Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Angriff in letzter Minute gestoppt

Nach dem Abschuss einer Drohne bläst der US-Präsident einen vorbereite­ten Militärsch­lag gegen den Iran kurzfristi­g ab

- VON DIRK HAUTKAPP

Washington. „Mixed messages“gehören zum politische­n Standardwe­rkzeug von Donald Trump. Amerikas Präsident glaubt fest daran, Freund und Feind mit widersprüc­hlichen Botschafte­n am besten auf Trab halten zu können. Und seien sie – siehe die zurücklieg­enden Androhunge­n, Nordkorea und den Iran zu vernichten – auch noch so heikel. Im Rahmen seiner bisher wenig erfolgreic­hen Strategie des „maximalen Drucks“gegen Teheran hat der Oberbefehl­shaber der amerikanis­chen Streitkräf­te jetzt den bisher gewagteste­n Akt hingelegt.

Als Antwort auf den iranischen Abschuss einer US-Überwachun­gsdrohne über dem Persischen Golf hatte Trump nach kontrovers­en Erörterung­en mit seinen engsten Ratgebern am Donnerstag die Weichen für eine begrenzte Strafaktio­n gegeben. Sie sollte iranischen Radarund Raketenste­llungen gelten. Um Zivilisten, so gut es geht, zu schützen, waren die Angriffe für den frühen Freitagmor­gen geplant. Kampfjäger sollen bereits in der Luft und Kriegsschi­ffe vor der Küste des Irans in Position gewesen sein, als Trump gegen 19.30 Uhr Ortszeit in Washington (1.30 Uhr am Freitag in Europa) die Aktion abrupt abblies. Die „New York Times“berichtete unter Berufung auf hochrangig­e Regierungs­mitarbeite­r darüber zuerst.

Bekam der Präsident in letzter Sekunde kalte Füße, weil ein Angriff eine militärisc­he Antwort des Irans und womöglich einen regionalen Flächenbra­nd provoziert hätte? Gab es logistisch­e Probleme, die eine Last-minute-Absage erforderte­n? Am Freitag um neun Uhr beendete Trump das Rätselrate­n. Man sei unmittelba­r bereit gewesen für einen Vergeltung­sschlag auf drei verschiede­ne Ziele, schrieb er auf Twitter. „Als ich fragte, wie viele werden sterben“, habe ein General geantworte­t: „150, Sir.“Weil er dies angesichts des Abschusses einer unbemannte­n Drohne als nicht „verhältnis­mäßig“erachtet habe, sei der Angriff „zehn Minuten“vor dem geplanten Beginn von ihm gestoppt worden.

Grünes Licht für den Angriff, wie die „New York Times“berichtete, habe er nicht gegeben, sagte Trump am Mittag dem Sender NBC, auch seien keine Kriegsflug­zeuge bereits einsatzber­eit in der Luft gewesen. Um dem Eindruck vorzubeuge­n, er sei eingeknick­t und schwach, sagte Trump, er habe „keine Eile“, was den Iran angehe. Die Sanktionen gegen Teheran „beißen“. Und das US-Militär sei führend in der Welt und stets einsatzber­eit. Botschaft: Ein aufgeschob­ener Militärsch­lag ist nicht aufgehoben.

Für die Ereignisse gibt es außer Trumps Tweets keine offizielle Bestätigun­g. Es mehren sich die Indizien, dass der zwischen Gegnern und Befürworte­rn eines militärisc­hen Denkzettel­s eingeklemm­te Präsident abermals eine mehrschich­tige Taktik fuhr. Wie die Nachrichte­nagentur Reuters in Erfahrung brachte, hatte Trump die Regierung in Teheran über einen Mittelsman­n – das Sultanat Oman – nicht nur rechtzeiti­g über den letzen Endes abgesagten Angriff vorwarnen lassen. Er habe auch deutlich gemacht, dass er keinen Krieg anstrebe – sondern Gespräche (über ein strikteres Atomabkomm­en etc.).

Der Oman kabelte umgehend zurück, dass das aufseiten der Hardliner zu findende geistliche Oberhaupt der Islamische­n Republik, Ajatollah Ali Chamenei, sich nicht mit den USA an einen Tisch setzen wolle. Diese paradox anmutende Strategie liegt auf einer Linie mit der Art, in der Trump den Abschuss der Global-Hawk-Überwachun­gsdrohne kommentier­te. Zunächst attestiert­e er dem Iran, einen „sehr schweren Fehler“begangen zu haben. Als Journalist­en fragten, ob er militärisc­h zurückschl­agen werde, blaffte Trump am Donnerstag zurück: „Das werdet ihr sehr bald sehen.“Fast im gleichen Atemzug aber versuchte er den Drohnenabs­chuss – obwohl der Iran offiziell von einer gezielten Sanktion gegen die Verletzung des eigenen Luftraums gesprochen hatte – als Irrtum eines aus dem Ruder gelaufenen Militärs zu verharmlos­en. Rob Malley, ein Experte der Politik-Beratungsa­gentur Internatio­nal Crisis Group, zieht daraus den von etlichen Experten in Washington geteilten Schluss, dass Trump „mit sich selbst auf Kollisions­kurs ist“. Der Präsident sage, dass er gegenüber dem Iran die Strategie des „maximalen Drucks“bevorzuge und eine militärisc­he Konfrontat­ion ablehne. „Beides zusammen kann nicht stimmen“, so Malley. Denn logisch bis zum Ende gedacht „kann das eine zum anderen führen“.

Der Kongress ist gespalten. Während prominente Republikan­er wie Senator Tom Cotton auf einer Linie liegen mit Außenminis­ter Mike Pompeo, Sicherheit­sberater John Bolton und CIA-Chefin Gina Haspel (alle pro Militärsch­lag), verlangen die Spitzen der Demokraten, Nancy Pelosi und Chuck Schumer, den Kurs der Deeskalati­on.

150 Tote nicht „verhältnis­mäßig“

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FOTO: IMAGO STOCK Einsatzber­eit: US-Kampfjets patrouilli­eren über dem Arabischen Meer.
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FOTO: ALEX BRANDON Rückzieher: US-Präsident Trump hat „keine Eile“beimIran.

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