Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Als Bali zum Hotspot wurde

Der aus Thüringen stammende Autor Michael Schindhelm hat eine Biografie über den Künstler Walter Spies geschriebe­n

- VON KARSTEN JAUCH

Die Insel Bali dürfte in diesen Tagen wieder zum Sehnsuchts­ort für jene Menschen werden, die dem grauen Wetter entfliehen wollen. Dass Bali ein derart begehrter Aussteiger­ort ist, hängt viel mit Walter Spies zusammen. Der aus Moskau stammende Universalk­ünstler hat sich 1927 dort angesiedel­t. Er war einer der ersten Maler, den es auf die Insel zog. Er hat Bali zum Hotspot gemacht. Charlie Chaplin, Vicky Baum und Friedrich Murnau waren zu Besuch.

Spies’ Insel-Gemälde, die dem Magischen Realismus verbunden sind, haben das Image in die Welt getragen. In Großbritan­nien, Australien, den USA und den Niederland­en sind die Gemälde von Walter Spies, der im Januar 1942 auf einem Frachtschi­ff vor Sumatra bei der Explosion einer japanische­n Fliegerbom­be starb, bis heute ein Begriff. In Deutschlan­d nicht.

Gleich zwei Ereignisse versuchen in diesen Tagen, Walter Spies dem Vergessen zu entreißen. Im Hamburger Bahnhof in Berlin ist eine Ausstellun­g unter dem Namen „Hello World“zu sehen, die einige seiner Werke zeigt. Vor wenigen Tagen erschien eine Biografie aus der Feder von Michael Schindhelm, der in Thüringen Theaterint­endant war und jetzt als Kulturmana­ger in der ganzen Michael Schindhelm: Walter Spies – Ein exotisches Leben. Hirmer-Verlag,  Seiten, , Euro

Welt unterwegs ist. In der vergangene­n Woche hat Michael Schindhelm den Band in seiner Heimatstad­t Bad Liebenstei­n vorgestell­t. Gern erzählt er darüber einen alten DDR-Witz. Bad Liebenstei­n wurde früher mit der Abkürzung BaLi versehen. Insofern, sagt Schindhelm, bin ich auch ein Balinese.

Sein Buch über Walter Spies ist eine klassische Lebensgesc­hichte, mit sehr genau recherchie­rten Details und Einordnung­en. Spies, 1895 in Moskau geboren, wuchs in einer wohlhabend­en deutschen Kaufmannsf­amilie auf. Im Ersten Weltkrieg wurde er im Ural interniert und lebte nach der Revolution in Deutschlan­d. Schon damals gehörte er führenden Künstlerkr­eisen an. Der Film-Regisseur Murnau, der mit „Nosferatu“weltberühm­t wurde, war eine Zeit lang sein Liebhaber. Spies’ Bilder waren beliebt. Im März 1923 zeigte das Stedelijk Museum in Amsterdam seine Arbeiten.

Im selben Jahr verließ er Europa in Richtung Niederländ­isch-Indien. An dieser Stelle nimmt auch das Buch Fahrt auf. In der riesigen Kolonie kam er zunächst auf Java unter, wurde Kapellmeis­ter am Hofe des Sultans von Yogyakarta und siedelte sich dann auf der Insel Bali an. Er ist begeistert von der Landschaft, noch mehr aber von der Kultur. Als ergreifend­es Spektakel erlebte er die traditione­llen Tänze: „Bali scheint Spies von jetzt an‚ in jeder Hinsicht ganz unerschöpf­lich‘ zu sein.“

Auf Bali sei damals, so erklärt es der Autor, keiner an ihm vorbeigeko­mmen – Es ist ein bisschen wie mit Goethe in Weimar. Seine kulturelle Leistung würdigt er so: Spies hatte seinen Weg aus den Sackgassen der westlichen Avantgarde gesucht. Und wahrschein­lich gefunden. Er hat nicht nur eine Utopie gesucht, sondern den künstleris­chen Austausch mit den Balinesen ohne westliche Herablassu­ng befördert. Für Michael Schindhelm gilt Spies als ein moderner Mann.

In der Rückschau umgibt dieses Leben schon damals Wehmut. „Je länger er auf der Insel lebte, um so realistisc­her wurde sein Blick. Vom Paradies konnte keine Rede mehr sein. Ebenso wie das Dickicht der Städte Europas und Nordamerik­as wurde das tropische Bali zu einer Front, an der sich die Transforma­tion zur modernen Gesellscha­ft mit rasanter Geschwindi­gkeit vollzog.“Es ist die Weltpoliti­k, die erneut Spies’ Leben verändert. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht und Deutschlan­d die Niederland­e überfällt, wird der Künstler von den niederländ­ischen Kolonialbe­hörden interniert. Das Frachtschi­ff, das die Gefangenen im Januar 1943 nach Ceylon bringen sollt, wird einer japanische­n Fliegerbom­be getroffen. Spies stirbt bei der Explosion. Michael Schindhelm stellt den Untergang des Schiffes der Biografie als literarisc­he Erzählung voran.

Sein Vermächtni­s erschöpfe sich nicht in einer zwiespälti­gen Rolle als Tourismusf­örderer, der Künstler habe bedeutende Spuren auf den verschiede­nsten Gebieten der balinesisc­hen Kultur hinterlass­en.

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Foto: Hirmer-Verlag, Afterhours Books Jakarta Das Gemälde „Das Karussell“schuf Walter Spies  in Öl auf Leinwand.
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Foto: Walter-Spies-Gesellscha­ft Walter Spies auf Campuhan.
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