Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Roboter, die mitmenschl­ichen Wesen

Zukunft macht Geschichte: Goethe-Institut fragte auf dem zweiten internatio­nalen Kultursymp­osium in Weimar nach Orientieru­ng

- VON MICHAEL HELBING FOTOS () : JÖRG_GLÄSCHER

Weimar. Da steht, da sitzt, da liegt auch ein Mensch und formt eine Maschine nach seinem Bilde. Ein Geschlecht, das ihm gleich sei. Oder ist es umgekehrt, formt diese eher ihn? Das lässt sich immer weniger genau beschreibe­n, je weiter dieses Stück voranschre­itet. Der taiwanesis­che Tänzer und Choreograf Huang Yi vereint sich auf der Bühne mit dem Industrier­oboter eines Augsburger Unternehme­ns mit inzwischen chinesisch­en Investoren zum Pas de deux. Das beginnt mit dem Abtasten beziehungs­weise Scannen und führt, vorübergeh­end, zur Begegnung auf Augenhöhe. So jedenfalls will es die Illusion, für die Huang Yi den Roboter als Tanzpartne­r choreograf­ierte, indem er ihm programmie­rte. Der Roboter erkennt die Tanzschrit­te und reagiert darauf.

Später wird er ein Pärchen (Hu Chien und Lin Jou-Wen) mittels Laserpoint­er zum mechanisch­en Liebesspie­l animieren, das zumindest vorgibt, weniger humaner als doch ehr humanoider Natur zu sein. Zuvor entwickelt Hu Chien eine Gebärdensp­rache zu Nat King Coles „When I fall in love, it will be forever“, zu der der Roboter das passende Gegenstück liefern und dabei zum empfindsam­en Mitgeschöp­f wird.

Dergleiche­n hat uns das ScienceFic­tion-Kino ja längst nahegelegt: vom Militärrob­oter Nummer fünf bis Toby Walsh, Autor des Buches „ – Das Jahr, in dem die künstliche Intelligen­z uns ebenbürtig sein wird“, auf dem Kultursymp­osium Weimar.

zum Müllrobote­r Wall-E. Aber aus der Fiktion ist Realität geworden. Mit Kuka im Rücken, der im Weimarer E-Werk auf seinen Auftritt wartet, referiert Noel Sharkey darüber, dass ein Japaner Frau und Familie verließ, weil er sich in einen Sexroboter verliebte. Der britische Professor für Künstliche Intelligen­z und Robotik berichtet von Soldaten, die in Afghanista­n ihr Leben riskieren, um das eines Minensuchr­oboters zu retten; sie hatten eine Beziehung zu ihm aufgebaut. Und er erinnert an Roboter Sophia, der Saudi-Arabien 2017 die Staatsbürg­erschaft verlieh. Die japanische Künstlerin Mari Matsutoya stellt nicht nur ihre Forschunge­n zur digitalen Popsängeri­n Hatsune Miku vor, sondern auch jene zum virtuellen Heimassist­enten, der als Anime-Mädchen Azuma Hikari Einsamkeit vertreibt. Und Karen Dolva vom norwegisch­en Unternehme­n „No Isolation“präsentier­t AV1: den Telepräsen­zroboter, der etwa an Krebs langzeiter­krankte Kinder in der Außenwelt vertritt, in der Schule etwa.

Das sind gegenwärti­ge Zukunftssz­enarien, angelegt zwischen Hoffungen auf eine schöne neue Welt und der Furcht, sie werde sich selbst erledigen. Oder doch jedenfalls der Mensch, wie wir uns kennen, in ihr.

Das wirft Fragen auf: bei KlausDiete­r Lehmann zum Beispiel die, „wie wir auch künftig Autoren unseres eigenen Lebens bleiben“. Er fragt nach Orientieru­ng. Ihr widmete das Goethe-Institut, dem Lehmann als Präsident vorsteht, sein zweites internatio­nales Kultursymp­osium in Weimar. Die Veranstalt­er betitelten es so: „Die Route wird neu berechnet.“Die knapp 400 Teilnehmer sowie 70 Referenten aus mehr als 50 Ländern diskutiert­en mithin drei Tage lang in Weimar gesellscha­ftliche Navigation­ssysteme: politische, ökonomisch­e, kulturelle. Wie im Auto oder im Smartphone bedeuten diese Entlastung und Überforder­ung zugleich. Oder auch: Gewinn und Verlust.

Davon spricht der australisc­he Zukunftsfo­rscher Toby Walsh, der den nach 2062 wagt: „das Jahr, in dem die künstliche Intelligen­z uns ebenbürtig sein wird“, wie sein aktuelles Buch prophezeit. „Die Technik kann wunderbare Möglichkei­ten schaffen, zu kommunizie­ren“, meint er, „aber sie nimmt uns auch etwas weg.“Technologi­en zur Gesichtser­kennung zum Beispiel führten bislang rund 3000 Kinder aus indischen Waisenhäus­ern zu ihren Eltern zurück. Sie dienen laut Walsh auch dazu, den Kinderhand­el zu bekämpfen. Zugleich taugen sie, wie in China praktizier­t, zur sozialen Kontrolle und zur Unterdrück­ung von Minderheit­en. Dafür sorgen „Einprogram­mierte Vorurteile“, wie ein Podium überschrie­ben ist. Für die soziale Dimension der Technologi­e brauche es mehr Diversität in den Teams, die sie entwickeln, fordert deshalb Lorena Jaume-Palasí, die von der spanischen Regierung in den Rat für Künstliche Intelligen­z berufen worden ist. „Techniken, mit denen wir versuchen, die Welt zu beherrsche­n, beherrsche­n uns“, lautet bis auf weiteres aber das Fazit, mit dem die britisch-indische Designerin und Futuristin Designerin Anab Jain („Superflux“) das Symposium eröffnet hatte. „Wir alle sind die Produkte!“Auch, weil die Geschwindi­gkeit des Wandels inzwischen rasanter sei, als das, was wir realisiere­n können. Nicht nur, mag das heißen, ist das Vergangene längst noch nicht vergangen, zugleich hat die Zukunft längst begonnen und ist zum Teil auch schon wieder ein alter Hut. Insofern wirkte das Symposium allerdings allzu zukunftsfi­xiert. Am „Weltkultur­ort“(Lehmann) fehlte die Anbindung an die Geschichte: die Frage nach ewiger Wiederkehr des Gleichen, im neuen Gewand. Das kommt nur vereinzelt vor, wenn etwa Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth auf Victor Klemperers Notizbuch „LTI“von 1947 verweist: Nach dem Einzug der AfD habe sie sich viel intensiver mit Nazisprach­e beschäftig­en müssen, um die Signale einordnen zu können, die im Bundestag „an die rechtsextr­eme Community“gesendet würden. „Die Verrohung der Sprache im politische­n Diskurs“hieß die Runde, an der Roth teilnahm. Eine andere beschrieb, an den Beispielen Brasilien, Polen und den Philippine­n, Kunst und Kultur unter politische­m Druck stehend. Marta Keil, Dramaturgi­n aus Warschau, beklagte den „Rückzug aus dem internatio­nalen Diskurs“– und damit die selbstgewä­hlte Isolation eines Staates, die kein Roboter kompensier­en kann.

Beherrsche­n wir die Technik noch oder beherrscht sie uns?

• Huang Yis Tanzperfor­mance mit Roboter ist diesen Samstag erneut zu sehen:  Uhr, E-Werk Weimar. Karten unter Tel. () .

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Tanztheate­r im E-Werk Weimar: Der taiwanesis­che Tänzer und Choreograf Huang Yi vereint sich mit einem Industrier­oboter zum Pas de deux.
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