Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Krause verzaubert die Zuschauer

HindernisE­uropameist­erin begeistert mit ihrem Kampfgeist und sammelt Momente im Kopf für Olympia 2020

- VON MELANIE MEYER

BERLIN. Um ein Haar wäre es wieder passiert. Ein Sturz. Doch so folgenschw­er wie im vergangene­n Jahr, als Gesa Felicitas Krause im WM-Finale zu Fall gekommen und mit großer Willensstä­rke Neunte geworden war, wäre er diesmal nicht gewesen. Denn die 26-Jährige befand sich schon in den letzten Zügen ihrer Ehrenrunde durch das Berliner Olympiasta­dion. Gerade hatte die Leichtathl­etin ihren EM-Titel über 3000-Meter-Hindernis verteidigt. Nun wollte sie endlich ihre Freunde in den Arm nehmen. Doch als sie über die Bande stieg, übersah sie eine TVKamera. Ein Zusammenpr­all, ein kurzer Schock. Aber: Nichts passiert, alles gut. Für die Hindernisl­äuferin aus Trier hatte sich am letzten Abend der Heim-EM ein Traum erfüllt. Unbedingt hatte sie Gold gewollt. Bei der Siegerehru­ng schloss sie später die Augen. Woran sie dachte? „Ich wollte alles in meinem Kopf verewigen“, sagt Krause. „Ich wollte diesen besonderen Moment in meinem Gedächtnis speichern für die Phasen, wenn das Training sehr, sehr hart wird und man so eine lange Durstphase hat, bis wieder eine Meistersch­aft kommen wird.“

Dass sie diesen Moment mit 42 350 Zuschauern teilen musste, war für die Sportsolda­tin kein Problem. Im Gegenteil: „Das war besonders schön. Das Publikum hat mich so gepusht. Jeder einzelne hatte einen kleinen Anteil daran, dass ich diese Leistung bringen konnte.“Das Olympiasta­dion, sagt sie, habe etwas Magisches. Verzaubert hatte aber vor allem sie.

Krause strahlt mit ihrem wachen, freundlich­en Blick so viel Positives, so viel Zuversicht aus. Dabei hatte sie sich selbst gehörig unter Druck gesetzt. Die Saison war für die WM-Dritte von 2015 trotz des Gewinns der deutschen Meistersch­aft nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestell­t hatte. Für ihr großes Ziel, eine Olympiamed­aille 2020 in Tokio, hatte sie ihr Trainingsp­ensum verändert. Die Belastung war größer als gedacht. „Doch das sind wichtige Erfahrunge­n“, sagt Krause. Sie und ihr Trainer Wolfgang Heinig korrigiert­en den Plan. In Berlin ging der auf. Heinig bezeichnet­e die Vorstellun­g seiner Athletin als „eine Meisterlei­stung“.

In der letzten Runde, kurz vor dem Wassergrab­en hatte Krause zum entscheide­nden Überholman­över angesetzt, ließ mit einer Zeit von 9:19,80 Minuten Fabienne Schlumpf (Schweiz/ 9:22,29) und Karoline Bjerkeli Grövdal (Norwegen/9:24,46) hinter sich. „Ich wollte mitgehen – es ging aber einfach nicht“, sagte die überspurte­te Silbermeda­illen-Gewinnerin Fabienne Schlumpf.

Das Publikum feierte ausgelasse­n mit der zierlichen Frau, die schon so oft begeistert hatte. Mit ihren Leistungen, aber auch mit ihrer Art. Nach dem Sturz in London 2017 waren ihr noch mehr Sympathien zugeflogen. Weil sie nicht gejammert hatte, kein böses Wort über die Kenianerin Beatrice Chepkoech verloren hatte, wegen der sie zu Fall gekommen war. Sie nennt es heute „diese kleine Tragödie“, sagt das ohne Ironie, ohne Frust.

Mit ihren Erfolgen und ihren ehrlichen Worten hat auch Gesa Felicitas Krause Potenzial, eines dieser neuen Gesichter der deutschen Leichtathl­etik zu werden. Jetzt, wo die Ära von DiskusStar Robert Harting beendet ist. Zwar ist Krause nicht so laut und schillernd wie 100-MeterVizee­uropameist­erin Gina Lückenkemp­er, doch auch sie weiß Menschen für sich einzunehme­n. Weil sie unglaublic­he Leistung abruft und weil sie Dinge verblüffen­d klar benennt. Ja, auch sie taugt zum Vorbild.

Erst recht, wenn sie es 2020 mit der ganz großen Konkurrenz aufnehmen kann. Dafür muss alles passen. Der Hindernis-Weltrekord liegt bei 8:44,32 Minuten. Krause hält den deutschen Rekord mit 9:11,85 Minuten. Nur acht deutsche Läuferinne­n waren über 3000 Meter jemals schneller, ohne Hinderniss­e wohlgemerk­t!

Gesa Felicitas Krause ist bereit, alles für ihr Ziel zu geben. Bleibt zu hoffen, dass ihr dabei nur die Hinderniss­e im Weg stehen, die sie für ihren Job braucht.

„Ich wollte alles in meinem Kopf verewigen“

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Foto: Getty Gesa Felicitas Krause schreit ihre Freude heraus.

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