Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Erfurts letzter Stadtarchitekt
Professor Walter Nitsch feiert heute seinen 90. Geburtstag. Bild der Landeshauptstadt entscheidend mitgeprägt
ERFURT. Zum 90. Geburtstag erinnern wir an den bekannten Erfurter Architekten Professor Walter Nitsch. Er war als Stadtarchitekt in herausragender Position für Erfurt von 1962 bis zu seinem Ruhestand 1990 tätig. Das heutige Bild der Stadt mit dem weitgehend erhaltenen Stadtzentrum ist seiner klugen Abwägung zu danken, zwischen der Forderung nach Wohnungsneubau auf der grünen Wiese und seinem Engagement einer behutsamen Sanierung der Innenstadt.
Während seiner Amtszeit entstanden die Neubaugebiete im Norden und Südosten der Stadt. Die städtebauliche Qualität dieser Gebiete hing ab von den technologischen Möglichkeiten des Wohnungsbaukombinates, die ausschließlich auf der Vorfertigung in Plattenbauweise basierten. Ein Drittel der Neubauwohnungen war Ersatz für Abrisse in der Innenstadt.
Nitsch erkannte den städtebaulichen Wert der Altstadt als Zeugnis mittelalterlicher Stadtbaukunst. Jeder Abriss historischer Substanz war Verlust Erfurter Stadtgeschichte. Die maßlosen Planungen der 1970er Jahre im Andreasviertel wichen der Realität – nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen.
Die Sanierungen in der Großen Arche und in der Auenstraße waren erste Anfänge einer Kehrtwende zugunsten des Erhalts der Innenstadt. Als Beispiel möge das Haus Michaelisstraße 49 am Benediktsplatz gelten: Nitsch hat sich jahrelang gegen den Abriss dieses Eckhauses verwahrt, obwohl der Zustand immer schlechter wurde. Er fragte immer wieder: Was können wir in heutiger Zeit diesem Bau-Denkmal entgegensetzen? Keiner fand eine Antwort; stattdessen stützten Handwerker des Denkmalbetriebes von Dr. Räder, Futterstraße, das Haus mehrere Male ab und verhinderten den Zusammenbruch. So wurde dieses Haus zu den Naumburgischen Kellern 1990 eines der ersten historischen Bürgerhäuser nach 1990, das mit Hilfe des Landes Rheinland-Pfalz saniert werden konnte und heute würdiger Auftakt für die Krämerbrücke ist.
Als Chef des Büros des Stadtarchitekten verfügte er über etwa 50 gut ausgebildete Architekten, Ingenieure und technische Mitarbeiter. Das Arbeitsgebiet reichte von der Generalbebauungsplanung der Stadt, über die Neubaugebiete, die Innenstadtsanierung bis zum EinfamilienStandort.
Walter Nitsch konnte seine Mitarbeiter durch persönliche Nähe motivieren, war aber auch manchmal ungeduldig, wenn es nicht schnell genug ging oder seine Ideen konterkariert wurden. Wünsche oder Forderungen der städtischen oder staatlichen Obrigkeit, die vor allem zu Lasten der Innenstadt mit ihrem weitgehend erhaltenen historischen Kern hinausliefen, konnte er häufig abwenden oder überzeugend modifizieren.
Er kümmerte sich um die persönlichen Probleme der Mitarbeiter, wie Wohnungssuche, half bei der Überwindung von familiären Problemen und hatte immer ein offenes Ohr. Nitsch ist ein begnadeter Zeichner: Er kann in Minutenschnelle skizzieren, hat einen „lockeren Strich“beim Freihandzeichnen, entwickelt Grundrisse und Fassaden, die -zeitlos- auch noch heute jeden Betrachter überzeugen.
An der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar hatte er eine Professur für perspektivische Darstellungen. Die Grundlagen für diesen Lehrauftrag entwickelte er neben seiner anstrengenden Alltagsarbeit.
Die politischen Rahmenbedingungen erlaubten es leider nicht, sich gleichrangig neben die westdeutschen Kollegen zu stellen, die den Wiederaufbau Deutschlands mit signifikanten Gebäuden bereicherten. Dennoch: Er gehört zu den namhaften Architekten Deutschlands der 1970er und 80er Jahre. Eine Würdigung steht aus, zumal er einer der dienstältesten Stadtarchitekten der DDR war. Erfurt ist heute eine vielgeliebte und vielbesuchte Stadt in der Mitte Deutschlands. Nitsch kann stolz auf die Stadt Erfurt sein, an deren heutigem Zustand er maßgeblich beteiligt war.
Der Autor dieses Beitrags, Bernd Schöller, war von bis Stadtplaner, seit am Institut für Denkmalpflege beschäftigt und ab bis Amtsleiter im Denkmalschutzamt.