Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Bauen verbraucht 50 Prozent der globalen Energie“
Weimarer Architekt warnt vor Umwelt- und Klimaschäden. 61 Prozent der Jugendlichen sehen Verantwortung bei allen
Weimar. Wer Umweltschutz will, muss sich intensiv mit dem Bauen beschäftigen. Das macht der Weimarer Architekt Erik Schmitz-Riol im Gespräch mit dieser Zeitung deutlich: „Bauen verbraucht 50 Prozent der globalen Energie“, Verkehr und Industrie jeweils 25 Prozent. „Wer hier vernünftig ansetzen will, muss über das Bauen und was daran die Umwelt und das Klima schädigt nachdenken“, gibt er zu bedenken. „Mich beschäftigt das täglich und ich leide darunter, dass die Welt in so eine Richtung wandert – trotz aller Bemühungen.“Schmitz-Riol hat während seiner Zeit an der Bauhaus-Uni festgestellt, dass dieses Thema unter den in den 1990ern und Nuller-Jahren Studierenden keine besondere Priorität genoss. Viele hätten damals gedacht, ihr Beitrag für eine bessere Welt sei mit der Mülltrennung erbracht. Mittlerweile hat eine jüngere Generation vor allem den Klimaschutz ins Visier genommen – und zum Teil bereits ein bewussteres Leben begonnen. Beim Umwelt- und Klimaschutz sehen junge Menschen in Deutschland einer Umfrage zufolge vor allem jeden und jede Einzelne in der Verantwortung. Dieser Ansicht vertreten 61 Prozent der 14- bis 22-Jährigen in einer Jugendstudie des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts. Von der Bewegung „Fridays for Future“, die freitags zu „Schulstreiks“aufruft, haben vier von fünf jungen Menschen schon gehört. 23 Prozent geben an, sich an solchen Demos zu beteiligen. Von denen, die sich bisher nicht beteiligt haben, kann sich fast jeder zweite (46 Prozent) vorstellen, mal mitzumachen.
Schmitz-Riols Tochter Louise, die in Weimar ein Gymnasium besucht, ist bei „Fridays for Future“engagiert – und hat mit dem Religionslehrer und Mitschülern eine Umwelt AG an ihrer Schule gegründet. Für ihre Mutter Christina ist der Umweltschutz, dem sich die ganze Familie verpflichtet fühlt, kein Verzicht, der neu gelernt werden muss. Vieles kenne sie noch aus DDR-Zeiten. „Jetzt fordern uns die Kinder neu“, sagt die Sprecherzieherin, die wie ihr Mann beruflich selbstständig ist. Damit Umweltschutz wirken könne, müsse er zentraler Bestandteil der Bildung werden – und zwar überall auf der Welt, sagt sie.
Weimar. Keine Plastiks me mehr. Keine Papiers ten. Keine Wattestäbch Plastikstiel. Bei F Schmitz-Riol ändert sich manches. Nein, sagt Vate damit lasse sich nicht die retten. Aber es ist ein Anfa Zur Familie gehören vie der; zwei sind bereits beim dieren fern von Weimar. L Jahrgang 2004, geht ins Gy sium und engagiert sich be days for Future (FFF). Ca 2007 geboren und der Jü der Familie, und den Elte Sprecherzieherin Christina diesem Jahr 50 geworden, Architekt Erik, zwei Jahre äl ist es ebenfalls wichtig, sich weltbewusst zu verhalten. Da darben sie nicht. Ihr Credo nicht der Verzicht. Sie übe gen sich genau, was nötig is und was nicht. Christina stammt aus dem O ten – und findet die Rückke vom flüssigen Duschbad aus d Plastikflasche zur Seife „nic schlimm“. Als Jugendliche h sie sich ihr Shampoo selbst g macht. Ihr Mann Erik, im Wes ten sozialisiert, hat als Kind mi dem Vater den Müll eingesam melt. Der Wohlstandsabfall mit ten in der Natur – erinnert er sich an sein damaliges Erstaunen – reichte von der vollen Mülltüte oder Kippen bis zum alten Fernseher.
Die Fragen zum Umweltbewusstsein sind es, derentwegen wir uns um den Tisch der Familie Schmitz-Riol versammeln. Erik hat das Abendessen bereitet: Es gibt Flammkuchen – mit Speck. Ganz auf Fleisch verzichten möchten die vier nicht. Anders die ältere Tochter in Hamburg: Sie lebt vegetarisch. Mutter Christina erzählt davon mit Begeisterung. Vater Erik sagt zur Motivation der Tochter: „Sie macht das mehr aus ökologischen als aus ethischen Gründen. Die Viehzucht verbraucht so unglaublich viel Wasser und macht so eine große Umweltverschmutzung.“
Was auffällt: Die Familie lebt in einem Haus am Rande der Innenstadt, das eine lange Geschichte hat. Die Möbel sind Antiquitäten oder Fundstücke, manches stammt aus Familienbesitz, anders vom Trödler. Oder es stand am Straßenrand. Wer sich so einrichtet, möbliert sich nachhaltig. Gepflegt, gemütlich und gediegen im Wohnbereich, die Küche modern: Diesen Eindruck können auch Menschen gewinnen, die sich bei den Schmitz-Riols einquartieren, solange die Familie auf Reisen ist.
Die Familie hat nicht immer in Weimar gelebt. Selbst in den USA waren die Schmitz-Riols ein paar Jahre. Reisen bildet. So erzählen sie davon, wie sehr viel radfreundlicher Städte sind, die sie jetzt im Urlaub besuchten. Für die Familie ist das Rad ein alltägliches Fortbewegungsmittel in Weimar. Hier mangelt es an Radwegen – und an einer nicht so sehr aufs Auto fixierten Verkehrspolitik.
Familie Schmitz-Riol hat den
, wohl beide Elternteile selbstständig und beruflich häufig unterwegs sind. Ganz ohne eigenes Kraftfahrzeug geht es noch nicht, weil vor allem der Familienvater als Architekt bisweilen für seine Fahrten zu Baustellen ein Auto braucht. Die Familie ist angemeldet, um sich Autos zu teilen. Mutter Christina ist oft mit der Bahn unterwegs. Und erntet dafür nicht selten
Erstaunen. Es gebe, sagt sie, Menschen, die prinzipiell nicht mit dem Zug fahren – auch wenn das jetzt schon schneller und bequemer ist – etwa von Stadt zu Stadt in der Mitte Thüringens. Die Schmitz-Riols haben – über ihr Büro – einen Blühstreifen bei der Agrargenossenschaft in Mellingen finanziert. Die Familie sorgt sich. Caspar, der Jüngste, sagt: „Angst habe ich nicht.“Er stellt nicht nur die Zunahme der Hitze fest, er findet es auch schade, wenn es – wegen des Klimawandels – im Winter immer seltener schneit. „Das, was sich verändert, das wird irg ndwann meine Kinder noch viel stärker betreffen als mich“, sagt der Gymnasiast, der jetzt in die 7. Klasse kommt. Seine Schwester Louise, die nun in die 10. Klasse am Gymnasium geht, kam zu Fridays for Future, weil Anfang des Jahres eine Freundin fragte, ob sie beim Plakatemalen helfen könne. Louise ist kreativ – und sie hatte Lust, mitzuhelfen. Seither ist sie dabei – und hat sich genau informiert, was
„Wir
hatten immer schon Spaß daran,
„ nicht ständig zu konsumieren.“
Christina Schmitz-Riol, 50, gebürtige Erfurterin
Wir haben jetzt an der Schule eine Umwelt AG gegründet, um etwas zu bewegen.“
Louise Schmitz-Riol, Gymnasiastin, Jahrgang 2004
FFF will, wer mitmacht... „Die Klimafrage betrifft jeden.“Sie demonstriert, aber „nicht jeden Freitag.“Eine Lehrerin habe gedroht, dass jeder, der freitags unentschuldigt fehlt, schlecht benotet werde. Um dem zu entgehen, sei sie erst nach dieser Stunde in Schulstreik getreten. Mutter Christina hat im Zeugnis der Tochter nachgeschaut: Da war keine Rede von unentschuldigtem Fehlen.
Gelernt hat Louise viel seit sie bei FFF ist: „Wir haben ja nicht als einziges Ziel, auf die Straße zu gehen, um Aufmerksamkeit zu bekommen“, macht sie deutlich. „Wir wollen etwas bewirken.“Louise trägt gern Kleidung, die sie von ihrer älteren Schwester oder einer Freundin übernommen hat. Ihr Fortbewegungsmittel ist das Rad. Jedes Jahr ein neues Smartphone? „Das ist nichts, was mir so wichtig ist. Ich glaube, ich bin relativ unkompliziert in dem, was ich brauche.“Das neuste Handy zähle für sie „definitiv nicht zum Muss“.
Viele Kinder und Jugendliche, die seit den Nullerjahren geboren wurden, werden chauffiert. Louise dagegen wurde – wie ihre Geschwister – früher vom Vater – zeitweilig mit dem Lastenfahrrad – zum Kindergarten und in die Grundschule gebracht. „Ich kann mich nicht daran erinnern, wann mich meine Eltern zum letzten Mal zu Freunden mit dem Auto gefahren haben“, sagt Louise. Und sie wird nach unserem Gespräch aufs Rad steigen, um Freunde zu besuchen. Die Frage, ob das abends in Weimar sicher ist – denn das gilt ja meist als Grund für elterliche Taxidienste
–, stellt sich für die Familie nicht, wenn sie weiß, zu wem die Tochter will.
Seit Louise bei FFF ist, radelt sie bei Wind und Wetter: „Ich mache das jetzt bewusster und ziehe halt eine dicke oder regenfeste Jacke an.“Bewusster schaut sie auch beim Einkauf hin: So vieles ist – unnötigerweise – in Plastik verpackt. „Ganz darauf zu verzichten“, sei in Weimar „so gut wie unmöglich“,
stellt sie fest. Anders als ihre ältere Schwester in Hamburg kann sie hier nicht in einen ‚Unverpackt‘-Laden gehen. Obwohl die Ältere als Studentin nicht viel Geld habe, sage sie mit Blick auf ihre Einkäufe: „Das leiste ich mir“, erzählt die Mutter. Louise ist es wichtig, sich für regionale und saisonale Produkte zu entscheiden. „Ich versuche, ein bisschen umweltneutraler und bewusster zu leben“– und das gilt für die ganze Familie.
Schulstreik ist nicht alles: Louise plant mit ihrem Religionslehrer, der selbst schon bei FFF-Demos war, das Thema
„Unser
Verzicht auf den Plastikstrohhalm rettet „ natürlich nicht die Welt. Aber er ist ein Beitrag.“
Erik Schmitz-Riol, 52, im Westen aufgewachsen Was sich verändert, das wird irgendwann meine Kinder noch viel stärker betreffen als mich.“
Caspar Schmitz-Riol, Gymnasiast, Jahrgang 2007
Umwelt verstärkt in den Schulalltag einzubringen. Die Idee hat auch Mitschüler begeistert. „Wir haben vor ein paar Wochen die Umwelt AG gegründet“, sagt Louise. Erster Schritt: „Wir versuchen, die Mülltrennung durchzusetzen.“An anderen Gymnasien sei das Standard, an ihrer Schule noch nicht. Viel Aufwand sei das nicht, sagt sie. „Man muss sich nur darum kümmern!“Der Schülerin fällt an ihrem Gymnasium mittlerweile manches auf, was sie früher einfach hingenommen hat: Im Winter werde sozusagen über das Öffnen der Fenster die Temperatur reguliert, wenn „die Heizung viel zu hoch eingestellt ist. Manche Schüler und auch Lehrer löschen nicht das Licht, wenn sie den Raum verlassen. Fenster bleiben einfach offen.“Da will Luise ansetzen.
Mutter Christina sagt: „Wir haben immer so gelebt.“Die gebürtige Erfurterin war 1989 gerade 20, hat dann in vielen Städten gelebt. „Ich bin erst durch meinen Mann fast zufällig nach Weimar gekommen.“Kleidung aus zweiter Hand ist wortwörtlich für sie nichts Neues. „Wir haben immer so gelebt.“Anders formuliert: „Wir hatten immer schon Spaß daran, nicht ständig zu konsumieren. Und empfanden das immer schon als Befreiung“, umreißt sie den Lebensstil. Gut sei, dass all dies „für die Kinder jetzt zu einem eigenen Thema geworden ist“, sagt sie. „Wir leben jetzt bewusster“, sagt die Mutter. Wenn alle
usbesuch in Weimar
darauf achten, was nötig und was nicht nötig ist, sorgt der ausnahmsweise gekaufte Schnittkäse, bei dem jede Scheibe einzeln n Plastik verpackt ist, für Kopfchütteln. Christina hatte, als ihr Sohn Toast machen wollte, geacht: Dann hat er es leichter. ouise fand das „nicht gut“, sagt e Mutter. Sie freue sich, sagt e zu den Kindern am Tisch, ass ihr uns da jetzt so fordert.“Während der älteste Sohn in esen Themen nicht so stark inviert ist, stellt die ebenfalls dierende Tochter in Hamg eine noch größere Herausderung als Louise und Caspar Jüngst sollte sie zur Familie, im Urlaub in Amsterdam dazustoßen. Vater Erik hatraten, sie solle mit dem Fluganreisen. Wäre vielleicht emer und schneller geweDie Antwort kam prompt: n, ich fliege nicht. Das verht zu viel Energie“, erklärm seine Tochter. e von Erik Schmitz-Riols ter Erinnerung zum Themweltschutz ist jene an die e 1973, als sonntags Fahrim Westen herrschte. hat er insgesamt 16 Jahre r Bauhaus-Uni gelehrt abei auch zum ökologiBauen Vorlesungen ge. Er habe das Unvernis bei der damals jungen ion gespürt. „Die dachtrenn‘ doch den Müll – reicht.“Ihm reichte das mals nicht: „Völlig unstrittig ist doch seit vielen Jahren, dass wir eine Umweltkatastrophe haben. Da ist die Verschmutzung der Meere, die Energieproblematik, die Überbevölkerung, die Verschmutzung von Flüssen in vielen Regionen der Welt... Das Abholzen der Urwälder“, sagt er – und kommt noch einmal Caspars Wunsch nach Glasröhrchen statt Plastikstrohhalme zu sprechen: „Natürlich retten wir damit nicht die Welt. Wir müssen das Thema nicht nur als Familie, sondern globaler angehen.“Das, was die Familie tue, sei nur ein kleiner Schritt. Christina Schmitz-Riol betont: „Es gehört ins Bewusstsein eines jeder Menschen und der jungen Menschen noch mehr, wie es um die Welt steht. Deshalb muss das zum Bildungsinhalt überall auf der Welt werden. Das ist doch völlig unstrittig“, sagt sie. Auch Louise findet das wichtig. Das Thema sei aber in der Schule eher marginal, hat sie in den zurückliegenden neun Schuljahren festgestellt.
So einig sich die Familienmitglieder beim Umweltbewusstsein sind: Bisher war die Art der Kaffeezubereitung ein Streitpunkt. Die Familie hat eine dieser Maschinen, die vor allem auch wegen der Alu-Kapseln in die Kritik geraten sind, in die das Kaffeepulver portionsweise verpackt ist. Die Maschine tut gute Dienste, weshalb sie nicht ausgemustert werden soll. Das wäre nicht nachhaltig. Inzwischen gibt es eine Lösung – und AluKapsel sind nicht mehr nötig: Schmitz-Riols haben neuerdings kompostierbare Kapseln statt der Alu-Behälter.