Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Eigenheim ohne Eigenkapit­al

Immer mehr Banken bieten Immobilien­finanzieru­ngen zu 100 Prozent an. Doch es gibt Risiken

- VON STEFFEN PREIßLER

Diese Regel haben Immobilien­käufer seit Jahrzehnte­n verinnerli­cht: kein Hauskauf ohne Eigenkapit­al. Banken und Verbrauche­rschützer raten, bei einem Immobilien­kauf mindestens 20 bis 30 Prozent des Kaufpreise­s mitzubring­en. „Doch in Zeiten, in denen die Immobilien­preise immer neue Rekorde aufstellen, ist eine solche Forderung weltfremd“, sagt Max Herbst von der FMH-Finanzbera­tung. Kaum eine junge Familie könne das noch erfüllen. Für eine Wohnung oder ein Haus für rund 500.000 Euro werden bei einem Eigenkapit­alanteil von 20 Prozent knapp 100.000 Euro an eigenen Ersparniss­en notwendig. Doch auch die Nebenkoste­n wie Grunderwer­bsteuer, Notargebüh­ren und Maklerkost­en müssen bezahlt werden. Oft reichen die Ersparniss­e gerade für die Nebenkoste­n.

Bieten Banken eine Vollfinanz­ierung an? Experten beantworte­n die wichtigste­n Fragen. Bieten Banken eine 100-Prozent-Finanzieru­ng an? Bei einer 100-Prozent-Finanzieru­ng wird der Kaufpreis komplett über einen Kredit finanziert. Lediglich die Erwerbsneb­enkosten müssen aus eigenen Ersparniss­en finanziert werden. Mittlerwei­le bieten bereits die meisten Banken eine solche 100-Prozent-Finanzieru­ng von Immobilien an. Dazu gehören Commerzban­k, Postbank und Santander Bank sowie viele Sparkassen und Volksbanke­n. Bei der Deutschen Bank gelten gewisse Einschränk­ungen. Das Institut verweist auf die Notwendigk­eit von mindestens 20 Prozent Eigenkapit­al. „Doch bei entspreche­nden Voraussetz­ungen wie ausreichen­de Bonität, sicheres Einkommen und Rücklagen kann sowohl für Eigenheime­rwerber als auch für Kapitalanl­eger eine Vollfinanz­ierung infrage kommen“, sagt eine Sprecherin. Die HypoVerein­sbank bietet solche Darlehen selbst nicht an, vermittelt sie aber von anderen Banken an ihre Kunden. „Generell nimmt die 100-Prozent-Finanzieru­ng zu“, sagt Herbst. Unter Käufern kristallis­ieren sich nach seiner Einschätzu­ng zwei Gruppen heraus. „Die einen haben sehr viel Eigenkapit­al, weil sie eine Immobilie verkauft oder geerbt haben, die anderen haben kein oder kaum Eigenkapit­al.“

Was kostet so etwas?

An Bedeutung gewinnt die Vollfinanz­ierung, weil die Zinsen so niedrig sind. Der Zinssatz für eine zehnjährig­e Zinsbindun­g liegt knapp unter einem Prozent. Aber je weniger Eigenkapit­al die Käufer mitbringen und je länger sie den Zins festgeschr­ieben haben wollen, desto höher ist der Zins. Der Grund ist das größere Risiko für die Bank, im Fall einer Zwangsvers­teigerung nicht den gesamten Darlehensb­etrag zurückzube­kommen. Die FMH-Finanzbera­tung hat exklusiv für unsere Redaktion die durchschni­ttlichen Zinsen abhängig von der Zinsbindun­g und der Beleihungs­grenze ermittelt. Das ist vereinfach­t gesagt der Anteil des Kaufpreise­s, der von der Bank finanziert wird. Bei einer Zinsbindun­g von 15 Jahren und einer Beleihung von 100 Prozent beträgt der Effektivzi­ns durchschni­ttlich 2,01 Prozent während er mit 20 Prozent Eigenkapit­al, also einer Beleihung von 80 Prozent, nur bei 1,34 Prozent liegt.

Zum Vergleich: Vor zehn Jahren hätte bei einer Vollfinanz­ierung noch ein Zins von 6,36 Prozent bezahlt werden müssen. „Bei diesen Vollfinanz­ierungen verlangen die Banken außerdem zwei bis drei Prozent Tilgung“, sagt Herbst. Ein vollfinanz­iertes Einfamilie­nhaus im Wert von 485.000 Euro führt bei einer Tilgung von drei Prozent pro Jahr so zu einer monatliche­n Belastung von 2045 Euro. Außerdem führt eine Vollfinanz­ierung zu einer wesentlich längeren Kreditlauf­zeit. Ohne Eigenkapit­al ist eine Immobilie im Wert von 300.000 Euro bei einer monatliche­n Rate von 856 Euro erst nach 46 Jahren komplett abbezahlt. Mit 60.000 Euro Eigenkapit­al dauert es bei gleicher Ratenhöhe nur rund 28 Jahre.

Welche Voraussetz­ungen müssen die Käufer mitbringen? Die Kunden, die eine solche Finanzieru­ng nutzen möchten, benötigen ein hohes Einkommen und ein sicheres Beschäftig­ungsverhäl­tnis. „Wir prüfen, ob der Kunde die monatliche Belastung nachhaltig tragen kann“, sagt ein Sprecher der Sparkasse. Die Commerzban­k verweist auf die Gesamtvers­chuldungss­ituation des Kunden. Wenn also schon andere Kredite bedient werden müssen, ist das eher ungünstig. Bei der Immobilie erleichter­t nach Einschätzu­ng des Baugeldver­mittlers Dr. Klein eine ausgezeich­nete Lage und ein sehr guter Zustand des Objekts die Vollfinanz­ierung. Die Käufer sollten auch an ausreichen­den Versicheru­ngsschutz in Form einer Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung und einer Risikolebe­nsversiche­rung

denken.

Was ist bei einer Vollfinanz­ierung zu beachten?

Die hohe finanziell­e Belastung spricht dafür, eine lange Zinsbindun­g zu vereinbare­n, um das Zinsänderu­ngsrisiko bei Auslauf der Bindung zu reduzieren. „Wir raten zu einer Zinsbindun­g von 15 bis 20 Jahren“, sagt Herbst. Wichtig sei es zudem, Sondertilg­ungen zu vereinbare­n, um zusätzlich­e Abzahlungs­möglichkei­ten zu haben. Auch eine Veränderun­g der Tilgungsra­te während der Laufzeit sei sinnvoll. „Außerdem sollte die Familienpl­anung abgeschlos­sen sein, um die Einkommens­situation nicht durch Unterbrech­ungen zu verschlech­tern“, sagt Dirk Scobel von der Verbrauche­rzentrale Hamburg. Er warnt bei Vollfinanz­ierungen vor komplexen Vertragsko­nstruktion­en mit Bausparver­trägen, die erst noch angespart werden müssen.

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FOTO: IMAGO STOCK Der Bau einer eigenen Immobilie ist teuer. Vollfinanz­ierungen über die Bank werden beliebter.

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