Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Überläuferin Rosin schwächt Rot-Rot-Grün
SPDAbgeordnete jetzt bei der CDU – Regierungskoalition hat nur noch eine Stimme Mehrheit
ERFURT. Der Wechsel der Landtagsabgeordneten Marion Rosin von der SPD zur CDU lässt die rot-rot-grüne Mehrheit im Parlament auf nur eine Stimme zusammenschrumpfen. Damit wird es künftig schwerer, eigene Vorhaben durchzubringen – allen voran die bei den Bürgern, aber auch innerhalb der Koalition umstrittene Gebietsreform. Die ehemalige Schulleiterin Rosin begründete ihren Schritt mit ihrer Unzufriedenheit über die rot-rot-grüne Bildungspolitik, aber auch die Gebietsreform. „Diese Koalition wird durch die dogmatisch-ideologischen Führungskader der Linken geprägt“, sagte sie.
SPD-Fraktionschef Matthias Hey sagte im TLZ-Gespräch: Er sei irritiert, dass Frau Rosin in die CDU-Fraktion eingetreten sei, da sie deren Bildungspolitik in den vergangenen Jahren immer wieder, zum Teil scharf, kritisiert habe.
Linke-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow zeigte sich überzeugt: „Wir haben mit einer Stimme Mehrheit angefangen, und wir schaffen das.“
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Stefan Möller, sagte: Rosin bleibe sich treu und handele konsequent, indem sie die radikal-linken Regierungsfraktionen verlasse und zur moderat-linken CDU-Fraktion wechsele.
„Frau Rosin teilt unsere Kritik am zentralistischen Grundzug der rot-rot-grünen Landespolitik und fürchtet um die Zukunft des ländlichen Raums“, so Unionsfraktionschef Mike Mohring. Die CDU-Fraktion nahm die 47-Jährige gestern einstimmig auf. Rosin soll Mitglied im Finanz- und Bildungsausschuss des Landtags werden.
Die CDU hat nun 34, die Linke 28, die SPD 12, die AfD 8 und die Grünen 6 Sitze. Drei Abgeordnete sind fraktionslos.
ERFURT. Was sich gestern Morgen im Raum F 003 des Thüringer Landtags abspielte, kann man wohl als skurril bezeichnen. Als die SPD-Landtagsfraktionäre dort zu ihrer wöchentlichen Sitzung zusammenkamen, stand auch ein Antrag zur Bildungspolitik von Marion Rosin auf der Tagesordnung – der noch behandelt werden musste.
Lust dazu hatte indes niemand. Schließlich war Rosin wenige Stunden zuvor handstreichartig aus Partei und Fraktion ausgetreten. Und als könne es für die Genossen nicht schlimmer kommen, lief sie wenig später zur politischen Konkurrenz über, trat in die CDU ein und wurde deren Fraktionsmitglied .
Der über längere Zeit vorbereitete Coup nahm am Dienstagabend konkrete Züge an. Gegen 22 Uhr schickte Rosin ein Fax an die SPD-Landesgeschäftsstelle und die Fraktion. Zwei nüchterne Sätze zu ihren Austritten, ohne Begründung. Anschließend informierte sie den Landesvorsitzenden Andreas Bausewein und Fraktionschef Matthias Hey telefonisch über ihre Beweggründe.
In der gestrigen Fraktionssitzung schwankten die Abgeordneten zwischen Fassungslosigkeit, Unverständnis und Entsetzen. Doch die Stimmung kippte in Wut, als Rosin – jetzt schon über die CDU-Fraktionspressestelle – eine Erklärung verbreiten ließ, die es in sich hatte. „In den zweieinhalb Jahren meiner Mitgliedschaft im Thüringer Landtag habe ich erfahren müssen, dass es zwischen den die Regierung tragenden Fraktionen der Linken, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen keine Koalition auf Augenhöhe gibt“, schrieb die Frau, die 18 Jahre lang ein SPD-Parteibuch besaß.
Die Koalition werde durch „die dogmatisch-ideologischen Führungskader der Linken geprägt“. Der Grundzug ihrer Politik sei eine zentralistische Tendenz, die der demokratischen Teilhabe der von den Entscheidungen betroffenen Mandatsträger und Bürger kaum Raum lasse. Aus ideologischen Gründen habe die Linke das bewährte Hortmodell zerschlagen. „Das Ergebnis ist ein Desaster,
das noch über Jahre nachwirken wird“, nahm Rosin kein Blatt vor den Mund. Ganztagsangebote seien gerade für junge Familien wichtig, um die „Landflucht“der Menschen nicht weiter zu befördern.
Die ebenso deutlichen Reaktionen ihrer einstigen Fraktionskollegen in den sozialen Netzwerken ließen nicht lange auf sich warten (siehe Bild oben). Auch die Abgeordnete Dorothea Marx wollte das so nicht stehen lassen. Als bildungspolitische Sprecherin habe Rosin bis zuletzt die Umsetzung der von ihr selbst ausgehandelten Ziele in der Hand gehabt. Niemand habe sie behindert. Zahlreiche Beschlüsse der Koalition habe sie selbst mit herbeigeführt. „Eine angebliche Bevormundung durch eine dogmatische Linke hat es nicht gegeben. In der R2G-Koalition wird auf Augenhöhe zusammengearbeitet. Wenn sich Frau Rosin nun in ihrer neuen politischen Heimat zur Kronzeugin gegen ihre eigene bisherige Politik machen lässt, ist dies wenig glaubwürdig“, polterte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion.
Der Vorsitzende der CDUFraktion, Mike Mohring, freute sich derweil, die ohnehin nur mit Drei-Stimmen-Mehrheit regierende rot-rot-grüne Koalition geschwächt zu haben. Sie hat nun nur noch 46 der 91 Sitze im Landtag. Bereits vor Ostern war Rosin an Mohring herangetreten, um auszuloten, wie ihre Chancen auf eine neue politische Heimat stehen. „Frau Rosin teilt unsere Kritik am zentralistischen Grundzug der rot-rotgrünen Landespolitik und fürchtet um die Zukunft des ländlichen Raums“, sagte Mohring. Die Linkskoalition habe schon lange viele Bürgermeister, Landräte und Ehrenamtliche in Gewissenskonflikte geführt. „Politisch hängt Ramelows Linkskoalition nur noch am seidenen Faden.“
Auch im Haus der 47-jährigen ehemaligen Lehrerin in Bechstedt im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt zog ihr Schritt Diskussionen nach sich: Rosin ist mit Richard Dewes verheiratet, der fast 50 Jahre der SPD angehört, einst Landesvorsitzender und Innenminister war. Inzwischen ist der Jurist aber einer der schärfsten Kritiker von Rot-RotGrün, vertritt Weimar sogar vor Gericht im Kampf gegen die umstrittene Gebietsreform. „Das ist meine persönliche Entscheidung. Ich bin ich, mein Mann ist er“, betonte Rosin. Gestern hat sie auch mit ihren beiden Söhnen über den Wechsel gesprochen und die hätten gemeint: „Mama, Du weißt doch, es gibt die Frau, die immer sagt: Wir schaffen das.“