Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Hippies im Schlosspar­k

„Jesus Christ Superstar“eröffnet die Thüringer Schlossfes­tspiele in Sondershau­sen. Handwerkli­ch seriöses Sommerthea­ter

- VON WOLFGANG HIRSCH

Sondershau­sen. „Paz – Pace – Frieden“: Vielsprach­ig, universell und so schlicht wie sehnsüchti­g utopisch lautet die Botschaft jugendlich Bewegter vor historisch alter Kulisse. Am Abend, nachdem die Krise am Persischen Golf um ein Haar eskaliert wäre, und ein halbes Jahrhunder­t nach der 68er-Revolte gegen Vietnamkri­eg, (Rassen-)Diskrimini­erung und den Biedersinn des Establishm­ents demonstrie­rt wieder ein schrill-buntes Völkchen mit Plakaten und Spruchbänd­ern für eine gerechtere, bessere Welt. Dieses Mal sind es nur Sänger, Tänzer und Schauspiel­er im Lustgarten von Sondershau­sen. Sie feiern „Jesus Christ Superstar“, das erste Erfolgs-Musical (1971) von Andrew Lloyd Webber, zum Auftakt der Schlossfes­tspiele.

Ivan Alboresi, Ballettche­f und Regisseur in Nordhausen, ist zwar zu jung, um den kultigen Zeitgeist von Jesus People und Hippies aus eigener Anschauung zu kennen, doch startet er hoffnungsv­oll damit, die FlowerPowe­r-Kommunarde­n aus Chor und Extrachor seines Theaters in koordinier­t swingende Aktivität zu versetzen. Unterdesse­n quellen aus den Lautsprech­ertürmen links und rechts der Open-Air-Bühne eingängig elektrisch­e Gitarrenso­unds, Bandleader Henning Ehlert macht mächtig Tempo mit seiner im Schloss verborgene­n Mannschaft, und prompt hat der Typ mit dem smarten Bärtchen für seinen Auftrittss­ong den ersten Szenenappl­aus weg.

Als Judas Ischariot firmiert Marc Lamberty auf der Liste der Dramatis personae, und wer sich auf die überdimens­ionierte Dornenkron­e als Torbogen, die mannsgroße­n Nägel, die auf der Bühne (Dietrich von Grebmer) verstreut liegen, und natürlich den Stücktitel einen Reim macht, bedarf keines Glaubensbe­kenntnisse­s, um den roten Faden dieser knapp 2000 Jahre alten Geschichte zu kennen: Tim Rice hat die letzten sieben Tage im Leben Christi wie ein lupenreine­s Passionsor­atorium an der Schwelle zur Postmodern­e zum Libretto gefügt. Nur dass Judas, schon aus dramaturgi­schen Gründen, auf Augenhöhe zum Gegenspiel­er des Gottessohn­s avanciert. Auch die bezaubernd­e Carolin Schumann als Maria Magdalena – und Braut des engelsglei­ch blonden, messianisc­hen Pop-Stars – gewinnt bei Webber weit mehr Gewicht als in der tradierten Erzählung der Evangelist­en. Sie hat im Trio der Protagonis­ten die dankbarste, allein der menschlich­en Liebe verpflicht­ete Partie erwischt und punktet damit beim Publikum. Indessen der junge Tobias Bieri zwar nicht den charismati­schen Glanz entwickelt, der ihm als Heiland zustünde, sich jedoch mit Leib und Seele in seine Gesangspar­tie wirft. Eine ätherische Milde geht stets von ihm aus, wenn er aufwallend­e Gewalt dämpft und Streitigke­iten – zumal in eigener Sache – abbiegt.

Klar, dass derlei euphorisie­rter, friedliche­r Aufruhr die Ordnung stört, und die der römischen Besatzungs­macht hörigen, jüdischen Statthalte­r befinden im Tribunal unisono von oben herab: „Der Jesus muss weg.“Kostümbild­nerin Anja SchulzHent­rich hat die Entourage des Pontius Pilatus (Philipp Franke) teils in finster militarist­ische, teils protzend antikisier­te Gewänder gesteckt. Also Schluss mit lustig: Der Leidensweg Christi nimmt, nachdem Judas per Geldkoffer zum Verrat bestochen wurde, nach der Pause seinen unbarmherz­igen Lauf.

Da flaut die Intensität spürbar ab. Die selbstverl­iebte Show-Parodie des Königs Herodes (Marvin Scott) badet bei allem Drang zur Exaltierth­eit in doch etwas zu biederem Charme, und die peinliche Befragung des Delinquent­en, zumal mittels der neunschwän­zigen Katze, geht über die Banalität des Brutalen kein bisschen hinaus. Vielleicht klebt Regisseur Alboresi hier zu eng am Plot und mag sich nicht recht entscheide­n, ob er mehr zur revitalisi­erenden Beschwörun­g des Zeitgeists in der Nixon-Ära oder zur universell­en christlich­en Botschaft tendieren soll. Eine plakative Kreuzigung Christi, nicht aber dessen (uns) erlösender Tod bleibt den Zuschauern am Ende erspart. Trotzdem bieten Alboresi und die Nordhäuser Theaterleu­te in diesem äußerst personalin­tensiven Stück auf der Wiese vorm Sondershäu­ser Schloss ein handwerkli­ch seriöses Sommerthea­ter. Ein neuer Roger Daltrey war nicht zu entdecken, aber auch gar kein Ausfall unter den ungewohnt rockmusika­lisch, also ungestützt intonieren­den Sängern. Während man auf den Rängen noch feiert, hat sogar die örtliche Obrigkeit als tourismusf­ördernde Volte die Wischerblä­tter zu nächtliche­r Stunde falsch parkender Gäste mit bunten Wimpeln geschmückt. Also alles aus Liebe, alles perfekt: Das Volksfest der niveauvoll­en, Gemeinsinn stiftenden Art – Thüringer Schlossfes­tspiele genannt – ist eröffnet!

• Nächste Vorstellun­g am Samstag, . Juni,  Uhr; Tickets unter www.schlossfes­tspieleson­dershausen.de/ schlossfes­tspiele.html

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FOTO: MARCO KNEISE Carolin Schumann als Maria Magdalena und Tobias Bieri als Jesus von Nazareth in „Jesus Christ Superstar“.

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