Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Trumps historischer Schritt
Zum ersten Mal betritt ein US-Präsident Nordkorea – und bringt damit Bewegung in den Atomkonflikt
Washinton. Der historische Augenblick spielt sich auf wenigen Quadratmetern ab. Donald Trump steht am Sonntag in der demilitarisierten Zone von Panmunjom auf südkoreanischer Seite. Zentimeter von der Betonkante entfernt, die als Demarkationslinie zu Nordkorea dient. Von der Gegenseite kommt die Silhouette von Kim Jong-un näher. Als sich die Staatsmänner in Handschüttelweite befinden, sagt der Diktator aus Pjöngjang auf Englisch: „Schön, dich zu sehen.“Und setzt hinzu: „Ich habe nie erwartet, dich an diesem Ort zu treffen.“
Trump gibt zurück: „Großer Moment, großer Moment.“Dann fragt er, ob er „herüberkommen“soll. Kim bekundet Zustimmung. Wenige Sekunden später setzt Trump als erster USPräsident seinen Fuß über die Grenze und sagt unter Beifall seines Gegenübers: „Es ist eine große Ehre, über diese Linie zu treten.“Seite an Seite mit Kim geht er mehrere Schritte ins Feindesland. Nach kurzem Innehalten für die Fotografen kehrt das ungleiche Duo wieder zurück auf südkoreanisches Territorium und zieht sich zu einem fast einstündigen Gespräch zurück.
Ergebnis des PR-Coups: Die zum Stillstand gekommenen Verhandlungen über die Aufgabe aller Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel, die Trump seit Amtsantritt zu seinem Prestigeprojekt gemacht hat, sollen wieder in Gang kommen. Und: Trump hat Kim erstmals offiziell ins Weiße Haus eingeladen. Schenkt man Trump Glauben, dann folgte die weltpolitische Premiere, die den dürftig geendeten G20-Gipfel im japanischen Osaka aus den Schlagzeilen verdrängte, einem spontanen Einfall. Trumps Tenor: Wenn man schon mal in der Region ist, kann man sich auch kurz sehen. Also ließ er noch in Osaka die Welt via Twitter wissen, dass er „nur zum Händeschütteln und Hallo-Sagen“gewillt sei, Kim in der demilitarisierten Zone zu treffen. Nach nur fünf Stunden reagierte Pjöngjang und erklärte Interesse. Dass Trump, wie USKorrespondenten bezeugen, schon seit Tagen von dem Têteà-Tête schwadroniert haben soll, war schnell vergessen. Wie um die Kurzfristigkeit zu illustrieren, lieferten sich Sicherheitsbeamte beider Seiten am Schauplatz einen bizarren Wettkampf, wobei Journalisten zwischen die Fronten gerieten. Trumps neue Regierungssprecherin Stephanie Grisham soll sogar Blessuren davongetragen haben, als sie mit den Ellenbogen den Weg für US-Korrespondenten frei machte, die Kims Bodyguards gerne vor der Tür gehalten hätten.
Derweil lieferten sich die Hauptpersonen einen Überbietungswettbewerb im Fach Pathos. Kim sagte, es sei das „wundervolle“Verhältnis zu Trump, das „es uns ermöglicht, Grenzen zu überwinden“. Der US-Präsident sprach weihevoll-altväterlich von einem „großen Tag für die Welt“und betonte: „Es ist eine Ehre für mich, hier zu sein. Es passieren gerade viele großartige Dinge.“
Völkerrechtlich befinden sich Nord- und Südkorea seit dem Korea-Krieg (1950–1953) in einem seltsam konservierten Kriegszustand. 1953 wurde zwar der Waffenstillstand vereinbart, der bis heute gilt. Ein echter Friedensvertrag kam aber nie zustande. Zwischen beiden Ländern, in denen sich Millionen Soldaten misstrauisch mit schwerstem Kriegsgerät in Schach halten, dient eine vier Kilometer breite und rund 250 Kilometer lange entmilitarisierte Zone als scharf bewachter Puffer zwischen dem Westen und einem kommunistischen Steinzeit-Regime. Wer im Epizentrum Panmunjom agiert, hantiert mit jeder Geste an einem unter Starkstrom stehenden Sicherheitszaun. Warum es Trump dorthin zog, erklärt sich aus einem für ihn unbefriedigenden Zustand. Nach zwei aus internationaler Sicht dürftig verlaufenen Gipfeltreffen (Singapur 2018 und Vietnam 2019) zwischen Trump und Kim gerieten die Bemühungen um eine „vollständige und nicht mehr zurücknehmbare Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel“, wie sie die USA fordern, in die Sackgasse. Pjöngjang hatte nach über einem Jahr Abstinenz kürzlich zwei Probeläufe mit Kurzstreckenraketen durchgeführt und plante laut US-Medien den Testeinsatz einer Langstreckenrakete. Kim folge damit seiner Strategie, Trump bis Ende dieses Jahres „zu einem weiteren Gipfel und der Lockerung von Wirtschaftssanktionen zu bewegen“, hieß es in Washington. Vorleistungen, die der US-Präsident bisher kategorisch ausgeschlossen hat. Sein Mantra: Erst muss Pjöngjang nachweisbar sein Atomprogramm aufgeben – dann kann das Embargo aufgehoben werden. Von diesem Junktim war aber gestern auch auf Nachfragen nicht mehr überzeugend die Rede. Zwar sagte Trump: „Die Sanktionen bleiben.“Er fügte aber hinzu, dass „an irgendeinem Punkt in den Verhandlungen Dinge geschehen können“. Korea-Experten in Washington erkennen darin ein „Zurückrudern“des Weißen Hauses, obwohl die Gegenseite bisher substanziell nicht geliefert habe. Schaue man auf die Ergebnisse der Gipfeltreffen von Singapur und Hanoi, so sagte der Nordkorea-Unterhändler des früheren US-Präsidenten Barack Obama, Joseph Yun, sei vielmehr Ernüchterung angezeigt: „Das nordkoreanische Atomarsenal ist seither nicht kleiner geworden, sondern größer.“Und wenn Trump behaupte, seit Singapur seien die Spannungen merklich abgeebbt, müsse man darauf hinweisen, dass sie erst durch Trumps Drohungen („fire and fury“= Vernichtung) ausgelöst worden seien. Im republikanischen Lager wurde Trump dagegen als „kluger, mutiger Stratege“beschrieben. Mit dem ungewöhnlichen Schaulaufen in Panmunjom habe der Präsident Kim dazu gezwungen, in Sachen Atomwaffen-Aufgabe „Farbe zu bekennen“. Dass der Diktator dem Treffen an einem emotional so aufgeladenen Ort zugestimmt habe, zeige zudem, wie wichtig für ihn ein „schnellstmöglicher Abbau“der wirtschaftlichen Knebelung durch die US-Sanktionen sei, sagten Abgeordnete.
Trump selbst ließ Kritik an seiner Korea-Politik nicht gelten. Dass Pjöngjang seit langer Zeit keine Atomtests mehr durchführt, dass das Regime bei der Überstellung von aus dem Korea-Krieg übrig gebliebenen USSoldaten kooperativ ist und USGeiseln freigelassen hat, heftet sich der Präsident ans Revers. Und wirft seinen Vorgängern Bush I und II, Clinton und Obama erneut Totalversagen vor. Obwohl Kim bisher keine Anstalten machte, auf die Forderungen Washingtons einzugehen, hält Trump dem Diktator die Stange und spricht von einer „engen Freundschaft und viel gegenseitigem Verständnis“. Was das Kernproblem angeht, Nordkoreas Atomwaffen, wendet sich Trump (anders als im Iran-Konflikt) gegen schnelle Lösungen: „Wer überhastet handelt, der bringt sich in Schwierigkeiten.“Ein Sicherheitsexperte aus dem US-Außenministerium sagte unserer Redaktion, dass Kim mit hoher Wahrscheinlichkeit sein Atomprogramm nie aufgeben werde. „Es ist seine Lebensversicherung.“
Rangeleien und kleinere Beschimpfungen
Wird Kim je seine Atomwaffen abgeben?