Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Roboter, die mitmenschlichen Wesen
Zukunft macht Geschichte: Goethe-Institut fragte auf dem zweiten internationalen Kultursymposium in Weimar nach Orientierung
Weimar. Da steht, da sitzt, da liegt auch ein Mensch und formt eine Maschine nach seinem Bilde. Ein Geschlecht, das ihm gleich sei. Oder ist es umgekehrt, formt diese eher ihn? Das lässt sich immer weniger genau beschreiben, je weiter dieses Stück voranschreitet. Der taiwanesische Tänzer und Choreograf Huang Yi vereint sich auf der Bühne mit dem Industrieroboter eines Augsburger Unternehmens mit inzwischen chinesischen Investoren zum Pas de deux. Das beginnt mit dem Abtasten beziehungsweise Scannen und führt, vorübergehend, zur Begegnung auf Augenhöhe. So jedenfalls will es die Illusion, für die Huang Yi den Roboter als Tanzpartner choreografierte, indem er ihm programmierte. Der Roboter erkennt die Tanzschritte und reagiert darauf.
Später wird er ein Pärchen (Hu Chien und Lin Jou-Wen) mittels Laserpointer zum mechanischen Liebesspiel animieren, das zumindest vorgibt, weniger humaner als doch ehr humanoider Natur zu sein. Zuvor entwickelt Hu Chien eine Gebärdensprache zu Nat King Coles „When I fall in love, it will be forever“, zu der der Roboter das passende Gegenstück liefern und dabei zum empfindsamen Mitgeschöpf wird.
Dergleichen hat uns das ScienceFiction-Kino ja längst nahegelegt: vom Militärroboter Nummer fünf bis Toby Walsh, Autor des Buches „ – Das Jahr, in dem die künstliche Intelligenz uns ebenbürtig sein wird“, auf dem Kultursymposium Weimar.
zum Müllroboter Wall-E. Aber aus der Fiktion ist Realität geworden. Mit Kuka im Rücken, der im Weimarer E-Werk auf seinen Auftritt wartet, referiert Noel Sharkey darüber, dass ein Japaner Frau und Familie verließ, weil er sich in einen Sexroboter verliebte. Der britische Professor für Künstliche Intelligenz und Robotik berichtet von Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben riskieren, um das eines Minensuchroboters zu retten; sie hatten eine Beziehung zu ihm aufgebaut. Und er erinnert an Roboter Sophia, der Saudi-Arabien 2017 die Staatsbürgerschaft verlieh. Die japanische Künstlerin Mari Matsutoya stellt nicht nur ihre Forschungen zur digitalen Popsängerin Hatsune Miku vor, sondern auch jene zum virtuellen Heimassistenten, der als Anime-Mädchen Azuma Hikari Einsamkeit vertreibt. Und Karen Dolva vom norwegischen Unternehmen „No Isolation“präsentiert AV1: den Telepräsenzroboter, der etwa an Krebs langzeiterkrankte Kinder in der Außenwelt vertritt, in der Schule etwa.
Das sind gegenwärtige Zukunftsszenarien, angelegt zwischen Hoffungen auf eine schöne neue Welt und der Furcht, sie werde sich selbst erledigen. Oder doch jedenfalls der Mensch, wie wir uns kennen, in ihr.
Das wirft Fragen auf: bei KlausDieter Lehmann zum Beispiel die, „wie wir auch künftig Autoren unseres eigenen Lebens bleiben“. Er fragt nach Orientierung. Ihr widmete das Goethe-Institut, dem Lehmann als Präsident vorsteht, sein zweites internationales Kultursymposium in Weimar. Die Veranstalter betitelten es so: „Die Route wird neu berechnet.“Die knapp 400 Teilnehmer sowie 70 Referenten aus mehr als 50 Ländern diskutierten mithin drei Tage lang in Weimar gesellschaftliche Navigationssysteme: politische, ökonomische, kulturelle. Wie im Auto oder im Smartphone bedeuten diese Entlastung und Überforderung zugleich. Oder auch: Gewinn und Verlust.
Davon spricht der australische Zukunftsforscher Toby Walsh, der den nach 2062 wagt: „das Jahr, in dem die künstliche Intelligenz uns ebenbürtig sein wird“, wie sein aktuelles Buch prophezeit. „Die Technik kann wunderbare Möglichkeiten schaffen, zu kommunizieren“, meint er, „aber sie nimmt uns auch etwas weg.“Technologien zur Gesichtserkennung zum Beispiel führten bislang rund 3000 Kinder aus indischen Waisenhäusern zu ihren Eltern zurück. Sie dienen laut Walsh auch dazu, den Kinderhandel zu bekämpfen. Zugleich taugen sie, wie in China praktiziert, zur sozialen Kontrolle und zur Unterdrückung von Minderheiten. Dafür sorgen „Einprogrammierte Vorurteile“, wie ein Podium überschrieben ist. Für die soziale Dimension der Technologie brauche es mehr Diversität in den Teams, die sie entwickeln, fordert deshalb Lorena Jaume-Palasí, die von der spanischen Regierung in den Rat für Künstliche Intelligenz berufen worden ist. „Techniken, mit denen wir versuchen, die Welt zu beherrschen, beherrschen uns“, lautet bis auf weiteres aber das Fazit, mit dem die britisch-indische Designerin und Futuristin Designerin Anab Jain („Superflux“) das Symposium eröffnet hatte. „Wir alle sind die Produkte!“Auch, weil die Geschwindigkeit des Wandels inzwischen rasanter sei, als das, was wir realisieren können. Nicht nur, mag das heißen, ist das Vergangene längst noch nicht vergangen, zugleich hat die Zukunft längst begonnen und ist zum Teil auch schon wieder ein alter Hut. Insofern wirkte das Symposium allerdings allzu zukunftsfixiert. Am „Weltkulturort“(Lehmann) fehlte die Anbindung an die Geschichte: die Frage nach ewiger Wiederkehr des Gleichen, im neuen Gewand. Das kommt nur vereinzelt vor, wenn etwa Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth auf Victor Klemperers Notizbuch „LTI“von 1947 verweist: Nach dem Einzug der AfD habe sie sich viel intensiver mit Nazisprache beschäftigen müssen, um die Signale einordnen zu können, die im Bundestag „an die rechtsextreme Community“gesendet würden. „Die Verrohung der Sprache im politischen Diskurs“hieß die Runde, an der Roth teilnahm. Eine andere beschrieb, an den Beispielen Brasilien, Polen und den Philippinen, Kunst und Kultur unter politischem Druck stehend. Marta Keil, Dramaturgin aus Warschau, beklagte den „Rückzug aus dem internationalen Diskurs“– und damit die selbstgewählte Isolation eines Staates, die kein Roboter kompensieren kann.
Beherrschen wir die Technik noch oder beherrscht sie uns?
• Huang Yis Tanzperformance mit Roboter ist diesen Samstag erneut zu sehen: Uhr, E-Werk Weimar. Karten unter Tel. () .