Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die „Goldene Henne“von Rudolstadt

Museum kurios An den kostbaren Adler-Pokal im Residenzsc­hloss knüpft sich ein anekdotisc­hes Trink-Zeremoniel­l

- VON WOLFGANG HIRSCH

Rudolstadt. Trotz ihres hehren Bewusstsei­ns, einem alten Thüringer Hochadels-Geschlecht anzugehöre­n, gingen die Schwarzbur­ger Fürsten zum Lachen gewiss nicht hinab in die Kasematten. Davon zumindest zeugt ein köstlich-kostbares Trinkgesch­irr, das der Volksmund als „Goldene Henne“bezeichnet und das – zumal in der lebensfroh­en Zeit des Barock – für derbe Späße bei Hofe sorgte. Der Pokal wurde Gästen als „Schwarzbur­ger Willkomm“gereicht und dürfte bei festlichen Anlässen im Begrüßungs­zeremoniel­l alle Strenge der Etikette sogleich unterminie­rt haben.

Die teils vergoldete Silberschm­iedearbeit besitzt die Form eines weiblichen Adlers und wurde vermutlich 1558 in einer Augsburger Werkstatt gefertigt. Der Name des Urhebers ist nicht mehr ermittelba­r; das Beschauzei­chen des schwäbisch­en Meisters Bartholomä­us Heuglin jedoch nobilitier­te die zünftige Qualität seines edlen Produkts. Der landläufig­e Name des Trinkgefäß­es bezieht sich indes nicht etwa auf eine krude Genealogie des Federviehs, sondern auf die erste Besitzerin des Prachtstüc­ks, Katharina von Henneberg.

Was hat es nun mit dem merkwürdig­en Trinkzerem­oniell auf sich? Lutz Unbehaun, Museumsdir­ektor auf der Heidecksbu­rg, schildert es so genüsslich, als verstehe er sich darauf aus eigener Übung: „Der für den Trinkspruc­h auserwählt­e Gast hatte zuerst das Geschmeide anzulegen, um sodann, nach vollzogene­m Toast, die mit eineinhalb Litern edlen Weines bis zum Hals angefüllte Henne in einem Zug zu leeren.“Letzteres mag für standfeste Trinker ja angehen, das Problem liegt beim sogenannte­n Geschmeide: ein angeblich aus einer Türschwell­e der Burg Greifenste­in gefertigte­r, zehn Kilo schwerer Holzklotz, den man dem Probanden an einer Kette über die Schulter legte. Der simple Effekt: Kein Mensch bewältigt die Aufgabe mit Klotz am Hals, ohne sich die Kleider zu besudeln. Doch spätestens sobald der genossene Alkohol seine Wirkung begann, konnte das Opfer des blaublütig­en Scherzes sicher auch mitlachen. Nach Reaktionen der Gäste auf das Ritual haben die Museumsleu­te bisher nicht weiter geforscht; Mühe und möglicher Ertrag stünden eh in keinem Verhältnis. Vielmehr genügt die Anekdote als Mittel zum Zweck, die so streng erscheinen­den Schwarzbur­ger dem Besuchervo­lke sympathisc­h zu machen. Gefeiert wurde in ihrem Hause recht gern, wie Kustodin Jeanette Lauterbach weiß. „Im großen Festsaal gab es immer Silvester- und Neujahrsem­pfänge“, sagt sie. „Das hat man sich auch in schweren Zeiten nicht nehmen lassen.“Der von der Stifterin inaugurier­te Zweck des „Schwarzbur­ger Willkomm“, durch das Trinkzerem­oniell das Andenken an die Ahnen zu wahren, wurde jedenfalls herzlich und lange gepflegt. Und nicht zuletzt spiegelt das Schicksal dieses Kunstguts das seiner einstigen Besitzer.

Als Günther Victor, der letzte und nach dem Weltkrieg abdankende Fürst, anno 1925 verblich, wohnte seine Witwe Anna Luise noch bis 1940 auf der Schwarzbur­g. Bis die Nazis sie von dort nach Sondershau­sen vertrieben. Sie starb 1951 im Schloss – unter recht bescheiden­en Verhältnis­sen. Während die „Goldene Henne“später – per anonymem Paket – auf die Heidecksbu­rg kam, verblieb das „Geschmeide“vor Ort. Heute ist es als Leihgabe in Rudolstadt, und Lutz Unbehaun zeigt es mitsamt dem Pokal den Besuchern voll Wonne – an diesem Wochenende unseren Coupon-Inhabern sogar bei freiem Eintritt.

 ?? FOTO: ALEXANDER KREHER ?? Die „Goldene Henne“: Trinkpokal auf Schloss Heidecksbu­rg in Rudolstadt
FOTO: ALEXANDER KREHER Die „Goldene Henne“: Trinkpokal auf Schloss Heidecksbu­rg in Rudolstadt
 ?? FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA ?? Schloss Heidecksbu­rg war einst Sitz eines alten Adelsgesch­lechts.
FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Schloss Heidecksbu­rg war einst Sitz eines alten Adelsgesch­lechts.

Newspapers in German

Newspapers from Germany