Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Recherchie­ren unter Gefahr

Weltweit ist Pressefrei­heit bedroht – doch auch in Demokratie­n verschlech­tert sich die Lage von Journalist­en

- VON GERD HÖHLER, SÖREN KITTEL UND CHRISTIAN UNGER

WEIMAR. Plötzlich schert der Mann aus dem Demonstrat­ionszug aus, rennt in Richtung Rathaustre­ppe auf den Fotoreport­er zu – und schlägt zu. Der Mann trifft den Fotografen im Gesicht, die Lippe blutet. Es ist der 21. Februar 2016, die fremdenfei­ndliche MVgida, ein Pegida-Ableger in Mecklenbur­g-Vorpommern, protestier­t in Grevesmühl­en. Der Täter soll ein Rechtsextr­emist aus der Region sein. Ein Jahr später wird er zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Angriff auf den Journalist­en ist ein Angriff auf die freie Presse in Deutschlan­d. Auf das Recht zu berichten.

Die Körperverl­etzung des Reporters ist nicht der einzige Fall in Deutschlan­d, in dem Journalist­en attackiert werden: Mindestens 19 Journalist­en seien 2016 angegriffe­n worden, davon 18-mal im Umfeld von Pegida, der AfD oder rechtsextr­emen Gruppen, teilte das Europäisch­e Zentrum für Presse- und Medienfrei­heit mit. Immer wieder kommen die Täter demnach aus den Reihen der rechtspopu­listischen oder rechtsextr­emen Szene. Journalist­en berichten von Bedrohunge­n und Einschücht­erungen. Diese kommen laut Reporter ohne Grenzen (ROG)– wenn auch in deutlich geringerer Anzahl – auch von Linksradik­alen und Islamisten.

Auch in den USA kämpfen Journalist­en mit Angriffen

Heute ist der Internatio­nale Tag der Pressefrei­heit – und im weltweiten Vergleich liegt Deutschlan­d auf Platz 16 der LänderRang­liste. Journalist­enorganisa­tionen kritisiere­n neben den Übergriffe­n auch die Wiedereinf­ührung der Vorratsdat­enspeicher­ung oder rechtswidr­ige Einsätze von verdeckten Ermittlern der Polizei wie beim linken Radiosende­r FSK in Hamburg. Auch der Informante­nschutz ist laut ROG in Deutschlan­d immer noch unzureiche­nd – also der Schutz etwa von Angestellt­en, wenn sie Missstände in ihrer Firma oder in ihrem Amt öffentlich machen.

Trotz der Kritik ist die Situation von Journalist­en in Deutschlan­d vergleichs­weise gut. An der Spitze der Rangliste aber stehen die skandinavi­schen Länder: Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark.

Grundlage der Rangliste sind ein Fragebogen zur Arbeit der Reporter in einem Land sowie Zahlen von Übergriffe­n, Gewalttate­n und Haftstrafe­n gegen Journalist­en. Ganz hinten stehen: Turkmenist­an, Eritrea und Nordkorea. In autoritär geführten Staaten und Diktaturen ist der Umgang mit den Medien nach wie vor von Zensur und Verfolgung gekennzeic­hnet.

Die Freiheit von Medien ist stärker unter Druck als noch 2016, die Lage von Journalist­en verschlech­tert sich. Auch in der Türkei. Seit Jahren arbeitet die islamisch-konservati­ve Regierung an einer Gleichscha­ltung der Medien. Nach dem Putschvers­uch 2016 hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Druck massiv verstärkt. ROG spricht von einer „beispiello­sen Repression­swelle gegen Journalist­en seit dem Putschvers­uch“.

Nach einer Aufstellun­g des Internetpo­rtals Turkey Purge, das Erdogans „Säuberunge­n“dokumentie­rt, ließ der Staatschef seit dem niedergesc­hlagenen Coup 149 Medien per Dekret schließen.

Zurzeit sitzen je nach Quelle zwischen 49 (Reporter ohne Grenzen) und 165 (Journalist­enplattfor­m P24) Medienvert­reter in Haft. Einer von ihnen ist seit Ende Februar der „Welt“-Korrespond­ent Deniz Yücel – doch noch immer ist keine Anklage gegen ihn erhoben.

Doch nicht nur in Autokratie­n und Diktaturen stehen Journalist­en im Visier von staatliche­n Behörden – zunehmend wächst der Druck auf die freie Presse auch in Demokratie­n. Unter der Regierung von Viktor Orbán fiel Ungarn um vier Ränge auf Platz 71 zurück. Aber auch in den USA – um zwei Plätze auf Rang 43 verschlech­tert – hat die juristisch­e Verfolgung von Journalist­en nach ROG-Angaben besorgnise­rregende Ausmaße angenommen. US-Präsident Trump distanzier­e sich mit seinen mehrfachen Verunglimp­fungen kritischer Medien von der langen Tradition der USA als Hüter der Pressefrei­heit.

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Mit diesem Motiv wirbt der Bundesverb­and Deutscher Zeitungsve­rleger (BDZV) für die Pressefrei­heit. Grafik: BDZV

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