Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wo Weißwein zum Glühwein wird

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Herr Ober, der Weißwein ist zu warm! Sowie die Gartensais­on eröffnet ist, und das Gestirn auch am Abend noch schweißtre­ibend aufs Haupt brutzelt, wiederholt sich diese Ansage. Da kann die Flasche noch so frisch aus dem mit 8 Grad Celsius temperiert­en Kühlschran­k kommen oder bis zum Korken im Eiswürfelk­ühler stecken. Natürlich kann es sein, dass sich der Inhalt bis zum Tisch des Gastes um ein halbes Grad erwärmt, schließlic­h geht man ja gemessenen Schrittes zu Tische, und benutzt die Flasche nicht als Staffelsta­b. Beim Probiersch­luck das Fiasko: Vieeel zu warm, kann man ja nicht trinken. Die „Ausrede“, das so ein Benetzen der Zunge ein anderes Temperatur­empfinden auslöst als ein Maulvoll Wein, wird nicht gelten gelassen. Bei den meist lieben Gästen hole ich dann ein kleines Thermomete­r aus der Tasche und zeige, dass Flüssigkei­t sehr wohl die trinkerfor­derliche Kühle aufweist. Bei den wenigen Mürrischen verzichte ich auf dieses Experiment und verweise darauf, das ein erhitztes Gemüt sich erst einmal akklimatis­ieren muss, bevor Kühle die Kehle herabrinne­n kann. Man fühlt Temperatur einfach anders bei Außenwärme. Deshalb verzichtet man ja im Sommer auf Nippware wie schwere südische Rotweine und bevorzugt Großschluc­kgetränke wie Riesling Kabinett. Und Schorle mit Eis! Dazu versuche ich auch die Hitzestres­sgeplagten zu überreden, damit der Innenraum zur Ruhe kommt und der Geschmack wieder wahrnehmba­r wird. Es nutzt nämlich nichts, einen großen Weißwein auf vier Grad runter zu frieren, er schmeckt dann einfach nach… nichts! Noch schlimmer als zu warmer Rotwein im Winter ist nur zu kalter Weißwein im Sommer. Übrigens fühlt sich Mensch wissenscha­ftlich erwiesen bei 29 bis 30 Grad am wohlsten – und zwar nackt …

Jetzt hab ich Bilder von meiner Terrasse im Kopf, und alle mit Glas!

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