Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Die „Goldene Henne“von Rudolstadt
Museum kurios An den kostbaren Adler-Pokal im Residenzschloss knüpft sich ein anekdotisches Trink-Zeremoniell
Rudolstadt. Trotz ihres hehren Bewusstseins, einem alten Thüringer Hochadels-Geschlecht anzugehören, gingen die Schwarzburger Fürsten zum Lachen gewiss nicht hinab in die Kasematten. Davon zumindest zeugt ein köstlich-kostbares Trinkgeschirr, das der Volksmund als „Goldene Henne“bezeichnet und das – zumal in der lebensfrohen Zeit des Barock – für derbe Späße bei Hofe sorgte. Der Pokal wurde Gästen als „Schwarzburger Willkomm“gereicht und dürfte bei festlichen Anlässen im Begrüßungszeremoniell alle Strenge der Etikette sogleich unterminiert haben.
Die teils vergoldete Silberschmiedearbeit besitzt die Form eines weiblichen Adlers und wurde vermutlich 1558 in einer Augsburger Werkstatt gefertigt. Der Name des Urhebers ist nicht mehr ermittelbar; das Beschauzeichen des schwäbischen Meisters Bartholomäus Heuglin jedoch nobilitierte die zünftige Qualität seines edlen Produkts. Der landläufige Name des Trinkgefäßes bezieht sich indes nicht etwa auf eine krude Genealogie des Federviehs, sondern auf die erste Besitzerin des Prachtstücks, Katharina von Henneberg.
Was hat es nun mit dem merkwürdigen Trinkzeremoniell auf sich? Lutz Unbehaun, Museumsdirektor auf der Heidecksburg, schildert es so genüsslich, als verstehe er sich darauf aus eigener Übung: „Der für den Trinkspruch auserwählte Gast hatte zuerst das Geschmeide anzulegen, um sodann, nach vollzogenem Toast, die mit eineinhalb Litern edlen Weines bis zum Hals angefüllte Henne in einem Zug zu leeren.“Letzteres mag für standfeste Trinker ja angehen, das Problem liegt beim sogenannten Geschmeide: ein angeblich aus einer Türschwelle der Burg Greifenstein gefertigter, zehn Kilo schwerer Holzklotz, den man dem Probanden an einer Kette über die Schulter legte. Der simple Effekt: Kein Mensch bewältigt die Aufgabe mit Klotz am Hals, ohne sich die Kleider zu besudeln. Doch spätestens sobald der genossene Alkohol seine Wirkung begann, konnte das Opfer des blaublütigen Scherzes sicher auch mitlachen. Nach Reaktionen der Gäste auf das Ritual haben die Museumsleute bisher nicht weiter geforscht; Mühe und möglicher Ertrag stünden eh in keinem Verhältnis. Vielmehr genügt die Anekdote als Mittel zum Zweck, die so streng erscheinenden Schwarzburger dem Besuchervolke sympathisch zu machen. Gefeiert wurde in ihrem Hause recht gern, wie Kustodin Jeanette Lauterbach weiß. „Im großen Festsaal gab es immer Silvester- und Neujahrsempfänge“, sagt sie. „Das hat man sich auch in schweren Zeiten nicht nehmen lassen.“Der von der Stifterin inaugurierte Zweck des „Schwarzburger Willkomm“, durch das Trinkzeremoniell das Andenken an die Ahnen zu wahren, wurde jedenfalls herzlich und lange gepflegt. Und nicht zuletzt spiegelt das Schicksal dieses Kunstguts das seiner einstigen Besitzer.
Als Günther Victor, der letzte und nach dem Weltkrieg abdankende Fürst, anno 1925 verblich, wohnte seine Witwe Anna Luise noch bis 1940 auf der Schwarzburg. Bis die Nazis sie von dort nach Sondershausen vertrieben. Sie starb 1951 im Schloss – unter recht bescheidenen Verhältnissen. Während die „Goldene Henne“später – per anonymem Paket – auf die Heidecksburg kam, verblieb das „Geschmeide“vor Ort. Heute ist es als Leihgabe in Rudolstadt, und Lutz Unbehaun zeigt es mitsamt dem Pokal den Besuchern voll Wonne – an diesem Wochenende unseren Coupon-Inhabern sogar bei freiem Eintritt.