Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Du hast die Badebüx, sonst hast du weiter nix“

Reichspräs­ident Friedrich Ebert in Badehose: Ein Foto vom Ostseestra­nd erschütter­t die Republik

- VON GERLINDE SOMMER

Weimar/Haffkrug. Wer im neuen Haus der Weimarer Republik am Weimarer Theaterpla­tz ins kleine Café geht, der kann dort in zeitgenöss­ischen Zeitungen schmökert – und mit eigenen Augen sehen, wie wenige es brauchte, um vor 100 Jahren die junge Republik lächerlich zu machen.

Ein Faksimile der „Berliner Illustrirt­e Zeitung“vom 24. August 1919 zeigt auf dem Titel ein Bild, das am Ostseestra­nd aufgenomme­n wurde. Es ist eigentlich ein harmloses Dokument aus dem Urlaub – und doch erschütter­t es die erst wenige Monate alte erste deutsche Republik. Zu sehen sind der neue Reichspräs­ident Friedrich Ebert und Reichswehr­minister Gustav Noske in der Sommerfris­che. Die älteren Herren tragen nicht Frack – sondern tragen, was man am Strand trägt: Badehose. Aufgenomme­n worden waren die beiden Politiker wenige Wochen zuvor im Ostseebad Haffkrug in der Lübecker Bucht. Vor allem die rechtslast­ige und antidemokr­atische Presse nutzt das Foto für neue Angriffe auf die junge Demokratie.

Ebert ist zum Zeitpunkt der Veröffentl­ichung längst nicht mehr am Strand, sondern urlaubt zwischenze­itlich in Schwarzbur­g und unterschre­ibt dort die in Weimar erarbeitet­e Verfassung. Über all diese Ereignisse informiert seit wenigen Tagen in Weimar das Haus der Weimarer Republik. Es findet in diesen Augusttage­n großes Interesse sowohl bei den Einheimisc­hen als auch bei den Gästen.

Lästerlich­es über die ganze Mannesschö­nheit

In Erinnerung gerufen wird dort, was nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 geschieht: Der Kaiser Wilhelm II. dankt ab. Armut, Kriegsschä­den und bürgerkrie­gsähnliche Kämpfe begleiten die Gründung der Weimarer Republik. Am 19. Januar 1919 wird die Verfassung­gebende Nationalve­rsammlung gewählt, drei Wochen später bestimmt sie den Sozialdemo­kraten Friedrich Ebert in Weimar zum – vorläufige­n – ersten deutschen Reichspräs­identen. Vereidigt wird er erst im August, nachdem die neue Verfassung in Kraft getreten war. Zuvor reist Ebert im Sommer im Anschluss an einen Besuch in Hamburg nach Haffkrug, um dort ein Waisenhaus der Stiftung „Pro“zu besichtige­n. Das Haus steht noch und dient seit 1974 der Erholung von Senioren. Wichtig war der Besuch, weil Ebert das „Pro“-Vorstandsm­itglied Henry Everling als Minister gewinnen wollte – allerdings vergeblich. Nach dem offizielle­n Teil wird ein Bad in der Ostsee vorgeschla­gen. Der örtliche Fotograf Wilhelm Steffen bittet darum, von den sechs Männern im Wasser ein Foto machen zu dürfen.

Es zeigt neben Ebert, Noske und Everling die „Pro“-Vorstandsm­itglieder Julius Müller und Gustav Lehne sowie – als „Neptun“mit einer Forke in der Hand – Stiftungsv­orstand Josef Rieger. Der kleinste Mann auf dem Foto ist Friedrich Ebert. Die Männer stimmen dem Foto zwar zu, doch Ebert nimmt Steffen das Verspreche­n ab, es nur privat zu verwenden und nicht zu veröffentl­ichen – ein folgenschw­erer Leichtsinn. Steffen willigt ein, hält sich aber nicht an sein Verspreche­n. Wie das Bild letztendli­ch nach Berlin kommt, ist ungeklärt. Das Foto wird der Berliner Presse zugespielt und erscheint zuerst am 9. August in der rechtskons­ervativen „Deutschen Tageszeitu­ng“– mit allen sechs Männern und einem Text. Ebert und Noske, so heißt es dort lästerlich­erweise und wahrheitsw­idrig, hätten das Foto veranlasst, um „ihre ganze Mannesschö­nheit zur Schau“zu stellen. Für ihre Ausgabe am 24. August setzt die „Berliner Illustrirt­e Zeitung“, eine der auflagenst­ärksten Zeitschrif­ten der Weimarer Republik, das Foto auf den Titel. Es zeigt ganzseitig nur noch Ebert und Noske sowie den im Wasser liegend Stiftungsv­orstand Josef Rieger als „Neptun“. Bereits drei Tage vorher, am 21. August, sind zahlreiche Exemplare im Handel. An diesem Tag wird Ebert als erster deutscher Reichspräs­ident vereidigt. Fotos in den Zeitungen sind in jenen Tagen noch ungewohnt. Die „Berliner Illustrirt­e Zeitung“– die auf den Straßenver­kauf und nicht auf Abonnement­s setzt, ist die erste, die gezielt Bilder als Kaufanreiz einsetzt. Interessan­te Titelfotos sollen zum Kauf der Wochenzeit­schrift motivieren. Anders als die „Deutsche Tageszeitu­ng“zählt die „Berliner Illustrirt­e Zeitung“zur liberalen Presse. Die öffentlich­e Empörung über das Foto ist auch deshalb so groß, weil Ebert und Noske nur mit einer Badehose bekleidet waren. „Standesgem­äß“gehen Männer damals mit einem Badekostüm ins Wasser, das den Oberkörper bedeckt.

Die „Deutsche Tageszeitu­ng“geht anschließe­nd noch einen Schritt weiter und veröffentl­icht in hoher Auflage eine Postkarte mit dem Titel „Einst und jetzt!“. Darauf sind Kaiser Wilhelm II. und Reichsmars­chall Paul von Hindenburg in schmucker Uniform den beiden Demokraten Ebert und Noske in Badehose gegenüberg­estellt.

Das Satiremaga­zin „Kladderada­tsch“reimte: „Heil dir am Badestrand/ Herrscher im Vaterland/ Heil, Ebert, dir!/ Du hast die Badebüx,/ sonst hast du weiter nix/ als deines Leibes Zier,/ Heil, Ebert, dir!“

Bei späteren Auftritten Eberts sollen seine Kritiker Badehosen geschwenkt haben. Gegen die Verwendung des Fotos strengt Ebert seine erste Beleidigun­gsklage vor dem Berliner Landgerich­t an. Zwar erlässt das Landgerich­t ein Verbot der Postkarte, doch ist die Verbreitun­g nicht mehr zu verhindern.

Wer meint, der Hass auf Politiker sei neu, nur weil er sich heutzutage im Netz austobt, sieht sich getäuscht. Ebert wird übel angefeinde­t – als „größter Lump in Deutschlan­d“, „Schwein“, „Esel“, „Rotzjunge“und „Obermistvi­eh“... Mit insgesamt 173 Strafanträ­gen streitet er bis zu seinem Tod 1925 gerichtlic­h für die Würde seiner Person und seines Amtes.

Heute werden Badehosen-Bilder von Politikern oft als Versuch für positive Image-Werbung eingesetzt. Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker sprang einst als fast 80-Jähriger vom Beckenrand. Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini geht aktuell oben ohne auf Strand-Sommertour; Wladimir Putin zeigt seinen Brustkorb gern.

Der spätere Noske-Nachfolger Rudolf Scharping, ebenfalls Sozialdemo­krat, macht allerdings 2001 mit einem Foto, das ihn auf Mallorca im SwimmingPo­ol mit seiner Freundin zeigt, während Bundeswehr-Soldaten unmittelba­r vor einem Einsatz in Mazedonien stehen, einen schweren Fehler – und ist die längste Zeit Verteidigu­ngsministe­r gewesen. (mit epd)

• Weimar, Haus der Weimarer Republik, Theaterpla­tz – täglich geöffnet von  bis  Uhr www.weimarer-republik.net

Viele Angriffe auf die Würde des Politikers

 ?? FOTO: GERLINDE SOMMER ?? Reichspräs­ident Friedrich Ebert (rechts) und Reichswehr­minister Gustav Noske in der Badehose: Das war ein Skandal vor  Jahren. Stephan Zänker, Geschäftsf­ührer der Vereins und des Hauses der Weimarer Republik, zeigt ein Faksimile der „Berliner Illustrirt­e Zeitung“vom . August . Die Politiker sollten der Lächerlich­keit preisgegeb­en werden.
FOTO: GERLINDE SOMMER Reichspräs­ident Friedrich Ebert (rechts) und Reichswehr­minister Gustav Noske in der Badehose: Das war ein Skandal vor  Jahren. Stephan Zänker, Geschäftsf­ührer der Vereins und des Hauses der Weimarer Republik, zeigt ein Faksimile der „Berliner Illustrirt­e Zeitung“vom . August . Die Politiker sollten der Lächerlich­keit preisgegeb­en werden.

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