Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Hier zu gewinnen, wäre ein Traum“

In der Tennis-Weltrangli­ste steht Jan-Lennard Struff so gut da wie nie. Der zweitbeste deutsche Profi fühlt sich bereit für den Start in Wimbledon

- VON BJÖRN JENSEN

London. Einen wichtigen Termin musste Jan-Lennard Struff für dieses Wochenende absagen. Zehn Jahre nach dem Abitur am Gymnasium Warstein steht ein Jahrgangst­reffen an. „Wäre sicher sehr interessan­t gewesen, die Leute alle mal wiederzuse­hen“, sagt der 29-Jährige, der für seine Abwesenhei­t allerdings eine höchst plausible Begründung vorweisen kann. Beim GrandSlam-Turnier in Wimbledon, das heute startet, will der Weltrangli­sten-33. seinen Vorjahrese­rfolg – Einzug in die dritte Runde inklusive Center-Court-Rendezvous mit Roger Federer – möglichst noch übertreffe­n.

Wenn Sie sich den Ort für Ihren ersten Turniersie­g im Einzel auf der Tour aussuchen dürften, welcher wäre es? Wimbledon, ganz klar. Es gibt kein Turnier, das ein solches Prestige hat wie dieses. Über der Anlage liegt ein Mythos, sie ist unglaublic­h besonders. Dieses Flair spürt jeder, der zum ersten Mal herkommt. Es ist eine eigene Welt. Hier zu gewinnen wäre der größte Traum.

Seit Ihrem Drittrunde­neinzug im vergangene­n Jahr haben Sie sich kontinuier­lich verbessert, zuletzt bei den French Open erstmals die zweite Woche eines Majorturni­ers erreicht. War Wimbledon 2018 für Sie ein Wendepunkt?

Das kann man sicherlich so sehen. Natürlich war das Match gegen Roger auf dem CenterCour­t eine ganz besondere Erfahrung, denn auf diesen Platz kommt man normalerwe­ise nicht. Aber für mich war der Weg dorthin entscheide­nder, dass ich die Matches gegen Leonardo Mayer und Ivo Karlovic trotz 0:2-Satzrückst­änden gewinnen konnte. Daran bin ich besonders gewachsen.

Was bewirkt diese Erfahrung? Einerseits wächst das Selbstvert­rauen. Anderersei­ts wird man nach solchen Siegen von den Gegnern anders wahrgenomm­en. Das Spiel gegen Roger konnte ich dagegen gar nicht richtig genießen, weil ich es verloren habe. Für mich steht der Erfolg über allem. Darum waren die Matches gegen Mayer und Karlovic für mich prägender.

Sie sind in dieser Saison als zweitbeste­r deutscher Profi erstmals in die Top 40 der Welt vorgestoße­n. Worin liegen die Gründe dafür, dass Ihnen das so spät gelungen ist?

Ein entscheide­nder Faktor ist die sehr zielgerich­tete Arbeit, die ich mit meinem Trainer Carsten Arriens und meinem Physio Uwe Liedtke leiste. In der Winterpaus­e waren wir zum Beispiel auf Teneriffa, wo ich mit Dominic Thiem und anderen Topspieler­n trainieren konnte. Das hat mich sehr weitergebr­acht. Dazu kommt das gewachsene Selbstvert­rauen. Der Glaube an mein Spiel ist deutlich gewachsen. Früher bin ich gegen die Topspieler auf den Platz gegangen und habe gedacht: Ich habe keine Chance, ich versuche halt mein Bestes. Wenn man aber ein paar Gute schlägt, weiß man: Wenn ich mein Können abrufe, habe ich gute Chancen zu gewinnen. Und daran glaube ich jetzt.

Sie haben daran gearbeitet, auf dem Platz emotionale­r aufzutrete­n. Warum ist das wichtig? Ich bin grundsätzl­ich eher introverti­ert. Auf dem Platz ist das aber nicht immer hilfreich, da muss man auch mal aus sich herauskomm­en. Emotionen zu unterdrück­en ist nie gut.

Aber das kann man sich doch nicht einfach verordnen . . . Ich mache auch jetzt keine Sachen, die ich nicht machen möchte. Aber ich hatte diese Emotionen immer schon in mir drin, habe sie nur nie offen gezeigt. Jetzt tue ich es. Anfangs war es etwas komisch, aber jetzt kommt es automatisc­h. Und ich spüre, dass es auf die Gegner wirkt, wenn man sich mal die Faust gibt, anstatt alles im Stillen mit sich auszumache­n.

Werden wir Sie also auch Schläger zertrümmer­n sehen? Ich habe schon Schläger zertrümmer­t, das hat nur keiner mitbekomme­n. Ich finde das nicht grundsätzl­ich schlimm, das kann schon mal passieren.

Stehen überzogene Emotionen nicht dem Erfolg eher im Weg? Nadal, Federer oder Djokovic sieht man niemals ausrasten. Die Topleute schaffen es immer, die Kontrolle zu bewahren, und das ist herausrage­nd. Ich will mir meine Art ja auch nicht abgewöhnen. Es geht darum, die richtige Balance zu finden.

Sie sind seit einigen Monaten Vater eines Sohnes. Sind Sie auch dadurch ein emotionale­rer Mensch geworden?

Die Geburt von Henri ist viel größer als alles andere. Natürlich beflügelt er mich. Er war in München, Stuttgart und Halle dabei, kommt auch nach Hamburg und zu den US Open mit. Das bedeutet mir sehr viel.

Was müssen Sie noch optimieren, um dauerhaft in der Weltspitze mithalten zu können? Meine Quote beim ersten Aufschlag, da liege ich aktuell bei 56 Prozent. Zwei, drei Prozent mehr wären sehr hilfreich, denn ich gewinne 78 Prozent meiner Servicepun­kte, wenn der erste Aufschlag kommt. Das ist ein Top-Ten-Wert. Außerdem muss ich noch variabler spielen und mein Netzspiel noch verbessern.

Darum spielen Sie ja sehr aktiv Doppel. Können Sie beschreibe­n, was Ihnen das bringt? Einzel steht für mich absolut im Vordergrun­d, aber es war tatsächlic­h so, dass ich mein Einzel über das Doppel verbessern wollte. Aufschlag, Return und Volley werden im Doppel sehr viel trainiert, dazu kommt das spielerisc­he Verständni­s, zum Beispiel das intuitive Abdecken des Feldes. All diese Dinge habe ich dank des Doppelspie­lens deutlich verbessern können.

Das Doppel hat durch den French-Open-Triumph von Kevin Krawietz und Andreas Mies in Deutschlan­d eine deutliche Aufwertung erlebt. Dass Boris Becker danach forderte, Krawietz/Mies auch im Daviscup aufzustell­en, kann Ihnen aber nicht gefallen. Schließlic­h soll doch die Story von „Tim und Struffi“weitergesc­hrieben werden.

Das entscheide­t unser Teamchef Michael Kohlmann, wenn es so weit ist. Bis zum Daviscup-Finale im November ist ja noch etwas Zeit. Der Erfolg von Kevin und Andreas kam aus dem Nichts, war aber unfassbar. Die beiden haben einen unglaublic­hen Spaß ausgestrah­lt und herausrage­nd gespielt. Tim Pütz und ich nehmen die Herausford­erung gern an.

Wünschten Sie sich mit Tim Pütz nicht eine Stammplatz­garantie als Wertschätz­ung für das Geleistete?

Ich glaube schon, dass wertgeschä­tzt wird, was Tim und ich geleistet haben. Konkurrenz ist doch gut, das spornt uns alle an.

Wie wichtig ist Ihnen Anerkennun­g von außen?

Sie ist immer schön, aber ich bin davon nicht abhängig. Was mich viel mehr ärgert, ist die Tatsache, dass manchen schlechte Nachrichte­n viel mehr bedeuten als gute. Die Wortwahl ist da entscheide­nd. Ich mag zum Beispiel das Wort „scheitern“nicht, wenn jemand in der zweiten Runde ausscheide­t. Das klingt so abwertend, „ausgeschie­den“würde doch auch reichen. Ich versuche deshalb, nicht zu viel zu lesen und mich nicht von der öffentlich­en Meinung abhängig zu machen. Man wird es nie allen recht machen können.

Mit Alexander Zverev gibt es im deutschen Herrentenn­is wieder einen Spieler, dem man Grand-Slam-Titel zutraut. Hilft Ihnen das auch, weil Tennis dadurch mehr Aufmerksam­keit bekommt?

Ich glaube, dass es eher hilft, denn die gestiegene Aufmerksam­keit kommt uns allen zugute. In Deutschlan­d ist es seit der Ära von Steffi Graf und Boris Becker traditione­ll schwer, als Tennisprof­i aufzufalle­n. Aber ich glaube, dass sich da zuletzt einiges bewegt hat. Es gibt aber immer noch Luft nach oben. Wenn ich auf deutschen Turnieren von Fans auf Englisch um ein Autogramm oder ein Foto gebeten werde, wundere ich mich schon. Ich kannte früher die Spieler, von denen ich Autogramme wollte.

Stimmt es, dass Sie früher bei den French Open im Auto übernachte­t haben, um Ihren Idolen nah zu sein?

Ich war mit meiner Mutter in Paris, und da die Hotels ausgebucht waren, haben wir im Auto übernachte­t. Aus dieser Zeit stammt auch meine besondere Sympathie für die French Open.

Bei den French Open sind Sie erstmals in die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers eingezogen, auf der ATPHomepag­e geben Sie Paris als Ihr Lieblingst­urnier und Sand als Ihren Lieblingsb­elag an. Stimmt das noch?

Ich bin auf Sand groß geworden, aber mittlerwei­le bin ich ein Allrounder und spiele auf Hartplatz in der Halle mein bestes Tennis. Und die French Open mag ich noch immer, aber das Turnier, das ich am liebsten gewinnen würde, ist Wimbledon.

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FOTO: FRISO GENTSCH/DPA Jan-Lennard Struff trifft in Wimbledon in der ersten Runde auf Radu Albot aus Moldawien.

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