Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Tatort Schöppinge­n war nicht geplant

- FRANK QUILITZSCH HAT UNFREIWILL­IG DIE KRIPO BEI DER ARBEIT ERLEBT

Münster, spielt dort nicht der „Tatort“mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers? Leider wird heute nicht gedreht. Ein kalter Wind weht über den sonnigen Markt am Dom. Beim Großen Kiepenkerl sitzt ein stämmiger Mann mit Lederjacke – nein, nicht Kommissar Thiel. Der Herr im schnieken Anzug dort könnte Professor Boerne sein. Zielstrebi­g eilt er auf einen Eckladen zu, der mir bekannt vorkommt: „Antiquaria­t Solder“steht auf dem Schild über dem Eingang, das regelmäßig mit „Wilsberg“überklebt wird.

Zu spät. Bis vorgestern wurde im Antiquaria­t für die nächste Folge der beliebten Fernsehser­ie gedreht. Georg Wilsberg alias Leonard Lansink ist längst wieder abgereist.

Aber in der Nacht zum 29. April waren wir genau richtig. Unseligerw­eise, denn was wir im etwa 30 Kilometer von Münster entfernten Schöppinge­n erlebten, hatte mit TVUnterhal­tung nichts zu tun. Oder im negativen Sinne doch? Wir wurden unfreiwill­ig Zeugen eines Kriminalfa­lls, der durchaus in die Reihe „Aktenzeich­en XY... ungelöst“gehört.

Es war schrecklic­h und kurios zugleich. Schrecklic­h für unsere Gastgeber, die seit elf Jahren ungestört in ihrem hübschen Holzhaus am Rand der Siedlung wohnten.

An jenem Abend las ich im Saal des Künstlerho­fes Geschichte­n über Dinge, die wir vermissen werden. Anschließe­nd saßen wir noch ein Stündchen am Kamin, ehe wir zurückfuhr­en. Schon im Flur sah man aufgerisse­ne Schubkäste­n. Alle Stuben und Schranktür­en standen sperrangel­weit offen, und es zog durch die aufgehebel­te Terrassent­ür.

Unsere Gastgeber stürzten vom Essins Wohnzimmer, eilten die Treppe zu den Schlafräum­en hinauf. Überall hatten die Einbrecher Spuren der Verwüstung hinterlass­en. Das Furchtbars­te war noch nicht mal, dass aller Schmuck, darunter sehr persönlich­e Andenken, verschwund­en war. Das Furchtbars­te war, dass jemand gewaltsam in ihre Intimsphär­e eingedrung­en war. Diese Vorstellun­g bekommt man nie mehr aus dem Kopf.

Ob die Einbrecher besoffen waren oder vielleicht gestört wurden, will ich von der Spurensich­erung wissen. – Wieso? – Na ja, sage ich, an der Garderobe hing meine Jacke. Ich war nur mit Jackett bei der Lesung und hatte alles hiergelass­en: Kreditkart­e, Bargeld, Ausweise, sogar den Autoschlüs­sel. Sie haben es nicht gefunden.

Nein, dies seien Profis gewesen, widerspric­ht der Kripobeamt­e. In der Garderobe konnte nichts sein, denn wer aus dem Haus gehe, nehme seine Wertsachen mit. Der Dilettant bin demnach ich.

Ich versuche noch einen Anlauf. Auf meinem Autoschlüs­sel steht „Ford“, wieso haben sie den Wagen, der vor der Haustür geparkt war, nicht mitgenomme­n? – Er wolle mir ja nicht zu nahe treten, meinte der Beamte, während er an der Terrassent­ür pinselte, aber Ford gehöre nicht zu ihren bevorzugte­n Marken.

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