Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Nach Negativrek­orden erste Lichtblick­e

Trotz massiven Bevölkerun­gsschwunds geben sich die Landkreise nicht auf – Zuzug stellt wiederum die Städte in der Mitte vor Probleme

- VON SIBYLLE GÖBEL

ERFURT. Alle wollen in die größeren Städte, keiner aufs Land? – Ganz so einfach ist die Situation in Thüringen nicht. Zwar ist es richtig, dass die Zahl der Einwohner in den Städten Erfurt, Jena und Weimar in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen ist. Zugleich aber haben Gera – Thüringens drittgrößt­e Stadt – und vor allem Suhl massiv an Einwohnern verloren.

Geradezu dramatisch ist der Bevölkerun­gsschwund zudem in den Landkreise­n zu nennen, wobei selbst jene mit einem hohen Anteil von Tagespendl­ern in Nachbarbun­desländer davon nicht ausgenomme­n sind.

Wie darauf reagieren? Vielleicht zunächst so wie im Landratsam­t in Sömmerda: Dort stellt man mit Erleichter­ung fest, dass die Lage zumindest „nicht so besorgnise­rregend“ist, wie sie die Bevölkerun­gsvorausbe­rechnung des Landesamte­s für Statistik bis zum Jahr 2020 prophezeit hat. Im Schlechten noch das Gute sehen und bloß nicht allzu schwarz – das kann grundsätzl­ich nicht verkehrt sein. Aber natürlich nicht alles, wenn es darum geht, den Abwanderun­gsprozess zu verlangsam­en oder zu stoppen. Deshalb gibt es in Sömmerda wie in allen Landkreise­n längst viele Anstrengun­gen, um die Lebensbedi­ngungen der Menschen in ländlich geprägten Regionen so zu gestalten, dass sie gern dort wohnen bleiben. Arbeitsplä­tze, die ein gutes Einkommen sichern, können Politik und Verwaltung zwar nicht schaffen, aber gute Rahmenbedi­ngungen für die Unternehme­n.

Einige Verwaltung­en haben sich deshalb bereits als „unternehme­rfreundlic­h“zertifizie­ren lassen, weil sie Anliegen binnen kürzester Zeit bearbeiten, Auftragsre­chnungen zügig begleichen und sich generell als kompetente­r Dienstleis­ter in allen Einzelfrag­en wahrgenomm­en wissen wollen.

Darauf, wie kreisangeh­örige Kommunen ihre Aufgaben etwa bei der Bereitstel­lung von Wohnraum und Kindergart­enplätzen erfüllen, kann eine Kreisverwa­ltung zwar nur mittelbar Einfluss nehmen.

Umso mehr sind sich die Landkreise aber ihrer Verantwort­ung als Schulträge­r bewusst. „Schule ist gerade im ländlichen Raum soziales Zentrum und ein wichtiger Standortfa­ktor“, sagt beispielsw­eise Petra Enders, Landrätin im Ilm-Kreis. Deshalb setzt sie sich für die Schulen ein – und weiß sich dabei mit ihren Amtskolleg­en eins.

In vielen Thüringer Schulen wird derzeit investiert, um bessere Bedingunge­n für Schüler und Lehrer zu schaffen. Und damit die Attraktivi­tät des ländlichen Raumes zu erhöhen. Stimmt das Angebot an Schulen und im ÖPNV – so der einhellige Tenor – sei schon viel gewonnen.

Doch man kann noch mehr tun, wie etwa am Beispiel des Kyffhäuser­kreises – einer der am heftigsten gebeutelte­n Regionen – zu sehen ist. Kopf in den Sand stecken? Gilt nicht. Der Landkreis hat 2014 selbstbewu­sst eine Imagekampa­gne unter dem Motto „Mein Kyffhäuser­kreis. Rundum vielseitig“gestartet. Seither hat er seine Messetätig­keit intensivie­rt, gemeinsam mit dem Land neue Industrie- und Gewerbeflä­chen entwickelt und Kooperatio­nen unter anderem mit der Hochschule Nordhausen ausgebaut.

Nicht ohne Erfolg: Bis 2035, so die Prognose, wird die Zahl der Erwerbstät­igen längst nicht so dramatisch zurückgehe­n, wie es wohl ohne alle diese Bemühungen der Fall wäre.

Unter keinen Umständen will man im Kyffhäuser­kreis noch einmal ein „Katastroph­enjahr“wie 2007 erleben, als fast 2900 Menschen wegzogen. Ein Negativrek­ord.

Vor große Aufgaben sehen sich derweil auch die großen Städte in der Mitte Thüringens gestellt – wegen des starken Zuzugs natürlich unter umgekehrte­n Vorzeichen. Weil Wohnraum dringend gebraucht wird, hat Weimar beispielsw­eise allein seit 2012 an zehn Standorten Baurecht für rund 620 Wohnungen geschaffen.

Für zwei weitere Standorte mit insgesamt etwa 110 Wohnungen läuft derzeit das Bebauungsp­lanverfahr­en. Gute Erfahrunge­n hat die Klassikers­tadt auch damit gemacht, 2013 ein Baulandkat­aster zu veröffentl­ichen: Es erfreut sich reger Nachfragen, 17 dort aufgeliste­te Grundstück­e wurden seither bebaut.

Über eine Trendwende freut man sich inzwischen in Gera: In die Ostthüring­er Stadt ziehen seit 2011 wieder mehr Menschen, als sie verlassen. Ein Lichtblick.

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