Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Schicksalswahl in Istanbul
Ein Bürgermeister-Kandidat stellt Erdogans Macht infrage
Istanbul. Eigentlich ist es bizarr: Eine türkische Bürgermeisterwahl wird international zum Aufreger. Aber am Sonntag schauen viele Menschen in der Türkei und im Ausland auf die Wiederholung der Abstimmung in Istanbul.
Rund 10,5 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Insgesamt treten vier Kandidaten an. Allerdings ist schon sicher, dass es wieder ein Rennen wird zwischen dem Star der Mitte-linksPartei CHP, Ekrem Imamoglu, und dem Ex-Ministerpräsidenten Binali Yildirim, der für die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan antritt. Imamoglu hatte bei der Kommunalwahl am 31. März knapp gewonnen. Wegen angeblicher Regelwidrigkeiten annullierte die Wahlbehörde YSK das Ergebnis aber später und gab damit Einsprüchen der AKP statt.
Die Wahl ist aus zwei Gründen spannend: Zum einen, weil Erdogan die Wiederwahl erzwungen habe, sei sie zum „nationalen Referendum“, zum Test für den Präsidenten selbst geworden, schreibt der Türkei-Experte Howard Eissenstat vom US-Rechercheinstitut Pomed. Und dann ist da Ekrem Imamoglu – der Erste seit Langem, der sich erfolgreich der Machtmaschinerie der AKP entgegengestellt hat. Für Erdogan-Verdrossene ist er nun ein Symbol dafür, dass politischer Wandel in einem Land möglich ist, das zunehmend autokratisch regiert wird. Der Bürgermeisterposten ist der wichtigste im Land. In Istanbul leben rund 16 Millionen Menschen, die ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts und 40 Prozent aller Steuereinnahmen erwirtschaften. Das Budget ist milliardenschwer. Für die AKP ist die Stadt ein Anker ihrer Macht – die Opposition wirft ihr hingegen Korruption und Klüngelwirtschaft vor. Erdogan ist in Istanbul. aufgewachsen und war mal Bürgermeister. (dpa)