Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Gehäuse des Menschen
Das Lindenau-Museum in Altenburg zeigt Matthias Schallers großformatige Fotokunst aus Italien – mit Bezügen zur eigenen Sammlung
Altenburg. Zeitgenössische Fotografie dominiert diesen Sommer das ehrwürdige Lindenau-Museum zu Altenburg. Das traditionsreiche Haus, das in seiner Sammlung mit italienischer Malerei der Vorrenaissance renommiert, zeigt seit dieser Woche 170 Werke des namhaften schwäbischen Künstlers Matthias Schaller. Der studierte Kulturanthropologe, Jahrgang 1965, hat selbst die Exponate aus vier seiner großen BilderZyklen ausgewählt.
Unverkennbar stellt sich Schaller in eine formal strenge Tradition der künstlerischen Dokumentarfotografie und steht durchaus in einer Reihe mit Altvorderen wie Bernd und Hilla Becher oder Candida Höfer. Vollständig zu sehen – und das an einer einzigen Wand – sind die unglaublichen 150 „Fratelli d‘Italia“, die Brüder Italiens: lauter Opernhaus-Interieurs, jeweils von einem zentralen Punkt der Bühne aus auf die Ränge des Zuschauerraums fotografiert. Diese Logen stehen für verschworenen Musikgenuss: Man schaut in verblüffender Gleichförmigkeit auf leere, rote Plüschsessel, deren streng geordnete Staffeln vom Weißgrau der Balustraden strukturiert und von der leuchterbekrönten Ornamentik der Decken erhöht wird. Majestätisch wirkt jeder dieser kunstheiligen Räume – zu lokalisieren von den Alpen bis zur Spitze des Stiefels oder von Agrigent bis Volterra. In der Ansammlung indes entsteht ein manieristischer Eindruck, als wolle Schaller die Rituale des Kunstkonsums ironisieren. Die strikte Lakonik der menschenleeren Gehäuse fördert diese heitere Ambivalenz. Ähnliche Assoziationen weckt die „Purple Desk“-Serie, für die Schaller im Vatikan die Schreibtische und Arbeitszimmer kirchlicher Amtsund Würdenträger abgelichtet hat. Auch hier sprechen die gediegenen, kostbaren Interieurs für ihre Bewohner – zwischen gezügelter Prunklust und extrovertierter Bescheidenheit. Eine aparte Volte spendet der Kontrast zur Dauerausstellung der italienischen Tafelbilder: hier der hehre Ausdruck von Anbetung des Heiligen, dort eine Dokumentation der Glaubens-Verwalter. Für seinen „Leiermann“-Zyklus besuchte Schaller zwischen 2010 und 2018 die Palazzi Venedigs und zeigt deren alte, in Würde ergrauten herrschaftliche Säle in fast zur Farblosigkeit stilisierten Indirektheit: durch den Blick in deren Spiegel. Damit nimmt der postmoderne Künstler ein tradiertes RomantikMotiv wieder auf und schenkt den leeren, gleichwohl mittelbar beseelten Räumen eine kühle Magie.
Schließlich führen vier Beispiele aus der „Meisterstück“-Serie direkt in die Kunstwelt: Schaller hat die Paletten berühmter Maler in Großaufnahmen fotografiert, und so wirken die Arbeitsgeräte – hier von Picasso, van Gogh, Kandinsky und Twombly – wie absichtsvoll abstrakte Arrangements.
Ritualisierter Kunstkonsum von Agrigent bis Volterra
• Die Ausstellung läuft bis Sonntag . September. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags bis Uhr, samstags/sonntags bis Uhr.