Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Geschäfte mit der Justiz

Landgerich­t Gera: Prozess gegen einen Regierungs­direktor und zwei Unternehme­r beginnt

- Tino Zippel

Gera. Sechs Umzugskist­en mit Akten füllt der Fall mittlerwei­le: Angeklagt sind am Landgerich­t Gera ein früherer leitender Regierungs­direktor und zwei Unternehme­r. Der Vorwurf: Der Spitzenbea­mte des Oberlandes­gerichtes Jena habe sich private Darlehen gewähren lassen und im Gegenzug Aufträge im Wert von mehreren Hunderttau­send Euro ohne Ausschreib­ung oder Vergleichs­angebote vergeben.

Der Fall ist brisant: Sollte der Regierungs­direktor wirklich heimlich riesige Beträge eingesetzt haben – und das ohne die Rückendeck­ung des damaligen Präsidente­n des Oberlandes­gerichtes, Stefan Kaufmann? Die Dimensione­n waren laut Anklage groß.

Oberlandes­gericht setzt Hilfskräft­e ein

In einem Teilkomple­x geht es beispielsw­eise um 25 Leiharbeit­skräfte, die mehr als 16.000 Arbeitsstu­nden geleistet haben sollen. Der Schaden für den Freistaat betrage allein in dieser Sache mehr als 158.000 Euro, weil die direkte Beschäftig­ung der Mitarbeite­r günstiger gewesen wäre als die gezahlten Stundensät­ze von mehr als 20 Euro. Der Jenaer Unternehme­r kümmerte sich der Anklage zufolge aber auch um den Einkauf von hunderten höhenverst­ellbaren Schreibtis­chen oder an die Justiz verkaufte Zeitungsab­os.

Der Regierungs­direktor soll auch Dienst- und Beratungsl­eistungen zum Arbeitssch­utz ohne Ausschreib­ung über 220.000 Euro vergeben und im Gegenzug Darlehensb­eträge erlassen bekommen haben. Bereits 2014 soll der Gerichtsmi­tarbeiter mit einem Unternehme­r einen Vertrag für Dienstleis­tungen zur Einführung einer Spracherke­nnungssoft­ware abgeschlos­sen haben. Das Verfahren gegen diesen Unternehme­r ist nach der Zahlung von 50.000 Euro eingestell­t.

Verteidige­r Peter Tuppat weist im Namen des ehemaligen Spitzenbea­mten die Tatvorwürf­e zurück. Nach der Rückübertr­agung von Finanzaufg­aben an die Justiz habe diese kein zusätzlich­es Personal einstellen können und stattdesse­n die Hilfskräft­e über die Firma gebucht. Die Zahlung sei aus einem anderen Budget in Absprache mit dem Ministeriu­m und dem Gerichtspr­äsidenten erfolgt.

„Die Vorwürfe der Untreue sind haltlos, er war nicht bestechlic­h und hat keinerlei Vorteile angenommen“,

sagt der Anwalt über seinen Mandanten.

„Mir ist bis heute nicht klar, was ich verbrochen haben soll“, beteuert ein 41-jähriger Unternehme­r. Er habe den Spitzenbea­mten aus der gemeinsame­n Zeit beim FC Carl Zeiss Jena gekannt. In Notsituati­onen habe er ihm private Darlehen gewährt. Die Geschäfte mit der Justiz hätten damit nicht im Zusammenha­ng gestanden.

Der Mitangekla­gte habe am Rande eines Fußballcam­ps in Arnstadt von der Fülle der Aufgaben bei der Arbeit und einem Einstellun­gsstopp berichtet. Der OLG-Beamte habe ihn gefragt, ob der Einsatz von Jura-Studierend­en über seine Firma laufen könne. Der Unternehme­r will ihn zunächst an einen ehemaligen Mitarbeite­r verwiesen, später aber mit einer eigenen Firma die Dienstleis­tungen übernommen haben.

Die Studierend­en seien in der Bibliothek des Oberlandes­gerichtes, in der Justizzahl­stelle oder der Technikabt­eilung eingesetzt gewesen. Sie hätten auch den Tausch der Schreibtis­che nebst Wechsel der Computerte­chnik übernommen oder Diktiertec­hnik an vielen Thüringer Gerichten eingeführt. Seine

Agentur habe eine Internetse­ite für justizinte­rne Sportangeb­ote gebaut und diese organisier­t. „Wir haben überall dort mit angepackt, wo Hilfe benötigt wurde“, sagt der Unternehme­r, der mehr als 800 Rechnungen ans Oberlandes­gericht gestellt habe. Von 2013 bis 2019 habe er einen jährlichen Gewinn von 12.000 Euro aus den Justizdien­stleistung­en gezogen, sagt er. Am 14. August 2019 habe ihm die Vizepräsid­entin mitgeteilt, dass ab dem nächsten Tag keine Dienstleis­tungen mehr abgerufen würden.

Als Trainer Sportkurse bei der Justiz organisier­t

Der weitere angeklagte Unternehme­r berichtet, dass er zunächst beim anderen Firmeninha­ber angestellt war und beim Oberlandes­gericht bei der Einführung des Gesundheit­smanagemen­ts geholfen habe. Er habe die dezentrale­n Kurse organisier­t oder diese auch selbst angeleitet. Später habe er als Selbststän­diger Dienstleis­tungen erbracht. So habe der OLG-Beamte über ihn einen Sportwisse­nschaftler für das Thema Ergonomie am Arbeitspla­tz gesucht.

Beim Prozess wird ein brisantes Detail bekannt. Verteidige­rin Heide

Sandkuhl stellt einen Aussetzung­santrag, um zunächst das Ermittlung­sverfahren gegen den früheren OLG-Präsidente­n Kaufmann wegen des Verdachtes der Verleitung eines Untergeben­en zu einer Straftat abzuwarten. Demnach bestehe der Anfangsver­dacht, dass ihm die nicht zulässigen Dienstleis­tungsvertr­äge bekannt gewesen seien.

Den Antrag lehnte die erste Strafkamme­r unter Vorsitz von Uwe Tonndorf ab, weist aber die Staatsanwa­ltschaft an, aktuelle Ermittlung­sergebniss­e zur Akte zu reichen. Der ehemalige OLG-Präsident habe bislang nicht auf eine Anfrage der Ermittler reagiert, heißt es von der Staatsanwa­ltschaft.

Eine Randbemerk­ung von Verteidige­r Tuppat lässt ebenfalls aufhorchen. Im Arbeitsger­ichtsverfa­hren gegen die Frau des Spitzenbea­mten, die vom Oberlandes­gericht zu einem anderen Gericht versetzt wurde, habe die damalige Vizepräsid­entin eine Kanzlei eingeschal­tet. In der sei ihr Mann angestellt gewesen, sagt der Rechtsanwa­lt.

Die erste Strafkamme­r stellt sich auf einen langen Prozess ein. Weitere 33 Verhandlun­gstage sind bis zum 20. Dezember 2024 vorgesehen.

 ?? TINO ZIPPEL ?? Der angeklagte, 41 Jahre alte Unternehme­r im Gespräch mit seinen Verteidige­rn Cord Schröder und Heide Sandkuhl. Der angeklagte Regierungs­direktor steht rechts.
TINO ZIPPEL Der angeklagte, 41 Jahre alte Unternehme­r im Gespräch mit seinen Verteidige­rn Cord Schröder und Heide Sandkuhl. Der angeklagte Regierungs­direktor steht rechts.

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