Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Außenstelle Thüringen
Wie das Land bei der Vergabe der Bundesbehörden besonders vernachlässigt wurde
ERFURT. Im Mai 1992 saß der Bundestag noch in Bonn – und auch sonst befand sich alles, was es an Bundeseinrichtungen und Behörden im frisch wiedervereinigten Deutschland so gab, in der BRD in den Grenzen von 1989. Das Parlament beriet deshalb den Bericht einer Kommission, die empfahl, eine ganze Reihe von Behörden in die neuoder wiederbegründeten Länder zu verlagern.
Nach Thüringen sollte das Bundesarbeitsgericht kommen, das damals noch in Kassel saß. Und tatsächlich zog es – nach allerlei Protesten im Hessischen – kurz vor Jahrhundertwende nach Erfurt um.
Doch dabei blieb es im Wesentlichen. Jenseits der Ansiedlung diverser Außenstellen übte sich die Altrepublik in Besitzstandswahrung. Im Ergebnis hat Thüringen, auf die Einwohnerzahl gerechnet, die wenigsten Bundesbeschäftigten.
Sogar neue Behörden gingen gen Westen. Und das, obwohl doch der Bundestag damals, im Mai 1992, beschlossen hatte: „Neue Bundeseinrichtungen und -institutionen sind grundsätzlich in den neuen Ländern anzusiedeln.“Außerdem heißt es ja im Grundgesetz, dass der Gesetzgeber auf „gleichwertige Lebensverhältnisse“in Deutschland hinwirken sollte.
Das Thema verschwand nie. Sämtliche Ostbeauftragte der Bundesregierung forderten immer wieder Gleichbehandlung, natürlich auch der aktuelle, aus Thüringen stammende, Amtsinhaber Christian Hirte (CDU). Zudem erinnerten die östlichen Ministerpräsidenten regelmäßig an das alte Versprechen.
Doch der Erfolg blieb übersichtlich. Immerhin die großen Forschungsgesellschaften, von Max-Planck bis Fraunhofer, gründeten in den neuen Ländern viele neue Institute.
Zuletzt erhöhte sich der politische Druck. Die AfD erzielte bei der Bundestagswahl vor allem in Ostdeutschland Erfolge – und in diesem Jahr stehen die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an.
Im April 2018 forderten die Ost-Ministerpräsidenten, das neue Behörden nur noch im Osten angesiedelt werden sollten. Kurz darauf entschied die Bundesregierung, das neue Fernstraßenbundesamt in Leipzig anzusiedeln. (Die Thüringer Landesregierung hatte vergeblich für Erfurt geworben.)
Nach der Übernahme des Vorsitzes der Ost-Ministerpräsidenten-Konferenz im Dezember zeigte sich Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) öffentlich ziemlich sauer – und wurde sehr konkret. „Ich verlange eine faire Behandlung“, sagte er der TA – „auch zum Beispiel bei der Frage, wo das neue nationale Batterieforschungszentrum hin soll“. So werde das Fraunhofer-Institut, das in Hermsdorf schon Batterieforschung betreibe, „mal eben übersehen“. Er bestehe „auf Vertragstreue“, sagte Ramelow.
Und nun? Der Ost-Beauftragte Hirte gibt sich kryptisch, aber hoffnungsfroh. Er sei wegen Thüringen in guten Verhandlungen, sagt er, mit mehreren Bundesministerien. Mehr könne er nicht mitteilen. Ansonsten gibt es seit vergangenem September wieder eine Kommission von Bundesregierung und Behörden. Ihre Bezeichnung: „Gleichwertige Lebensverhältnisse“.