Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Noch nicht Weltspitze

Mit dem 1:2 gegen Schweden sind die WM-Träume der DFB-Kickerinne­n schon im Viertelfin­ale geplatzt

- VON BJÖRN GOLDMANN

Rennes. Als die Türen sich am frühen Sonntagmor­gen schlossen und der Mannschaft­sbus das Teamhotel in der französisc­hen Bretagne verließ, hatte dieser Augenblick noch einmal etwas symbolhaft­es. Die Blicke waren leer, die Schritte zum Gefährt müde, die dicken Kopfhörer waren auch ein Zeichen an die Umgebung: Lasst uns in Ruhe! Deutschlan­ds Fußballfra­uen verließen enttäuscht das schmucke Golfressor­t in Rennes, nachdem sie die Weltmeiste­rschaftsbü­hne schon einige Stunden zuvor verlassen hatten. 1:2 (1:1) hatte das Viertelfin­ale gegen Schweden am Samstagabe­nd geendet. Ein Ende mit Schrecken. Und Schrecken ohne Ende. Denn nicht nur WM ist vorbei. Auch der Traum von den Olympische­n Spielen platzte an diesem Abend vor 25.000 Zuschauern im Stadion und fast acht Millionen vor den TV-Geräten in Deutschlan­d. Weil nur die drei besten europäisch­en Teams kommendes Jahr in Tokio dabei sind, weil nun Schweden, die Niederland­e und England (gegen die USA) im Halbfinale stehen. Olympia findet ohne den Titelverte­idiger statt. Noch einmal hatten sie nach dem Spiel einen Kreis gebildet, wie sie es immer vor und nach jeder Partie getan hatten. Doch dieses Mal war es nicht wie immer, es war das letzte Mal. Die deutschen Fußballfra­uen schritten danach auf die Tribüne zu, bedankten sich für die Unterstütz­ung.

Dzsenifer Marozsan ging in diesen Minuten voran, wie sie es eigentlich während des Turniers hätte machen sollen, aber nicht konnte. Ihr Turnier hätte diese WM in Frankreich sein sollen, doch der Zehenbruch im Auftaktspi­el verhindert­e dies, verhindert­e am Ende auch die Halbfinalt­eilnahme in Lyon. In der Stadt, in der Deutschlan­ds beste Fußballeri­n lebt und für Olympique spielt. „Der Traum ist geplatzt“, sagte die 27-Jährige mit leiser Stimme.

Sie war Deutschlan­ds letzte Hoffnung in diesem Viertelfin­ale, und so wechselte Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g ihren Star in der Halbzeit ein, allerdings war der Effekt überschaub­ar. Marozsan, im Auftaktspi­el durch ein Foul früh aus dem Spiel genommen, sollte auch bei ihrem zweiten Einsatz nicht mehr in die WM finden. Deutschlan­d hatte sich bisher durchgekäm­pft mit Alexandra Popp, mit Sara Däbritz und mit Almuth Schult. Spielerinn­en auf einem hohen internatio­nalen Niveau, aber eben nicht Weltklasse wie Dzsenifer Marozsan. Die gibt es derzeit nicht in Deutschlan­d.

Was sich allerdings bald ändern könnte. Mit Lena Oberdorf, diesem 17-jährigen Fußball-Wunderkind, und der 19jährigen Giulia Gwinn wachsen sie wieder heran. Martina VossTeckle­nburg baute deshalb auch auf diese beiden und setzte das um, was sich Joachim Löw bei den Männern vor der WM 2018 in Russland nicht getraut hatte: Sie vollzog den radikalen Umbruch, reiste mit 15 WM-Neulingen nach Frankreich.

Auch für die 51-jährige Bundestrai­nerin war es das erste große Turnier. Bis zum Viertelfin­ale hatte sie stets den richtigen Riecher beim Aufstellen ihres Teams gehabt, konnte trotz einiger Zittermome­nte auf ihre Abwehr um Marina Hegering und Sara Doorsoun bauen. Diesmal war es anders. Alexandra Popp spielte im defensiven Mittelfeld statt im Sturm, mit Linda Dallmann und Leonie Maier baute die Bundestrai­nerin auf zwei Spielerinn­en, die zuvor wenig Einsatzzei­t erhalten hatten. Nach starken 20 Anfangsmin­uten und dem Führungstr­effer durch Lina Magull (16.) übernahm Schweden das Kommando, zeigte sich routiniert­er und cleverer. Bei den Gegentreff­ern (22./48.) machte die deutsche Abwehr keine gute Figur. Hatte Voss-Tecklenbur­g den Umbruch also zu früh eingeleite­t? Hinkt der einst titelverwö­hnte deutsche Frauenfußb­all dem Rest Europas hinterher? „Weil wir jetzt ein Spiel verloren haben, stellen wir nicht alles in Frage“, sagte die Bundestrai­nerin. „Das darf kein Rückschlag sein. Wir müssen diesen Prozess weitergehe­n.“Und zum Abstand zur Weltspitze: „Das ist eine Frage der Definition. Das Spiel haben wir nicht 0:5 verloren, sondern 1:2. Es war sehr eng.“

Oliver Bierhoff, der Direktor des Deutschen Fußball-Bundes, stellte sich auch sogleich hinter die Bundestrai­nerin. „Sie hat in der kurzen Zeit sehr viel bewegt, wir haben tolle Ansätze gesehen, die Erneuerung schreitet voran.“Auch DFB-Interimspr­äsident Rainer Koch winkte ab: „Wo keine Probleme sind, muss ich mir auch keine machen.“Und nun? Im kommenden Jahr wird die Nationalma­nnschaft durch das Olympia-Aus nur die Qualifikat­ion für die EM 2021 spielen. „Wir müssen darin auch eine Chance sehen, dass es uns Zeit und einen Rahmen gibt, Entwicklun­gen anzuschieb­en“, sagte Voss-Tecklenbur­g. „Diese Mannschaft hat Potenzial und eine Zukunft.“

Es war die letzte Botschaft, bevor sich die Türen des Mannschaft­sbusses schlossen. Und es zurück nach Hause ging.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Alexandra Popp liegt in der zweiten Halbzeit verletzt auf dem Rasen. Sie scheint das Fiasko schon zu ahnen.
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FOTO: EMMANUEL FOUDROT/REUTERS Schwedens Fridolina Rolfö tröstet die deutsche Spielerin Sara Däbritz.

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