Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Geringe Geldauflagen nach Weimarer Mai-Überfall
Prozess gegen fünf Angeklagte wird eingestellt – Verzicht auf Beweisaufnahme – Ein Angeklagter taucht zur Verhandlung nicht auf
WEIMAR. Der Nazi-Überfall auf die DGB-Kundgebung in Weimar am 1. Mai 2015 hat bundesweit Schlagzeilen gemacht: Jetzt, zwei Jahre später, haben sechs junge Männer vor Gericht in Weimar gestanden. Das Verfahren, das nach Jugendstrafrecht geführt wurde, wird gegen Geldauflagen (zwischen 350 und 650 Euro) eingestellt. Staatsanwalt und Verteidiger hatten sich darauf geeinigt. Verfahrensökonomische Gründe führte Richter Karl-Heinrich Götz als Grund dafür an, das Verfahren gegen mittlerweile nur noch fünf Angeklagte schlussendlich einzustellen.
Am 1. Mai 2015 hatte eine Gruppe teilweise vermummter Personen die Kundgebung auf dem Weimarer Markt überfallen. Unter ihnen war auch der bekannte Neonazi Pierre D., der noch gesondert verfolgt werde, hieß es im Gericht. Weitere Verfahren würden ebenfalls ausstehen.
Bei dem Überfall war seinerzeit mindestens eine Person verletzt worden, die gestern auch als Nebenkläger auftrat. Der Mann aus Weimar erhält von den fünf Angeklagten jeweils 100 Euro als Schmerzensgeldzahlung. Diese und eine weitere Geldauflage muss von den jungen Männern bezahlt werden, damit das Verfahren vollständig eingestellt wird.
Der Prozess begann bereits mit Verzögerungen. Denn einer der Angeklagten war nicht auffindbar. Auch sein Verteidiger konnte nichts über seinen Verbleib sagen. Bei dem jungen Mann, der nicht aufgetaucht ist, handelt es sich um jene Person, gegen die mindestens ein weiteres Strafverfahren läuft. Außerdem, hieß es im Gericht, sei gerade ein Strafverfahren gegen den Angeklagten abgeschlossen worden und der Auszug aus dem Bundeszentralregister weise weitere Eintragungen auf. Der Angeklagte N. ist auch jener aus dem Sextett, dem ein direkter Kontakt in die rechtsextreme Szene in Brandenburg nachgewiesen werden kann.
Sein Nichterscheinen in Weimar führte indes dazu, dass das Verfahren gegen ihn abgetrennt wurde und es zu einem gesonderten Prozess kommen wird. Die übrigen fünf kamen mit einem blauen Auge davon, obwohl zuvor der Nebenkläger in seiner Zeugenaussage das Geschehen untermauerte und unmittelbar davor mehrere Videosequenzen gezeigt wurden.
Der Nebenkläger erklärte, er habe an diesem Tag „eine Art militärische Marschformation“wahrgenommen, die auf ihn wie ein „SA-Sturmtrupp“gewirkt hätte und mit „äußerster Präzision“vorgegangen sei. Er habe sich den Störern in den Weg gestellt, sei zur Seite geschubst und später, als einer aus der Gruppe dem Bundestagsabgeordneten Carsten Schneider (SPD) das Mikrofon entrissen hatte, noch mit einer Latte attackiert worden. Außerdem seien ihm „kurze, ansatzlose Faustschläge auf den Kopf“zugefügt worden – der Arzt im Krankenhaus stellte später eine Prellung fest.
Die Angeklagten, die bis dato keinerlei Aussage zur Sache gemacht hatten, erklärten sich über ihre Verteidiger bereit, dem Geschädigten ein Schmerzensgeld zu zahlen. Damit war auch klar, dass sie bei dem Angriff dabei gewesen sein mussten.
In welcher Rolle allerdings, das wird das Gericht nicht mehr aufklären. Auf eine Beweisaufnahme wurde verzichtet.
Im gesamten Verfahren spielten die ideologischen Hintergründe keine Rolle. Auch nicht die vom Angeklagten geschilderte militärische Marschformation, die durch die gezeigten Videos unterlegt wurde.
Martina Renner (Linke), Bundestagsabgeordnete aus Thüringen, hat den Prozess gestern beobachtet und zeigte sich im TLZGespräch schockiert: „Staatsanwaltschaft und Gericht haben bewusst die Möglichkeit ausgeschlagen,
in einer Beweisaufnahme zu klären, wer organisatorisch für diesen Angriff durch Neonazis verantwortlich ist und die Körperverletzung begangen hat.“Dass der gesondert verfolgte Pierre D. Vorsitzender der NPD-Nachwuchsorganisation in Brandenburg ist, zeige die Verbindung zur JN. Die Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus sei durch das höchste deutsche Gericht festgestellt worden.
„Aber der politische Hintergrund spielte in diesem Verfahren überhaupt keine Rolle. Die Tat-Choreographie war eindeutig darauf angelegt, Parallelen zum 1. Mai 1933 zu ziehen“, sagte Renner.