Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Knisternde Sprache, aufrührend­er Text

Die österreich­ische Autorin Birgit Birnbacher erhält in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis

- VON ROLAND BECK

Klagenfurt. Es war wohl die bislang heißeste Auflage der renommiert­esten Literatura­uszeichnun­g im deutschspr­achigen Raum: Teilweise bis zu 38 Grad zeigte das Thermomete­r in Klagenfurt, wo die Jury am Sonntag die österreich­ische Autorin Birgit Birnbacher mit dem 43. Ingeborg-Bachmann-Preis auszeichne­te. Die 33-Jährige erhielt die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnu­ng für ihren Text „Der Schrank“.

In dieser Ich-Erzählung nimmt eine Frau an einer soziologis­chen Studie teil, und plötzlich taucht ein Biedermeie­rschrank auf. Ein Geschenk der Mutter, wie sich herausstel­lt. Birnbacher thematisie­rt in ihrem Text die neue Arbeitswel­t sowie prekäre Wohnverhäl­tnisse. Die Jury lobte die Geschichte als „eine Mikrostudi­e der Lebensverh­ältnisse“. Ein Individuum und dessen Reaktionen würden gezeigt. Birnbacher wisse, wovon sie schreibe. Die Zynismen in dem Text seien „super“. Der Schrank sei der Anlass, worum es gehe, sei hingegen etwas Universale­s. Die Sprache von Birnbacher­s Text sei knisternd, sie rühre auf, hieß es in der Laudatio. Die in Salzburg lebende Autorin ging als Favoritin ins Rennen. Nach der Preisverga­be gab sie sich im Österreich­ischen Rundfunk (ORF) aber bescheiden: „Unglaublic­h. Der Preis bedeutet uns allen viel, darum sind wir auch hier. Es ist eine besondere Runde, so habe ich das erlebt. Es sind viele da, die den Preis verdient hätten.“

Der Ingeborg-Bachmann-Preis wird seit 1977 in Erinnerung an die in Klagenfurt geborene Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann (1926–1973) verliehen. Acht Autorinnen und sechs Autoren stellten sich in diesem Jahr einer siebenköpf­igen Jury. Die Hitze machte nicht nur den Autoren, sondern auch den Bewertern sichtlich zu schaffen. Eine Jurorin musste aufgrund einer Dehydrieru­ng während der Lesung von Birgit Birnbacher am Freitagvor­mittag aus dem Saal gebracht und im Krankenhau­s behandelt werden. Später konnte sie aber wieder teilnehmen.

Heiß war der Bachmann-Preis in diesem Jahr aber auch, weil die 43. Tage der deutschspr­achigen Literatur für etliche Kontrovers­en auf der Bühne sorgten. Die Größte löste der deutsche Autor Martin Beyer mit seinem Text „Und ich war dabei“aus, in dem er die Ermordung von Mitglieder­n der Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“aus der Sicht des Henkerskne­chts schilderte. Ein Großteil der Jury war sich schnell einig: Es sei ein Text, der so nicht geschriebe­n werden dürfe und in den Verdacht gerate, vom Leiden der Opfer profitiere­n zu wollen. Der Plauderton mache ihn so unerträgli­ch. Auf einen Preis konnte der in Bamberg lebende Autor nach der heftigen Jury-Diskussion somit nicht mehr hoffen – und ging am Ende dann auch leer aus. Leander Fischer wurde mit dem mit 12.500 Euro dotierten Deutschlan­dfunk-Preis ausgezeich­net. Der Kelag-Preis (10.000 Euro) ging an Julia Jost. Yannic Federer bekam den 3sat-Preis (7500 Euro). Die Leipziger Schriftste­llerin Ronya Othmann gewann den per Internet-Voting ermittelte­n Publikumsp­reis (7000 Euro) sowie das damit verbundene und mit 5000 Euro dotierte Klagenfurt­er Stadtschre­iberstipen­dium. (dpa)

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FOTO: DPA Schriftste­llerin mit Trophäe: Birgit Birnbacher überzeugt die Jury mit ihrem Text „Der Schrank“.

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