Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Vergabegesetz fällt bei Wirtschaft und CDU durch
Rot-Rot-Grün will Vergabe öffentlicher Aufträge an Mindestlohn von 11,42 Euro koppeln
Erfurt. Der mit dem neuen Vergabegesetz von Rot-Rot-Grün geplante Mindestlohn von 11,42 Euro bei Aufträgen des Landes fällt beim Verband der Wirtschaft Thüringens (VWT) ebenso durch wie bei der größten Oppositionskraft im Landtag.
„Gute wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen sehen anders aus“, sagte VWT-Präsident Hartmut Koch. Das Interesse von Unternehmen, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen, werde kaum steigen. „Wenn man sich vor Augen führt, dass zum Beispiel der Baumindestlohn 12,20 Euro beträgt, dann fragt man sich, ob ein Unterschied von 78 Cent der richtige Ansatz ist, um zwischen einem Facharbeiter und einem Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung zu unterscheiden. Wo bleibt da das Lohnabstandsgebot?“, sagte der CDU-Abgeordnete Mario Voigt. Dagegen nannte Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) die gestern erzielte Einigung der Koalitionsfraktionen einen „vertretbaren Kompromiss, mit dem ein guter Ausgleich zwischen vielen unterschiedlichen Interessen und Forderungen erreicht wird“. Durch die Einführung des Günstigkeitsprinzips könne man sicherstellen, dass Arbeitnehmer immer mindestens das vergabespezifische Mindestentgelt von 11,42 Euro bekommen, auch wenn davor schwächere Bedingungen ausgehandelt worden seien, betonte der LinkeParlamentarier Dieter Hausold. Das Gesamtgesetz könnte im Juli vom Landtag beschlossen werden und Ende des Jahres in Kraft treten. Es wird dem Wirtschaftsministerium zufolge erstmals nach acht Jahren evaluiert, die speziellen Regelungen zum Mindestlohn nach vier Jahren. Die Höhe des Mindestlohns wird jährlich überprüft, erstmals zum 1. Januar 2021.
Erfurt. Die Vergabe öffentlicher Aufträge soll künftig an einen Mindestlohn von 11,42 Euro pro Stunde geknüpft werden. Darauf haben sich die rot-rotgrünen Koalitionsfraktionen gesternimZugederNovelledes Vergabegesetzes geeinigt. Sollte in der kommenden Woche auch der Wirtschaftsausschuss des Landtags zustimmen, geht eine jahrelange Debatte ihrem Ende entgegen. Anfang Juli, in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause, könnte der Landtag das Gesetz endgültig beschließen. Wird das Gesetz im gleichen Monat auch noch offiziell verkündet, tritt es zum 1. November in Kraft, ansonsten zum 1. Dezember.
Den ersten öffentlichen Aufschlag mit der Korrektur des Vergabegesetzes wagte Wolfgang Tiefensee bereits im März 2017. Thüringens Wirtschaftsminister hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Änderungsbedarf am aktuellen Paragrafenwerk ausmachte. Es ging darum, bürokratische Hürden zu senken und kleinen Unternehmen den Zugang zu Aufträgen zu erleichtern. Ende des Jahres werde er eine überarbeitete Fassung des Gesetzes vorlegen, kündigte Tiefensee an.
Der erste Entwurf sah mindestens 9,54 Euro vor
Es dauerte ein paar Monate länger. Aber Mitte Februar 2018 stellte Tiefensee seinen Entwurf vor. Für den Fall dass Firmen nicht nach Tarif zahlten, war darin ein Stundenlohn von mindestens 9,54 Euro vorgesehen. Das Entgelt lag damit über dem seinerzeitigen gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro. Streit gab es auch damals schon. Während zumindest in Teilen der Wirtschaft die Neuerungen abgelehnt wurden, verlangte Arbeitnehmervertreter noch höhere Sozialstandards. Die Kontroverse zog sich hin. Und so kam es, dass das Gesetz erstmals am 1. Februar dieses Jahres vom Landtag beraten wurde.
Mittlerweile war der gesetzliche Mindestlohn gestiegen und Tiefensee stockte konsequenterweise ebenfalls auf. 10,04 Euro standen jetzt im Gesetz. Der größte Koalitionspartner jedoch war unzufrieden und forderte mindestens 12 Euro. Auch wenn deren Wirtschaftspolitiker Dieter Hausold den Druck auf den Minister in Grenzen halten wollte und betonte, dass es sich dabei ausdrücklich nicht um ein Ultimatum handele. Auch die Grünen wünschten sich mehr, um endlich das Image des Freistaats als Niedriglohnland loszuwerden.
Die Opposition von CDU und AfD hatte naturgemäß auch vieles auszusetzen. Daran hat sich nichts geändert. Zur Einigung im Koalitionsausschuss heißt es vom CDU-Wirtschaftsexperten Mario Voigt: „Während sich die Linkskoalition für die Steigerung der Investitionsquote im Haushalt feiert, beschließt sie gleichzeitig Gesetze, die Investitionen verhindern.“
Die AfD habe bereits vor einem Jahr einen höheren vergabespezifischen Mindestlohn gefordert, teilt deren Parlamentarischer Geschäftsführer Stefan Möller gegenüber dieser Zeitung mit.
Die rot-rot-grünen Bündnispartner sehen derweil einen bedeutenden Schritt in Richtung „Gute Arbeit für Gute Löhne“. Dadurch würden sozial-ökologische Kriterien gestärkt und ein starkes Vorbild mit Tariftreue für alle Branchen in der Landesvergabe geschaffen, das Thüringen bundesweit zum Vorreiter mache.
Tiefensee ist ebenfalls sehr von der eigenen Arbeit überzeugt, redet von einem „modernen, handhabbaren, ausbalancierten Gesetz“.
Der vergabespezifische Mindestlohn kommt für diejenigen Unternehmen in Betracht, die nicht tarifgebunden sind. Bei so genannten repräsentativen Tarifverträgen sind die dort vereinbarten Löhne Grundlage für die Vergabe von Aufträgen des Landes. „Das ist ein Meilenstein und wichtiger Beitrag zur Stärkung der Tarifbindung“, freut sich der Vorsitzende des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen, Michael Rudolph.
Beim Verband der Wirtschaft Thüringens (VWT) fällt die Novelle dagegen durch. Damit werde das Interesse von Unternehmen sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen, kaum steigen, ist Präsident Hartmut Koch überzeugt. „Hinzu kommt, dass auch potenzielle Investoren sich einmal mehr überlegen werden, ob sie im Freistaat investieren.“