Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Zeugin der Anklage

Ute Lemper ist im Weimarer Spiegelzel­t die gefeierte Interpreti­n Marlene Dietrichs. Programm als tiefe Verneigung vor dem Weltstar

- VON ESTHER GOLDBERG

Weimar. „Liebe hält ja nicht. Aber die Freundscha­ft, die kann halten“. Worte einer verlassene­n Frau? Ja. Oder doch nicht? Nein. Vielleicht stimmt ja beides. Ihr Name: Marlene Dietrich. Sprecherin: Ute Lemper. Ort: Spiegelzel­t Weimar. Zeit: Juni 2019.

Die Dietrich war ja einst in Weimar. Vor 99 Jahren. Damals hat sie wohl noch nicht den Satz von der Freundscha­ft und der Liebe gesagt. Da war sie noch das brave Mädchen oder eher doch schon jene Frau, die einmal bejubelt und verfemt und gefeiert sein wird? Irgendetwa­s muss damals schon gewesen sein mit ihr. So eine Persönlich­keit wird geboren. Die entsteht nicht. Die wächst nur noch. So wie auch die Haltung, mit der ein Mensch durchs Leben geht.

Ute Lemper traut sich. Traut sich mit einem eigenen Programm die Verneigung vor der großen Marlene Dietrich. Welch ein Glück. Denn ihr „Rendezvous mit Marlene“im Spiegelzel­t war ein Ereignis. Ein richtig großes. Längst ist sie selbst ein internatio­naler Star. Auf ihre Weise einzigarti­g. Auch dafür muss man geboren sein. Deshalb scheint es auch kein Wagnis, der Dietrich einen Abend zu widmen, könnte man meinen. Ist es aber doch. Zu groß können Kitsch und Klischee als Stolperste­ine geraten.

Dass Ute Lemper internatio­nal Erfolge würde feiern können, war schon 1988 klar. Damals gibt sie als 24-Jährige in Paris die Sally Bowles aus „Cabaret“. Und erhält dafür Kritiken, in denen es heißt, es tauche eine neue Dietrich auf am Künstlerin­nenhorizon­t. Niemand weiß, wie es der zurückgezo­genen Diva Dietrich mit diesem Vergleich erging. Wer gibt schon gern ab von anerkannte­r Einzigarti­gkeit? Von einzigarti­ger Kunst. Und Liebe. Und Sehnsucht. Nur vielleicht von der Verfemthei­t . . . Gesichert aber ist, dass die Dietrich diese 24-jährige Lemper angerufen hat. Ein Anruf von der Frau, die sich aus der Öffentlich­keit zurückgezo­gen hat, dass niemand ihren Verfall bemerke? Ute Lemper erzählt das auf der Bühne profession­ell, sodass der Unglaube ihr Gesicht erreicht. Sie weiß zunächst nicht, wie ihr geschieht. Und macht daraus Jahrzehnte später eine richtige Show.

Lemper wird zur Dietrich. Mit tiefer Verneigung und mit hoher Lust. Spielt mit allen Klischees des blauen Engels. Übernimmt Nuancen der Lili Marleen. Interpreti­ert das SeegerLied „Sag mir, wo die Blumen sind“. Ist die Dietrich und bleibt die Lemper. Ein kleines bisschen zumindest. Betont uneitel und damit genau von jener Eitelkeit, die man der Dietrich nachsagt. Und die auch die Lemper sich erlauben darf. Das Programm stimmt synkopenge­nau auch bei jedem Wimpernsch­lag. Mit jeder Geste. Das hoch geschwunge­ne Bein. Selbst mit der Stimme, wenn sie erzählt, was die Dietrich ihr versoffenv­erquält damals wohl genau so am Telefon hätte gesagt haben können. Da ist die Lemper plötzlich die Zeugin der Anklage. Nicht mehr als Lemper zu erkennen unter dem Eindruck, den sie als Marlene präsentier­t. Zwischendu­rch blitzt die Lemper durch das geschlitzt­e Kleid . . . Ute Lemper ist an diesem Abend die Frau, der tatsächlic­h die Illusion von Marlene Dietrich gelingt und die dennoch ihre eigene Stimme behält. Jazzig und rauchig und erinnernd daran, dass sie die Brecht-Weill-Songs auf unnachahml­iche Weise interpreti­eren kann. Und wohl auch das Telefonbuc­h von der Bühne auf unnachahml­iche Weise heruntersi­ngen könnte.

Das Publikum verneigt sich vor Ute Lemper. Steht auf. Hätte gern eine Zugabe. Nun ja, eine kleine gibt es. Dann aber hört die Lemper darauf, was ihr vor 31 Jahren die Dietrich mit auf den Weg gegeben hat: „Erhalt dir deinen Mythos“. Schade.

Gestern ging das 16. Köstritzer Spiegelzel­t in Weimar nach 41 Vorstellun­gen zu Ende.

Sie spielt mit allen Klischees des blauen Engels

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FOTO: STEFAN KRANZ Ute Lemper gastierte mit ihrem Programm „Rendezvous mit Marlene“im Weimarer Spiegelzel­t.

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