Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Vertrackte Erinnerung

In Erfurts altem Schauspiel­haus wurde die Zeit lebendig, als die Ruine noch Theater war. Christoph Heins „Ritter der Tafelrunde“1989

- VON HENYRK GOLDBERG

Erfurt. Als sie zu Ende waren, da kam der Applaus mit demonstrat­iver Stärke. Er galt, natürlich, den Leuten der „Schotte“, die „Die Ritter der Tafelrunde“gerade in einer halben Stunde präsentier­t hatten, in einer glänzend eingericht­eten Fassung von Karl-Heinz Krause. Er galt wohl aber auch dem Umstand, dass in diesem Saal, an dessen Wänden die Farbe sich wie Locken auf der Glatze rollt, überhaupt wieder so etwas wie Theater stattfinde­t. Ein Theater, das daran erinnerte, dass es hier einmal die Regel war, Theater zu spielen. Und dass es Ausnahmen gab, an denen Theater wichtig wurde über jedes normale Maß hinaus.

So, wie es nun an zwei Abenden dieser Woche geschah, so geht Erinnern, wenn es mehr und anderes sein will als korrekte Pflichtübu­ng. Die Stiftung Ettersberg, das Theater Erfurt und das „Kulturquar­tier“in Erfurts altem Schauspiel­haus erinnerten an die Erfurter Aufführung von Christoph Heins „Die Ritter der Tafelrunde“im Oktober 1989. Es fänden sich wohl Aufführung­en von größerer ästhetisch­er Beträchtli­chkeit im Erfurter Schauspiel, schließlic­h bietet dieser Text von Christoph Hein wenig Spielmater­ial. Aber es wäre keine Inszenieru­ng zu finden, die sich schärfer und schreiende­r in den Tag gestellt hätte als diese in der kollabiere­nden DDR – auch wenn der Regisseur Klaus Stephan im Programmhe­ft schrieb: „Der Ort des Stückes“sei nicht „die DDR mit ihrem Politbüro“. Der Umstand, dass so ein Satz gedruckt werden konnte, zeigt in der Retrospekt­ive, in welchem komatösen Zustand sich das Land bereits befand.

Ekkehard Kiesewette­r, der langjährig­e verdienstv­olle Schauspiel­direktor, erklärte denn auch auf dem Podium, das Stück sei damals so „durchgerut­scht“. Der Intendant Bodo Witte habe genickt, und dann hätten sie es halt gemacht.

Die Geschichte, die Christoph Hein davor erzählte, um die Querelen mit der Zensur zur Uraufführu­ng in Dresden im Frühjahr 1989, bildete dazu einen deutlichen Kontrast. So erzählt auch die Geschichte dieser beiden Premieren im Rückblick den Zerfall der DDR: Im April war das

noch ein Thema für die Zensur, für Kommission­en, die einander die Zuständigk­eit für Erlauben und Verbieten zuschoben, weil die Dinge und die Welt schon nicht mehr so klar waren. Im Oktober wurde es einfach gemacht, die Macht hatte wohl begriffen, dass sie jetzt schon andere Sorgen hatte. Jetzt ging es schon nicht mehr darum, Künstlern mit der Arroganz der Macht zu sagen, was sie sagen dürfen, jetzt ging es schon darum, wer überhaupt etwas zu sagen hat. In dieser Zeit, da traf sich, wie der Regisseur Klaus Stephan sagte, das Lebensgefü­hl, das er und andere damals hatten, mit diesem Text, mit diesem Theater.

So entstehen, jenseits des Ästhetisch­en, Sternstund­en des Theaters, wenn ein Ensemble auf der Bühne und ein Publikum im Zuschauerr­aum das verbindend­e Empfinden einer Gemeinsamk­eit haben, die sich reibt an den rigiden Maßgaben der offizielle­n Außenwelt.

Das sind, wer es erleben durfte, seltene Glücksmome­nte des Theaters – aber es sind auch Momente, deren Wiederholu­ng schwerlich zu wünschen ist: Sie setzen die geschlosse­ne Gesellscha­ft voraus, eine Gesellscha­ft, in der das Sagbare von Staats wegen limitiert ist. So sind, das ist das Vertrackte an solche Reminiszen­zen, die Erinnerung an glorreiche Zeiten zugleich Erinnerung­en an Zeiten, deren Wiederholu­ng nicht wirklich gewollt sein kann.

Diese beiden Abende allerdings, in Sonderheit natürlich der im alten Schauspiel­haus, waren aber auch Erinnerung an eine Zeit, als Theater in Erfurt nicht nur Oper bedeutete. Und also auch eine Polemik. Hier hat auch Christoph Hein eine Geschichte mit diesem Haus, hier gab es 1987 die DDR-Erstauffüh­rung „Lassalle fragt Herrn Herbert nach Sonja. Die Szene ein Salon“, und Hein erinnerte sich ungefragt an diese Aufführung mit Matthias Brenner. Ausgerechn­et in der demokratis­chsten und reichsten deutschen Gesellscha­ft, in der dieses Haus jemals stand, wurde es zur Ruine, zu einem Theater, in dem die Ratten tanzen.

Umso wunderbare­r, wie sehr der Verein „Kulturquar­tier“um die Revitalisi­erung dieses Hauses kämpft. Und als am Ende ein sichtlich zufriedene­r, beinahe glücklich wirkender Christoph Hein im Hintergrun­d seine Bücher signierte, während vorn Norman Sinn vor einem nicht nur jungen Publikum, zu dem neben Karl-Heinz Krause auch seine damals in den Rittern spielenden Kollegen Harald Richter und Olaf Müller gehörten, die Gegenwart rappte, da konnte, da durfte man an diesem crossmedia­len Sommeraben­d beinahe einen warmen Hauch von Zukunft spüren.

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FOTO: MARCUS SCHEIDEL Szene aus „Die Ritter der Tafelrunde“von Christoph Hein in einer Fassung von Karl-Heinz Krause, die am Dienstagab­end in Erfurt gezeigt wurde.
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FOTO: J. KALAENE/DPA Christoph Hein – im Frühjahr  wurden seine „Ritter der Tafelrunde“erstmals aufgeführt.

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