Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Mit Tempo 175 durch die 60er Zone
Saalfelder Fahrer Spitzenreiter bei Kontrolle an der A 9 – Gemeinsame Aktion von Polizei und Zoll
SCHLEIZ. Bei einer sechsstündigen Großkontrolle an der Autobahn 9 sind der Polizei am Mittwoch zahlreiche Raser ins Netz gegangen: Obwohl in Höhe der Rastplätze „Himmelsteiche“bei Schleiz in beiden Fahrtrichtungen nur Tempo 60 galt, fuhr ein Pkw-Fahrer mit Saalfelder Kennzeichen mit 175 Sachen an der Messstelle vorbei. Ein zweiter wurde mit knapp 160 Stundenkilometern geblitzt. „Das wird in beiden Fällen richtig teuer und wird natürlich auch von Fahrverboten flankiert“, sagte Christian Cohn, Sprecher der Thüringer Autobahnpolizei.
Schwerpunkt der Kontrolle, an der auch Polizeibeamte aus Sachsen und Bayern sowie 35 Zollbeamte teilnahmen, waren allerdings Fahrzeuge über 2,8 Tonnen. Insgesamt wurden 51 Lkw, drei Busse und acht Pkw unter die Lupe genommen. In zwei Fällen musste die Polizei die Weiterfahrt untersagen: zum einen wegen einer nicht ordnungsgemäß gesicherten Ladung, zum anderen wegen defekter Bremsen. Außerdem wurden Verstöße der Lastwagenfahrer gegen Lenk- und Ruhezeiten sowie Geschwindigkeitsüberschreitungen festgestellt.
SCHLEIZ. Für den Sattelzug aus Russland ist die Fahrt kurz vor der Abfahrt Schleiz erst einmal zu Ende: Die Polizeibeamten, die das Gefährt am Parkplatz Himmelsteiche an der A 9 in Richtung München herausgepickt haben, monieren zwar keines der Papiere, die ihnen der Fahrer nach einigem Radebrechen aushändigt. Wohl aber seine Ladung oder besser: deren Sicherung. Drei Bündel mit Stahlstäben, die insgesamt 20,5 Tonnen auf die Waage bringen.
Das ist zwar nicht mehr, als das Fahrzeug transportieren darf. „Doch unter den Antirutschhölzern, auf denen die Stäbe lagern, fehlen rutschhemmende Matten“, erklärt Polizeihauptkommissar Ralph Müller von der Polizei im bayerischen Hof. Bei einem Unfall – etwa einer Kollision – könne sich der Stahl zu tödlichen Geschossen entwickeln. Dass die Pakete im Fahrzeug schon ein Stück gerutscht sind, kann selbst ein Laie erkennen.
Die Fahrt darf deshalb erst fortgesetzt werden, wenn die Ladung von einem Kran aufgenommen und zusätzlich durch Matten gesichert wurde. Dazu darf der Sattelzug nur bis zur nächsten Spedition rollen, wo erst einmal umgeladen werden muss.
Die Überprüfung ist Teil einer Großkontrolle, wie es sie in dieser Form an den Thüringer Autobahnen schon länger nicht mehr gab. Denn neben Polizeibeamten aus Thüringen, Beamten des Hauptzollamtes Erfurt sowie Mitarbeitern etwa des Landesamtes für Bau und Verkehr, des Thüringer Landesverwaltungsamtes, des Amtes für Arbeitsschutz und der Dekra nehmen auch fünf Polizisten aus Sachsen und sechs aus Bayern an dem Einsatz in beiden Fahrtrichtungen teil.
Insgesamt sind es um die 100 Beamte, die sich auf die beiden Rastplätze verteilen und vor allem Fahrzeuge aller Art von 2,8 Tonnen an aufwärts unter die Lupe nehmen.
Die Polizisten aus dem vogtländischen Reichenbach haben derweil nicht nur ihr Knowhow, sondern auch Technik mitgebracht. Beispielsweise eine sogenannte Radlastwaage, über die die Thüringer Autobahnpolizei nicht verfügt. Fahrzeuge, die gewogen werden müssen, rollen einfach über eine Matte, so dass die Last auf jeder Achse gemessen wird. „Feine Sache“, findet Polizeihauptkommissar Jens Meisegeier, der den Einsatz leitet. Meisegeier ist Leiter der Kontrollgruppe für gewerblichen Personen- und Güterverkehr und möchte derlei Großkontrollen intensivieren. Auch, um das Zusammenspiel aller Kräfte zu optimieren.
„Sachte, mein Freund“, ruft er plötzlich empört dem Fahrer eines Sattelschleppers zu, der mit hohem Tempo auf den Rastplatz rauscht. „Wir haben hier Schrittgeschwindigkeit.“Aber mit der Einhaltung des Tempolimits nimmt es auch an diesem Tag nicht jeder so genau: Damit es in Höhe der Kontrollstellen nicht zu Auffahrunfällen kommt, ist die Höchstgeschwindigkeit vor den Rastplätzen stufenweise auf 60 Stundenkilometer reduziert worden. Zwei Blitzerfahrzeuge – in jeder Fahrtrichtung eines – messen deren Einhaltung. Ist ein Fahrzeug zu schnell, ertönt ein Klingeln, dann ist der Raser auf Bildschirm zu sehen.
Während die Polizisten bei der sechsstündigen Aktion vor allem die Fahrer, den Zustand ihrer Fahrzeuge und den der Ladung im Blick haben, kontrollieren die 35 Zöllner beispielsweise, ob jemand Zigaretten, Alkohol, Waffen, Sprengstoff oder Betäubungsmittel schmuggelt, mit steuerbegünstigtem Heizöl statt mit Diesel fährt oder ein Fahrer schwarz arbeitet. Sie befragen die Fahrer, um herauszufinden, ob jemand staatliche Leistungen bezieht, aber nebenher am Steuer sitzt, ohne diese Einkünfte anzugeben. Sie erkundigen sich
aber auch, ob etwa Ausländer illegal beschäftigt werden, die Fahrer den gesetzlichen Mindestlohn erhalten und sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
32 Fahrzeuge untersucht allein der Zoll an diesem Tag – 22 Lkw, acht Pkw und zwei Busse. In fünf Fällen müssen Fahrer aus den Balkanstaaten für jene Tage, an denen sie auf deutschen Straßen unterwegs sind, die KfzSteuer nachzahlen. Beträge zwischen 9 und 18 Euro am Tag – je nachdem, wie groß die Fahrzeuge sind und was sie geladen haben. „In zwei weiteren Fällen haben wir bei ausländischen Schuldnern offene Forderungen der öffentlichen Verwaltung vollstreckt“, erklärt Zollsprecher Guido Wollenhaupt, „insgesamt 1814 Euro“. Wenn man so wolle, sei der Zoll auch eine Art „Gerichtsvollzieher des Bundes auf der Autobahn“.
Die Polizei, die 51 Lkw, drei Busse und acht Autos unter die Lupe nimmt, kann am Nachmittag zwar „keine großen Reißer“vermelden, wie Christian Cohn von der Thüringer Autobahnpolizei betont. Aber doch etliche kleinere Auffälligkeiten: Mehrfach seien Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten worden und – was sich beim Auslesen der EG-Kontrollgeräte zeigte – Lkw zu schnell gefahren. Die Weiterfahrt wird indes nicht nur dem russischen Fahrer mit der stählernen Fracht untersagt, sondern auch einem Lastwagen mit defekten Bremsen. Die Beamten geben dem Fahrer auf, zuerst die nächste Werkstatt anzusteuern.
Teuer dürfte es für eine Firma werden, die einen Gefahrguttransporter
mit einem Fahrer auf die Reise geschickt hat, dessen Führerschein abgelaufen ist. Und auch für den Fahrer eines fast 70 Tonnen wiegenden Schwertransports, der zwar genehmigt wurde, aber überladen ist, wird die Kontrolle ein Nachspiel haben.
Nichts zu beanstanden haben die Beamten derweil bei einem dunkelblauen Kleintransporter samt Anhänger mit tschechischem Kennzeichen. Die beiden Fahrer sehen zwar wild und verwegen aus, und auch ihr mit Zementsäcken randvoll beladener Anhänger erweckt auf den ersten Blick nicht den besten Eindruck.
Doch alles hat seine Ordnung, auch den Test auf der Mattenwaage besteht das Gespann. Nichts Negatives zutage fördert auch die imposante Technik, die auf dem Rastplatz Richtung Berlin zu bestaunen ist: eine mobile Großröntgenanlage, die einen kompletten Lkw scannen kann. Sie ist eines von bundesweit nur drei derartigen Zollfahrzeugen – und eigens für diesen Einsatz aus Köln nach Thüringen gerollt.
„Gerichtsvollzieher auf der Autobahn“