Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Pascha lässt die Puppen tanzen

Schlossfes­tspiele Sondershau­sen Mozarts „Entführung aus dem Serail“findet herzliche Aufnahme

- VON WOLFGANG HIRSCH

Sondershau­sen. Wonnevoll schmettert das Loh-Orchester Mozarts Janitschar­en-Musik via Lautsprech­er live aus dem Blauen Saal in den Lustgarten auf Schloss Sondershau­sen. Angelockt von derart „heimatlich­en“Klängen, tauchen drei vollversch­leierte Grazien auf, zücken ein Smartphone für ein Selfie vor der herrschaft­lichen Kulisse und setzen sich abseits ins Publikum auf die Tribüne. Man bestaunt einander vor lauter exotischer Fremdheit – doch toleriert sich. Das wäre schon ein Resümee der als „komisches Singspiel“bis heute im Repertoire fix etablierte­n „Entführung aus dem Serail“von Wolfgang Amadé Mozart, die als vermeintli­ch harmloser Genuss im Zentrum der diesjährig­en Festspiele rangiert. Aber von wegen! Regisseuri­n Saskia Kuhlmann gibt dem Affen Zucker und jongliert mit alten und neuen west-östlichen Klischees; unter der heiteren Oberfläche köchelt der Clash of Civilizati­ons – letztlich als innerer Widerstrei­t im Bewusstsei­n des Bassas, der uns als Erzähler seine Geschichte darlegt. Lange sei er in Europa gewesen und habe dortige Denkweisen und Sitten kennengele­rnt. Das wird schon am modernen Ambiente der Terrasse vorm Palast sichtbar: So dezent wie geschmackv­oll zieren abstrakte pastellfar­bene Mosaike den Bühnentepp­ich und den Prospekt vor dem Schloss (Ausstattun­g: Dietrich von Grebmer).

Dennoch mag der kluge, besonnene Selim auf die osmanische Tradition der Vielweiber­ei ganz und gar nicht verzichten: Vier Ehefrauen, lässt er uns wissen, stünden einem Pascha doch zu! Damit ist klar, zu wem die drei Burka-Vermummten gehören; wie aufs Kommando huschen sie von ihren Plätzen nach hinten ins Schloss (wobei die fallende Hülle der einen über orientalis­che Dessous-Moden Aufschluss gewährt). Später erquicken sie ihren Herrn mit einem aufreizend­en Bauchtanz, während zu seinen Füßen – lauter Früchte solch engagierte­n Familienle­bens – eine muntere Kinderscha­r spielt. Da genießt es der Pascha auf seinem Rattan-Thron, wie die Puppen tanzen.

In diese Verhältnis­se will die emanzipier­te Konstanze gewiss nicht einheirate­n. Obschon sie in seiner Gewalt ist, versucht der noble Schmeichle­r auf die tolerante Art ihr Herz zu gewinnen. Dabei hat die zaudernde Holde es schon dem reichen Belmonte versproche­n. Und als dieser sich unter der Ganzkörper­tarnkappe einer Burka in den Hofstaat einschleic­ht, nimmt das tolpatschi­ge Scheitern der Befreiung aus dem Serail unweigerli­ch seinen Lauf. Dass Selim – vorzüglich von dem Schauspiel­er Jaron Löwenberg verkörpert – dem eitlen Spross aus gutem Hause hoch überlegen ist, setzt ihn gegenüber dem Rivalen in keinen Vorteil.

Auf der Dienstbote­n-Ebene fällt es Blonde, der Zofe, als frechem It-Girl viel leichter, den tumben Aufseher Osmin zugunsten ihres braven Pedrillo (mit standfeste­m Tenor: Brett Sprague) abzuwimmel­n; höchstens darf er ihr mal die Fußsohlen kraulen. Amelie Petrich singt diese Partie bravourös und spielt sie mit viel Witz und Aplomb. Michael Tews, ein Urgestein des Nordhäuser Ensembles, zieht als Bass-Buffo alle Register – was für ein krachendes Liebes-Duell!

Die köstliche Mozart-Musik leidet ein wenig unter ihrer elektronis­chen Vermittlun­g per Lautsprech­er-Anlage, und die Umstände, ohne direkten Sichtkonta­kt zur Bühne dirigieren zu müssen, machen GMD Michael Helmrath die Arbeit schwer. Der eine oder andere Wackler mag diesem unvermeidl­ichen Arrangemen­t geschuldet sein. Kyounghan Seo interpreti­ert den Belmonte etwas glasig und steif. Alle Ohren aber richten sich auf SuJin Bae als Konstanze.

Die junge Frau, die als Meistersch­ülerin noch dem Thüringer Opernstudi­o der Weimarer Hochschule angehört, singt hier ihre erste große Partie. Ja, auch ihr glückt nicht alles. Aber sie paart ihre hohe Beweglichk­eit in der Stimmführu­ng und die Intensität im Ausdruck mit einer derart glühenden Leidenscha­ft, dass ihr Auftritt in Sondershau­sen eine glückvolle Karriere – in gemessenen Schritten – vorausahne­n lässt. Am Ende wird Belmonte durch den aufgeklärt­en Großmut des Paschas, ihn – als Sohn seines ärgsten Feindes – ziehen zu lassen, zwar völlig blamiert. Doch bleibt dem edlen Rivalen, dem der innere Spagat zwischen Orient und Okzident so gründlich misslang, nichts als die Einsamkeit inmitten seiner Großfamili­e und die Melancholi­e. Tröstend legt Osmin ihm die Hand auf die Schulter. Das Publikum applaudier­t euphorisch einem fast drei Stunden langen Sommerthea­ter-Vergnügen, das dank Saskia Kuhlmanns Regie so plausibel wie tiefgründi­g war.

• Weitere Vorstellun­gen:

., ., ., . und . Juli

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FOTO: MARCO KNEISE Höchstens will sie ein bisschen mit ihm spielen. Bei der kessen Blonde (Amelie Petrich) hat der lüsterne Osmin (Michael Tews) nicht den Hauch einer Chance auf erotische Abenteuer.

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