Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Traumberuf Grenzgänger
Christoph Strasser ist Extremsportler. Der Job lohnt sich nicht nur finanziell
Der 36-jährige Österreicher Christoph Strasser ist einer der weltweit bekanntesten Extremsportler. Sein Rekord für die fast 5000 Kilometer quer durch die USA des „Race Across America“liegt bei einer Zeit von 7 Tagen und knapp 16 Stunden. Das entspricht rund 650 Kilometern pro Tag bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 26 Stundenkilometern – und täglich nur rund einer Stunde Schlaf. „Das ist eine unmenschliche Distanz“, sagt Strasser – und kommt doch jedes Jahr wieder. Extremsport lässt sich grob in zwei Kategorien einteilen, erklärt Professor Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Zum einen Athleten, die sich in körperlich extreme und anstrengende Situationen begeben. Dazu gehörten zum Beispiel Ultralangläufe, extrem langes Freiwasserschwimmen oder eben Radrennen.
Davon abgrenzen müsse man die „Naturextremisten“, die ihren Sport auf der Natur- und Abenteuerebene bestreiten. Etwa Basejumper, die von Hochhäusern springen, Highliner, die auf einem Seil über eine Schlucht gehen, oder Extremkletterer wie der Free-Solo-Spezialist Alex Honnold aus den USA: 2017 bestieg er im Yosemite-Nationalpark eine knapp 1000 Meter hohe Felswand ohne Absicherung in weniger als vier Stunden.
Sportsüchtig sind nur wenige der Teilnehmer
Kleinert hält es für einen Mythos, dass Extremkletterer oder Surfer verrückt, leichtsinnig oder gar lebensmüde seien. „Die sind zumeist in hohem Maße gewissenhaft“, sagt der Wissenschaftler. „Ein Freeclimber macht das nicht auf die Schnelle, sondern bereitet sich monatelang darauf vor.“
Die Motivation sei meist, Grenzen auszutesten und zu sehen, was man leisten kann, so Kleinert. „Es geht also um die Entwicklung der eigenen Kompetenzen. Da steckt etwas ganz Normales drin, nur in extremer Form.“Sportsüchtig in einem pathologischen Sinne seien nur wenige. Für Strasser, der auch den 24-StundenWeltrekord auf der Bahn hält, ist es das „Erlebnis im eigenen Körper, wie viel man aushält“.
Der Grazer hat sich seit rund einem halben Jahr auf das „Race Across America“vorbereitet – und dabei durchschnittlich 30 Stunden pro Woche trainiert. Belohnt werde er für die Strapazen mit „inneren Glücksgefühlen“, wenn er in den USA durch unglaublich schöne Landschaften fahre, nach körperlichen und mentalen Tiefs wieder ein Hoch komme oder er den Zusammenhalt in seinem Betreuerteam erlebe. Denn auch wenn der Athlet am Ende oft alleine unterwegs ist: Gesellschaftlich isolierte Einzelgänger, wie manchmal behauptet wird, seien Menschen wie Strasser meistens nicht, sagt Kleinert. Zu den Betreuern von Strasser, der täglich bis zu 15.000 Kalorien aus Flüssignahrung aufnehmen muss, gehören unter anderem ein Arzt und ein Physiotherapeut. Sie schauen während des Rennens nach ihm und betreuen ihn auch während der Vorbereitung. Und greifen bei Problemen ein: So musste Strasser 2015 das „Race Across America“wegen eines Lungeninfektes abbrechen. Professor Bernd Wolfarth, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), sagt: „Wenn jemand so etwas machen will, braucht er eine sehr fundierte sportmedizinische Begleitung und eine vernünftige Belastbarkeitsprüfung.“Je größer die Belastung, desto umfangreicher die Vorbereitung.
Doch sind solche extremen Belastungen gesund? Das lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten, sagt der leitende deutsche Olympiaarzt, der an der Berliner Charité tätig ist. „Es gibt keine Daten zu der Frage, ob viel viel mehr hilft.“Beim Extremsport gehe es nicht um einen gesundheitlichen, sondern eher um einen persönlichen, emotionalen Nutzen. So empfindet Strasser zwar keinen „Kick“, wenn er tagelang im Sattel sitzt, aber: „Mein Bubentraum, mit Radrennen mein Geld zu verdienen, ist in Erfüllung gegangen.“Und die Kombination aus Abenteuer und Wettkampf sei „etwas Einmaliges“. Dafür nimmt er in Kauf, dass ihm in den kurzen Pausen während des „Race Across America“schon mehrmals ein Furunkel herausgeschnitten werden musste. Dass er einmal gegen Ende vor Erschöpfung seinen Betreuer nicht mehr erkannte, dass die letzten 100 Kilometer körperlich und mental eine „Katastrophe“sind oder er im Zielort Annapolis an der US-Ostküste „völlig überzogene Emotionen“erlebte. Und als er die Qual endlich als Erster überstanden hatte, war er „zu müde, um sich zu freuen“. Dass Extremsportler wie Strasser nicht in das Schema eines Normalbürgers passen, räumt der Österreicher gerne ein. Es sei nicht schlecht, 40 Stunden zu arbeiten sowie Haus und Familie zu haben. „Aber ich wollte schon gerne etwas anderes machen, einen speziellen Lebensweg einschlagen.“Das Normale reizt ihn nicht. „Mein Beruf und meine Leidenschaft sind sicher außergewöhnlich.“Und extrem.
„Ich wollte gerne etwas
anderes machen, einen speziellen Lebensweg
einschlagen.“
Christoph Strasser, Extremsportler