Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Leere Versprechungen der Spender
Von den 850 Millionen Spendengeldern zum Wiederaufbau der Kathedrale sind bisher erst 85 Millionen eingegangen
Paris. Sie kommen zu Hunderten, jeden Tag, obwohl sie von einem hohen Bauzaun auf respektablem Sicherheitsabstand gehalten werden. Unbedingt wollen Einheimische und Touristen sich selber von den Schäden überzeugen, die ein Großbrand Mitte April der weltberühmten Pariser Kathedrale Notre-Dame zugefügt hat. Mit großen Augen schauen sie auf die eingerüstete Basilika mit ihren von schwarzen Brandflecken verunzierten Fassaden. Notre-Dame steht noch, auch wenn ihre Statik so gelitten hat, dass die Gefahr eines vollkommenen Einsturzes des drei riesige Löcher aufweisenden Gewölbes nach wie vor nicht völlig gebannt ist. Der traurige Eindruck, den die Teilruine des frühgotischen Prachtbaus bietet, mag erklären, warum die Nerven so vieler Franzosen blank liegen. Eine Polemik jagt die nächste, wenn es um den rasch herbeigesehnten Wiederaufbau der vormals mit 13 Millionen Besuchern pro Jahr meistbewunderten Sehenswürdigkeit Europas geht. Entsprechend groß war die Aufregung, als nun bekannt wurde, dass von den versprochenen 850 Millionen Euro an Spendengeldern für die Restaurierung der Kathedrale bislang nur 85 Millionen eingegangen sind. Medienwirksam hatten insbesondere französische Milliardäre wie die Industriemagnaten Bernard Arnault und François Pinault oder die L’Oréal-Erbin Françoise Bettencourt-Meyers dreistellige Millionensummen zugesagt. Bislang jedoch, so bestätigte der Sprecher der Diözese Notre-Dame auf Nachfrage, griffen vor allem Kleinspender in ihre Tasche. Die Reichsten der Reichen hingegen überwiesen noch keinen einzigen Cent. Auch Frankreichs Kulturminister Franck Riester musste einräumen, dass vorerst nur „etwa zehn Prozent“der Spendenzusagen eingehalten wurden. Allerdings fügte er sofort hinzu, dass das völlig normal sei, da die Zahlungsmodalitäten für die Großspender noch nicht festgeklopft sind.
Tatsächlich ist derzeit ein Gesetz in Vorbereitung, welches den Rahmen für die Spendenverträge definiert, die zwischen den Stiftungen der Milliardäre und den für den Wiederaufbau von Notre-Dame verantwortlichen Behörden abgeschlossen werden sollen.
Von einem normalen Vorgang spricht auch Bertrand de Feydeau, Vizepräsident der beinahe alle französischen Restaurierungsarbeiten unterstützenden Nationalstiftung für Baudenkmäler: „Es ist schon ein Unterschied, ob jemand 100 Euro oder 100 Millionen Euro gibt.“
So würden „sehr große Summen“meist in an den Fortschritt der Renovierung gebundenen Raten gezahlt, die Steuerbehörden müssten eingeschaltet werden, und sehr häufig wollten Großspender sehr genau wissen, welchen spezifischen Arbeiten ihre Zahlungen dienen.
Zurzeit streiten sich die Franzosen darüber, ob die Basilika originalgetreu wiederaufgebaut wird oder ob moderne Baumaterialien zum Einsatz kommen sollen und „zeitgenössische“Veränderungen ihres Erscheinungsbildes ins Auge gefasst werden. „Ich wünsche mir, dass die Franzosen konsultiert werden über das Projekt des Wiederaufbaus“, meinte Kulturminister Riester.