Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Scholz hört die Signale
Über den Wettbewerb um den SPD-Vorsitz
Scholz traut sich. Dass er sich alles zutraut, wissen alle. Mit seiner Bereitschaft, doch für den Parteivorsitz zu kandidieren, zeigt der Vizekanzler, dass er aus härterem Holz geschnitzt ist als andere Zauder-Genossen. Rechtzeitig hat er erkannt, dass er seine vorgeschobenen Bedenken über Bord werfen und sich in den Dienst der siechenden Partei stellen muss. Ganz uneigennützig agiert Scholz nicht. Mit dem Zugriff will er seinen Plan absichern, Kanzlerkandidat zu werden. Bei zwölf Prozent in den Umfragen und seiner Unpopularität auf Parteitagen mag man das für größenwahnsinnig halten. Ein zweiter Blick lohnt. Welchen Regierungsprofi, dem man guten Gewissens das Land anvertrauen würde, hat die SPD sonst noch auf der Bank? Der 61 Jahre alte Finanzminister, der neuerdings gern damit kokettiert, er sei Feminist und viel flauschiger als viele glaubten, wird kein Rockstar mehr, dem die Steuerzahler ihre Sparbücher auf die Bühne werfen. Sein Plan, den Soli ab 2021 für fast alle (Millionäre ausgenommen) abzuschaffen, ist dennoch ein Pfund.
Ein Selbstläufer wird die Bewerbung keineswegs. Welche Frau findet Scholz? Viele Parteilinke werden Scholz bekämpfen. Er steht prinzipiell für die alte SPD. Ihm ist der Niedergang genauso anzukreiden wie Sigmar Gabriel oder Andrea Nahles. Seine Marktlücke besteht darin, dass er für die Fortsetzung der GroKo eintreten kann. Sein Mantra lautet: Wer außer der SPD hält die Gesellschaft zusammen? Aber reicht das, gedemütigte Genossen abzuhalten, der verhassten Koalition vor Weihnachten den Dolchstoß zu verpassen?