Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
So macht Pubertät richtig Spaß
Gelungene Premiere in der Schotte über Heranwachsende und ihre Sorgen in der Inszenierung „Kann ich mal ich“
ERFURT. Spielt mal, wie es euch so geht, schien die Aufforderung an die Akteure gewesen zu sein. 22 pubertierende Schotte-Kinder spielen 22 pubertierende Mädchen und Jungen. Und das auf eine Weise, dass die Schotte ihrem guten Ruf wieder einmal gerecht wird. So schön kann Theater sein.
„Kann ich mal ich“ist die Szenencollage in der Regie von Steffi Lang und Steffen Wilhelm betitelt. Sie ist gewissermaßen eine -zigfache Premiere: Denn nahezu alle Jugendlichen auf der Bühne haben bislang nur in Etüdengruppen gespielt. Jetzt, endlich, dürfen sie auf die große Bühne. Sie genießen diese 65 Minuten mit Spielwitz, Humor und Stimmengewalt. Und sie fühlen sich damit sozusagen im Wohnzimmer der Schotte richtig sauwohl.
Raus aus der Kindheit und rein ins volle Leben bedeutete Freitagabend beispielsweise die Klaviatur aller nur denkbaren Unsicherheiten. Versteckt natürlich hinter Provokation oder Verweigerung. Der Regie sind dafür gute Ideen gelungen. Vier Jugendliche bereiten sich, so scheint es, auf den Boxkampf vor. Mit Handtuch und Trainer und Stühlen in zwei entgegengesetzten Ecken. Tatsächlich aber geht es um so viel mehr als ums Boxen. Wie kommt der Junge an ein umschwärmtes Mädchen? Und wie soll sie damit umgehen, wenn er sich auf sie zu bewegt? Lässig, versteht sich. Und mit schweißnassen Händen. Der vermeintliche Kampf geht, wie könnte es anders sein, zunächst einmal für beide verloren.
Das Etüdenstück wirkt so unverstellt, als hätten die Jugendlichen sehr viel in die Szenenarbeit eingebracht. Es gibt Lachen, und es gibt immer wieder Szenenapplaus, und es gibt Zwischenrufe.
„Es gibt keine normalen Familien mehr“, heißt es zu Beginn einer Szene. Und dann wird flott gespielt und aufgezählt, welche Familien stattdessen im Alltag der Jugendlichen eine Rolle spielen: schwule Väter, neue Väter, alte Väter. Ganz junge Mütter. Mütter allein zu Haus. Na ja, und manchmal gibt es auch noch Vater, Mutter und Kind.
Pubertät ist, wenn Eltern schwierig werden. Aber an diesem Abend, da es um vergessene Schlüssel und Scham und Verliebtheit und Essen und Angeberei und Handy und Tanzschule geht, da sind die im Zuschauerraum beinahe dankbar dafür, was so alles während der Pubertät passiert. Und offensichtlich eben nicht nur in der eigenen Familie. Im Publikum sitzen neben den beinahe erwachsenen Schotte-Jugendlichen tatsächlich viele Eltern und Großeltern der Mädchen und Jungen auf der Bühne. Und sie sind vergnügt wie die im Rampenlicht.
Doch es geht keineswegs um Klamauk. Es kommt schon deutlich herüber, dass Pubertät eine ernst zu nehmende Erkrankung ist, die einige Jahre dauern kann. Das Mobben wird mit gebotenem Ernst gespielt und auch die ungeheuren Anforderungen an das heranwachsende Mädchen, die von guten Zensuren über gute Laune über gute Hilfe und gute Miene reichen. Da schimmert durch, was Erwachsene manchmal vergessen: Während der Pubertät geraten die Heranwachsenden über ihren Körper und über vom Sockel gestürzte Mütter und Väter in ernsthafte Krisen.
Wieder einmal ist Coco Ruch eine wunderbare Ausstattung gelungen. Der zu Recht aufbrandende frenetische Beifall und das laute Trampeln mit den Füßen in Anschluss an die Inszenierung befeuerte die gute Stimmung und bestätigt: Ohne Schotte wäre Erfurt ärmer dran als ein Kind in der Pubertät.