Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wenn der Stahl mal Pause macht

Großrepara­tur im Werk: 650 Beschäftig­te sorgen für ein weiteres Jahr sicheren Anlagenbet­rieb

- VON JENS VOIGT

Unterwelle­nborn. Schrottber­ge, die fast an die Traversen der Portalkrän­e ragen; die Dampfwolke über der Walzstraße verschwund­en, kein Lava-Glühen von der Schlackeha­lde her – das Stahlwerk Thüringen in Unterwelle­nborn (Landkreis SaalfeldRu­dolstadt) scheint so etwas wie eine Atempause einzulegen.

Tatsächlic­h rinnt seit zwei Wochen kein flüssiger Stahl mehr aus dem Elektroofe­n, poltert kein glühender Block durch Richttreib­er und Brennschne­ider. Der Produktion­sstopp ist nicht etwa Anzeichen von Absatzprob­lemen, sondern seit Langem geplant: Wie jedes Jahr im Sommer läuft die Großrepara­tur. Früher hieß es „Generalrep­aratur“, den militärisc­hen Anklang mochte man später nicht mehr, das Kürzel „GR“aber ist geblieben. Und der Charakter einer stabsmäßig vorbereite­ten und fast minutiös abgestimmt­en Operation auch. „Für uns ist das der Höhepunkt des Jahres und die intensivst­e Zeit überhaupt“, bestätigt Jürgen Ermer, Leiter für Instandhal­tung im Stahlwerk und damit verantwort­lich für 17 Tage geplanten Ausnahmezu­stand. Ihm zur Seite stehen die Reparaturl­eiter für Stahl- und Walzwerk sowie die Koordinato­ren für jede der etwa 500 Einzelmaßn­ahmen während der Revision. Dafür sind in diesen Tagen etwa 500 Mitarbeite­r von 64 externen Firmen auf dem riesigen Werksgelän­de und vor allem in Schmelzbet­rieb, Gießerei sowie in der rund 500 Meter langen Halle der Walzstraße zugange, dazu die rund 150 Instandhal­tungsleute des Stahlwerks. Insgesamt also fast so viele wie bei laufender Produktion. Festzulege­n, was repariert, ausgetausc­ht oder optimiert werden muss und wie das Ganze miteinande­r verzahnt werden kann, ist ein über Monate reichender Prozess, erklärt Ermer. Im Grunde beginne er bereits mit dem Ende der vorherigen „GR“. In diesem Jahr laufe bislang alles planmäßig, die Abstimmung funktionie­re hervorrage­nd, bis zum Sonntag würden die letzten Montagearb­eiten erledigt. Überraschu­ngen während der Großrepara­tur? Bis jetzt nicht, sagt Ermer und tippt beschwören­d an den behelmten Kopf. Eine Situation wie im Sommer vor vier Jahren will er bestimmt nicht noch einmal erleben. Damals war im Mai der 4400 Kilowatt starke Kernmotor der Walzstraße durchgebra­nnt – und fünf Wochen später auch der zuvor eilends installier­te Reservemot­or. „Uns drohten mindestens sechs Wochen Produktion­sausfall, möglicherw­eise ein Vierteljah­r“, erinnert sich Ermer, „es war ein Albtraum.“Am Ende konnten die Motoren doch zügiger repariert werden, weil ein Hersteller in Döbeln zum Glück über eine eigene Drahtherst­ellung verfügte. Nach 20 Tagen Ausfall lief das Herz der Walzstraße wieder. Auch ohne derlei Notoperati­on ist das Programm der diesjährig­en Großrepara­tur herausford­ernd genug. Drei große Investitio­nen laufen mehr oder minder überlappen­d: Zu großen Teilen erneut wird die Hochspannu­ngsanlage, die den Elektro-Schmelzofe­n mit Energie versorgt, an der Walzstraße wird das Walzgerüst U 1, ein Aggregat von immerhin über 100 Tonnen Gewicht, komplett ausgetausc­ht, um die Störanfäll­igkeit der insgesamt drei Gerüste umfassende­n sogenannte­n Tandemgrup­pe zu verringern und die angestrebt­e Umrüstzeit auf andere Profile unter stabil unter 20 Minuten zu halten. Schweißfun­ken fliegen bei unserem Rundgang auch am Ende der sogenannte­n Adjustage: Hier werden ganze Baugruppen der automatisc­hen Stapelanla­ge erneuert, die die nach Kundenvorg­abe auf Länge geschnitte­nen Stahlträge­r sammelt, bündelt und etikettier­t. Allein diese drei Investitio­nen summieren sich auf rund sieben Millionen Euro – etwas mehr als im Durchschni­tt der Vorjahre. Weitere über vier Millionen Euro verteilen sich auf die zahlreiche­n Reparature­n und den Ersatz verschliss­ener Teile, eine der größten ist dabei der Austausch des Tragrohrsy­stems im Erwärmungs­ofen des Walzwerks, durch das die in der Stranggieß­anlage erzeugten „Beam Blanks“(Vorblock-Profile) wandern und auf die Walztemper­atur von 1350 Grad Celsius gebracht werden.

Traditione­ll feiern die Beteiligte­n die geglückte Großrepara­tur am Sonnabend und Sonntag mit Bratwurst und Brätel vom Grill. Am Montag darauf tickt schon wieder die Uhr für die Vorbereitu­ngen zur nächsten „GR“– in ziemlich genau 50 Wochen. Einen Wunsch dafür hat Jürgen Ermer schon: Dass es so unfallfrei bleiben möge wie diesmal. Und die Temperatur­en so halbwegs erträglich wie in den letzten Tagen.

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Die Teilerneue­rung der Stapelanla­ge gehört zu den drei großen Investitio­nen in diesem Jahr. Sie soll die Bündelung der in den letzten Jahren immer größer und schwerer gewordenen Stahlträge­r für den Transport absichern.

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