Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Recherchieren unter Gefahr
Weltweit ist Pressefreiheit bedroht – doch auch in Demokratien verschlechtert sich die Lage von Journalisten
WEIMAR. Plötzlich schert der Mann aus dem Demonstrationszug aus, rennt in Richtung Rathaustreppe auf den Fotoreporter zu – und schlägt zu. Der Mann trifft den Fotografen im Gesicht, die Lippe blutet. Es ist der 21. Februar 2016, die fremdenfeindliche MVgida, ein Pegida-Ableger in Mecklenburg-Vorpommern, protestiert in Grevesmühlen. Der Täter soll ein Rechtsextremist aus der Region sein. Ein Jahr später wird er zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Angriff auf den Journalisten ist ein Angriff auf die freie Presse in Deutschland. Auf das Recht zu berichten.
Die Körperverletzung des Reporters ist nicht der einzige Fall in Deutschland, in dem Journalisten attackiert werden: Mindestens 19 Journalisten seien 2016 angegriffen worden, davon 18-mal im Umfeld von Pegida, der AfD oder rechtsextremen Gruppen, teilte das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit mit. Immer wieder kommen die Täter demnach aus den Reihen der rechtspopulistischen oder rechtsextremen Szene. Journalisten berichten von Bedrohungen und Einschüchterungen. Diese kommen laut Reporter ohne Grenzen (ROG)– wenn auch in deutlich geringerer Anzahl – auch von Linksradikalen und Islamisten.
Auch in den USA kämpfen Journalisten mit Angriffen
Heute ist der Internationale Tag der Pressefreiheit – und im weltweiten Vergleich liegt Deutschland auf Platz 16 der LänderRangliste. Journalistenorganisationen kritisieren neben den Übergriffen auch die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung oder rechtswidrige Einsätze von verdeckten Ermittlern der Polizei wie beim linken Radiosender FSK in Hamburg. Auch der Informantenschutz ist laut ROG in Deutschland immer noch unzureichend – also der Schutz etwa von Angestellten, wenn sie Missstände in ihrer Firma oder in ihrem Amt öffentlich machen.
Trotz der Kritik ist die Situation von Journalisten in Deutschland vergleichsweise gut. An der Spitze der Rangliste aber stehen die skandinavischen Länder: Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark.
Grundlage der Rangliste sind ein Fragebogen zur Arbeit der Reporter in einem Land sowie Zahlen von Übergriffen, Gewalttaten und Haftstrafen gegen Journalisten. Ganz hinten stehen: Turkmenistan, Eritrea und Nordkorea. In autoritär geführten Staaten und Diktaturen ist der Umgang mit den Medien nach wie vor von Zensur und Verfolgung gekennzeichnet.
Die Freiheit von Medien ist stärker unter Druck als noch 2016, die Lage von Journalisten verschlechtert sich. Auch in der Türkei. Seit Jahren arbeitet die islamisch-konservative Regierung an einer Gleichschaltung der Medien. Nach dem Putschversuch 2016 hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Druck massiv verstärkt. ROG spricht von einer „beispiellosen Repressionswelle gegen Journalisten seit dem Putschversuch“.
Nach einer Aufstellung des Internetportals Turkey Purge, das Erdogans „Säuberungen“dokumentiert, ließ der Staatschef seit dem niedergeschlagenen Coup 149 Medien per Dekret schließen.
Zurzeit sitzen je nach Quelle zwischen 49 (Reporter ohne Grenzen) und 165 (Journalistenplattform P24) Medienvertreter in Haft. Einer von ihnen ist seit Ende Februar der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel – doch noch immer ist keine Anklage gegen ihn erhoben.
Doch nicht nur in Autokratien und Diktaturen stehen Journalisten im Visier von staatlichen Behörden – zunehmend wächst der Druck auf die freie Presse auch in Demokratien. Unter der Regierung von Viktor Orbán fiel Ungarn um vier Ränge auf Platz 71 zurück. Aber auch in den USA – um zwei Plätze auf Rang 43 verschlechtert – hat die juristische Verfolgung von Journalisten nach ROG-Angaben besorgniserregende Ausmaße angenommen. US-Präsident Trump distanziere sich mit seinen mehrfachen Verunglimpfungen kritischer Medien von der langen Tradition der USA als Hüter der Pressefreiheit.