben gleich. Der Konflikt mit Israel wird mit der gleichen Schärfe ausgetragen. Die Unterstützung der islamistischen Hamas im Gazastreifen bleibt ungebrochen wie auch die Aufrüstung der schiitischen Stellvertreter-Milizen im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen. Allerdings wird das Mullah-Regime durch die ungeklärte Führungsfra- ge nach Raisis Tod ein Stück weit unberechenbarer.