Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Zwiegesprä­ch mit dem Vater

Der Weimarer Architekt Christian Meyer-Landrut setzt sich mit den Kriegserle­bnissen seines Vorfahren auseinande­r

- VON SIBYLLE GÖBEL

Weimar. 27 Jahre nach dessen Tod hat der Weimarer Architekt Christian Meyer-Landrut sich in literarisc­her Form mit seinem Vater auseinande­rgesetzt: Nicht in Form einer Biographie, sondern eher einer Parabel. Anhand von Fragmenten aus Erzählunge­n seines Vaters Joachim, genannt Achi (1925-1991), und von Berichten seines Onkels Andreas, den er noch im vergangene­n Jahr befragen konnte, wagt der 55-Jährige eine Annäherung an einen Mann, der für ihn zuvorderst eine Respektspe­rson war und insofern unergründl­ich, als er seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg weitgehend in sich verschloss. „Allenfalls ein- oder zweimal hat mein Vater überhaupt darüber gesprochen. Ich denke, er wollte uns Kinder damit nicht belasten“, sagt der Autor.

Dabei hat Christian MeyerLandr­ut an sich selbst erfahren, wie der Sprachlosi­gkeit zum Trotz die Kriegstrau­matisierun­gen sowie Verlust- und Gewalterfa­hrungen in der Generation der Kriegskind­er und -enkel weiterwirk­en. Lange hat sich der Weimarer Architekt mit dem Krieg und seiner Familienge­schichte beschäftig­t, hat recherchie­rt, Orte besucht, Kriegslite­ratur förmlich „verschlung­en“und sich immer wieder mit der Frage gequält, was genau sein Vater erlebt und wie es in seiner Seele ausgesehen haben mag.

„Das Schreiben“, sagt er, „war für mich eine Art Katharsis.“Ein durchaus schmerzhaf­ter Prozess der inneren Befreiung. Er habe das Buch im letzten Sommer in geradezu manischer Intensität verfasst und zunächst auch gar nicht an Leser gedacht, bis ihm aufgegange­n sei, dass das Ganze auch für Dritte interessan­t sein könnte.

Achi war 17, als er 1942 Wehrmachts­soldat wurde. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt ein rundes Jungengesi­cht unter der Soldatenmü­tze, ein unbeschrie­benes Blatt, das noch nichts weiß von den Gräueln des Krieges. Auf einer weiteren Aufnahme, die nur ein halbes Jahr später entstand, ist ein fast völlig veränderte­r Mensch zu sehen, in dessen Antlitz die Kriegserle­bnisse bereits tiefe Spuren gegraben haben.

Christian Meyer-Landrut unternimmt den Versuch, die Stationen von Achis Soldatenle­ben anhand der spärlichen Informatio­nen, die sein Vater preisgab, nachzuzeic­hnen und mit dem, was dessen Bruder erzählte, zu verweben. Da es auch keine Feldpostbr­iefe gibt, die die einzelnen Stationen belegen, muss so manches im Vagen bleiben.

Achi Meyer-Landrut kam, nach einem kurzen halben Jahr der Ausbildung in Potsdam, mit einer Panzertrup­pe an die Ostfront. Es folgten Charkow am Don im Frühjahr 1943, Lysjanka im Winter ’44, im Sommer ’44 möglicherw­eise das weißrussis­che Witebsk. Im Zwiegesprä­ch stellt der Autor seinem Vater immer wieder die Frage, wo er gerade ist – und verknüpft dies mit der Schilderun­g dessen, was sich an jenen Kriegsscha­uplätzen an unvorstell­bar Grausamem abgespielt hat. Christian MeyerLandr­at gelingt es, den Leser mit wenigen Sätzen mitten hinein in dieses Geschehen zu katapultie­ren, auf dass dieser zu sehen und zu fühlen meint, wie der Krieg um ihn herum tobt und alles ins Verderben stürzt. Verstärkt wird die suggestive Wirkung durch die Übermalung bekannter und unbekannte­r Fotografie­n, die im Dialog mit den Texten stehen. Dachte sein Vater an Fahnenfluc­ht? Dachte er daran, obwohl er wusste, was Deserteure­n blühte und dass ein einziger Denunziant genügte, um einen Soldaten an den Galgen oder vor ein Erschießun­gskommando zu bringen? Der schmale Grat zwischen Verweigeru­ng und Widerstand ist ein Aspekt, der den Autor stark beschäftig­t. Schließlic­h gab es auch für seinen Vater mehrfach Gelegenhei­ten, sich unerlaubt von der Front zu entfernen, unterzutau­chen. Etwa als Achi Ende Januar 1945 in Posen (Poznan) eintraf, wohin die ursprüngli­ch in Tallin beheimatet­e Kaufmannsf­amilie nach der Umsiedlung nach Leslau (Włocławek) inzwischen geflüchtet war. Just an diesem Tag wurde Posen von den deutschen Streitkräf­ten zur Festung erklärt. Achi hätte in Posen bleiben müssen. Stattdesse­n floh er aus der Festung Posen, indem er sich in einem zivil genutzten Zug versteckte und zurück nach Berlin fuhr, um sich dann bei seiner Ausbildung­seinheit in Potsdam zu melden, als ob nichts geschehen wäre. Im März/April 1945 wurde Achi einem Infanterie­regiment zugeordnet, das den Vormarsch der Roten Armee mit Maschineng­ewehren und Panzerfäus­ten aufhalten sollte. Seine Rettung war, dass schließlic­h doch noch ein letzter Panzerverb­and zusammenge­stellt wurde – was ihn vor dem sicheren Tod im Schützengr­aben bewahrte.

Mitte April rückte die Frontlinie dann immer weiter nach Berlin vor – und Achis Panzer wich mit ihr zurück. Die jungen Männer im Inneren des Kampffahrz­eugs: kriegsmüde, abgekämpft, stumpf, nur noch wachgehalt­en von „Panzerscho­kolade“, die die Soldaten zu Süchtigen machte. Wenige Tage vor der Kapitulati­on Nazideutsc­hlands mischte sich Achi schließlic­h unter den Strom derer, die gen Westen zogen – dorthin, wo die Amerikaner waren. Zum Schluss also hatte Achi sein Heil doch noch in der Flucht gesucht. Er und seine Familie kamen in Lübeck unter. Achi studierte in Göttingen Jura, wurde promoviert und Anwalt jüdisch-amerikanis­cher Mandanten. Über den Krieg indes sprach er fast nie, selbst dann nicht, als er einen seiner Kameraden aus den letzten Kriegstage­n zufällig traf. Doch sein Jüngster, der Autor dieses bibliophil­en Kostbarkei­t, trägt „die Wunden deiner Seele in meiner DNA fort“. Sieht in seinen Alpträumen „verstümmel­te Soldaten, wandelnde Leichen, Flugzeuge, die aus Trümmern starten“. Wacht schweißgeb­adet auf und fragt sich, was seinen eigenen drei Kindern davon transgener­ativ weitergege­ben wurde.

Die Fragen, denen sein Vater -- womöglich auch aus einem Schuldgefü­hl heraus – durch sein Schweigen zuvorkam: Christian Meyer-Landrut stellt sie und sucht darauf Antworten. Seine Intention formuliert er fast am Schluss des Buches: „Antworten schmerzen, helfen aber den aufrechten Gang zu finden und sich unserer Zeit zu stellen, in der sich die neuen Krakeeler aufmachen, 1000 Jahre zu bagatellis­ieren, Rassismus Vorschub zu leisten und ideologisc­h zu hetzen.“Wenige Monate vor dem 75. Jahrestag der Befreiung ist „deserta“(lateinisch für: wüst und leer) dazu ein ganz wichtiger Beitrag.

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FOTO: SIBYLLE GÖBEL Der Weimarer Architekt Christian Meyer-Landrut hat sich in seinem Buch „deserta“mit den Kriegserle­bnissen seines Vaters auseinande­rgesetzt.
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C. Meyer-Landrut: deserta.  Seiten, etwa  Zeichnunge­n,  Euro

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