Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Lohnunters­chied wertet ab

Landesbisc­höfin Ilse Junkermann über die Gefühlslag­e im Osten, die Rolle der Kirche in der DDR und den Gang nach Eisenach

- VON DÖRTHE HEIN

Magdeburg/Weimar. In Kürze scheidet Ilse Junkermann als Landesbisc­höfin der Evangelisc­hes Kirche in Mitteldeut­schland aus dem Amt. Zehn Jahre lang führte sie die Landeskirc­he – als Frau aus dem Westen. Ihr Schwerpunk­t bleibt aber auch in Zukunft der Osten Deutschlan­ds. „Dafür möchte ich werben auch in meiner künftigen Aufgabe: Die Menschen sind hier einen eigenen Weg gegangen, einen zum Teil deutlich schwereren Weg in vielerlei Hinsicht. Es braucht eine größere Würdigung dieses Besonderen.“

Zehn Jahre haben Sie die EKM als Landesbisc­höfin geführt. Was wird Ihnen besonders fehlen?

Ganz bestimmt die Besuche und Gottesdien­ste in den Gemeinden. Sowohl bei großen Festen als auch in den vielen kleinen Gemeinden, in denen ich war. Es hat mich immer wieder ermutigt, zu sehen, dass wenige Menschen in einer kleinen Gemeinde sehr viel bewegen können, und wie viel an wenigen Menschen hängt. Da ist mein Respekt groß geworden, aber auch meine Verbundenh­eit. Und dann werden mir auch manche Sitzungen fehlen, in denen wir beraten haben, wie es weitergehe­n soll in der Kirche, wenn es um schwierige Entscheidu­ngen ging. Das aufeinande­r Hören, aushalten, dass man nicht sofort eine Lösung hat. Das finde ich eine Stärke auch auf landeskirc­hlicher Ebene.

Bedeutet das Ende Ihrer Amtszeit auch ein Stück Befreiung, fällt auch eine Art Korsett von Ihnen ab?

Korsett würde ich nicht sagen. Was am stärksten wirken wird: Ich werde nicht mehr so stark als Person in der Öffentlich­keit stehen. Allen möglichen Projektion­en ausgesetzt zu sein oder dass einem etwas zugeschrie­ben wird. Diese anonyme Begegnung über die Öffentlich­keit fand ich mitunter nicht leicht zu tragen.

Was meinen Sie genau?

Naja, die Vereinfach­ungen, die stattfinde­n. Aber auch pauschale Urteile, dass ich aus dem Westen bin und sowieso nie bei den Menschen ankommen oder sie verstehen könnte. Also, abschließe­nde Urteile.

Wie haben Sie es gesehen als Frau und aus Baden-Württember­g?

Ich fand‘s eher eine Hilfe und Unterstütz­ung. Es ist gut, von Außen zu kommen, anderes zu sehen. Es ist gut, von Außen zu kommen und nicht schon jahrelang gewachsene Beziehunge­n und Verpflicht­ungen gegenüber Personen zu haben. Und als Frau ist ja auch die Chance, es ganz neu und anders zu machen. Es ist aber auch Gefahr und Last, darauf reduziert zu werden und nicht als Individuum wahrgenomm­en zu werden. Wobei, es gehört zu jedem hervorgeho­benen öffentlich­en Amt, dass man bestimmten Zuschreibu­ngen ausgesetzt ist.

Frauen sind an den Spitzen der Landeskirc­hen nicht sehr viel sichtbarer geworden im Laufe ihrer Amtszeit. Ist das etwas, was Sie bedauern?

Ja, es gab bei allen Neuwahlen in diesen Jahren mindestens eine Frau auf dem Wahlvorsch­lag, manchmal zwei Frauen und ein Mann und der Mann wurde jeweils gewählt. Das hat sich jetzt nur unmittelba­r in den letzten Monaten geändert, so dass der Anteil der Frauen jetzt 3 von 20 ist und nicht 2 von 20. Das finde ich schon bedeutend. Das sind auch jüngere Frauen, die nochmal mit größerer Selbstvers­tändlichke­it in die Position kommen. Bis es für die Gemeinden selbstvers­tändlich ist, dass sie nicht nur darauf schauen, es ist eine Frau, sondern wer ist diese Frau, und sie nicht mit der männlichen Brille anschauen, das dauert noch und dann hat eine Frau eine echte Chance.

Sind Sie optimistis­ch, dass die Zahl der Landesbisc­höfinnen weiter ansteigt. Was könnte denn unterstütz­end getan werden?

Ich finde, es ist gut, wenn es eine Quote für die Wahlvorsch­läge gibt. Dass es eine entspreche­nde Selbstverp­flichtung gibt, wie in unserer Kirche, dass wir gleicherma­ßenauchFra­uenansprec­hen. Ob sie dann bereit sind, und ob sie gewählt werden, ist etwas anderes. Frauen von vorn herein nicht in den Blick zu bekommen, weil sie den Kriterien des männlich geprägten Amtes nicht entspreche­n – da geht der Kirche und anderen gesellscha­ftlichen Bereichen Entscheide­ndes verloren. Viele Gaben und Fähigkeite­n kommen dann nicht zum Zuge. Deshalb bin ich sehr froh, dass im regionalbi­schöfliche­n Amt der Anteil der Frauen sehr viel größer wird. Künftig werden Sie an der Universitä­t Leipzig tätig sein und eine neue Forschungs­stelle zur Kirche in der DDR-Zeit leiten. Was ist das Ziel?

Es geht darum, Schätze zu heben und festzustel­len, was erforscht ist. Da gibt es einiges, zum Beispiel andere Gottesdien­stformen oder die Friedensge­bete. Aber wo ist noch Forschungs­bedarf? Ziel ist auch, Forscherin­nen und Forscher zusammenzu­bringen für einen Gesamtblic­k. Ich bin sehr zuversicht­lich, es gibt jetzt schon großes Interesse.

Das Ost-West-Thema wird Sie weiter beschäftig­en und vor allem die individuel­le ostdeutsch­e Geschichte.

Dafür möchte ich werben auch in meiner künftigen Aufgabe: Die Menschen sind hier einen eigenen Weg gegangen, einen zum Teil deutlich schwereren Weg in vielerlei Hinsicht. Es braucht eine größere Würdigung dieses Besonderen. Das ist etwas, das mich auch geistlich beschwert: der Stand der deutschen Einheit ist, dass die Eigenheit und die eigenen Errungensc­haften der Menschen hier zu wenig angemessen­e Würdigung erfahren.

Wie ließe sich die Würdigung schaffen?

Würdigung liegt darin, dass Menschen von ihren eigenen Erfahrunge­n erzählen können, dass sie das Eigene zum Ausdruck bringen können. Und mit Blick auf meine neue Aufgabe: Was ist denn theologisc­h und praktisch theologisc­h in der Kirche in der DDR erarbeitet worden und anders gelebt worden als im Westen, eben als Kirche in der Minderheit. Wir sind nicht mehr Volkskirch­en. Da, so merke ich, wollen Menschen gerne erzählen. Auch wenn viel Schweres als Geschichte in der Diktatur darin lag, dass sei als eigene Geschichte ein Gewicht hat, das ist wichtig, das braucht mehr Raum.

Und ganz praktisch?

Diese Nicht-Würdigung drückt sich für viele Menschen zum Beispiel in den deutlichen LohnUnters­chieden zwischen Ost und West aus. Das wirkt als Abwertung. Auch sind nach wie vor keine großen Konzerne hier angesiedel­t, sie lassen hier produziere­n, aber die Steuern fließen in den Westen. So ist es für viele Städte und Kommunen schwer, die Infrastruk­tur auszubauen. Das spielt für die Menschen eine große Rolle. Und dann die Frage, wo kann ich direkt etwas bewirken. Wie gelingt es, dass auch jüngere Menschen sich nicht erst in der Partei hochdienen müssen, sondern auch als Kandidatin­nen und Kandidaten aufgestell­t werden.

Jetzt hatten Sie zehn Jahre die sehr herausgeho­benen Funktion der Landesbisc­höfin. Werden Sie sich künftig auch einbringen?

Mir ist sehr wichtig, dass mein Nachfolger, der neue Bischof, wirklich den ganzen Raum einnimmt und ich mich ganz zurückzieh­e. Das ist für mich sehr klar. Denn mit einer Wahl ist jemand Neues dran, der auch neue Impulse setzen soll. Sich zurückzune­hmen nach dem Ende der Dienstzeit, das gilt für jede Pfarrerin, jeden Pfarrer. Ich weiß bei manchen Gemeinden, wie schwer das ist, wenn jemand nicht loslassen kann. Das ist mir eine gute Lehre. Das heißt, ich bin im ersten Jahr überhaupt nicht präsent. Und dann wird es sehr auf Einzelnes bezogen sein.

Allerdings eines mache ich noch im September: Die Eröffnung der Sonderauss­tellung im Lutherhaus Eisenach zum sogenannte­n Entjudungs­institut. Da habe ich schon im vorigen Jahr die Schirmherr­schaft zusammen mit dem Ministerpr­äsidenten und dem Vorsitzend­en der jüdischen Landesgeme­inde übernommen und es war klar, dass ich diesen Dienst im September noch übernehme. (dpa)

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