Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Disney greift Netflix an
Unterhaltungskonzern will mit Kampfpreisen und beliebten Filmen etablierten Streamingdiensten Kunden abwerben
Berlin. Wie viele Streamingdienste braucht der Mensch? In Deutschland kämpfen neben Netflix, Amazon und Google auch einheimische Alternativen wie Sky, Magenta und Joyn um Kunden für Sendungen im Internet. In den nächsten Monaten kommen weitere Konkurrenten hinzu. Das macht den Markt unübersichtlicher: Die Inhalte verteilen sich auf immer mehr Portale. Vor allem der Einstieg des Unterhaltungsgiganten Disney dürfte den Markt verändern: Es beginne ein „Kampf um die Kunden für Abrufvideos“, schreibt Analystin Laura Martin vom US-Bankhaus Needham. Den Kunden nützt der Preiskampf der Dienste, aber es steigt auch die Gefahr, dass die nächste Lieblingsserie auf einem Portal läuft, zu dem man keinen Zugang hat. Wer deshalb Abo um Abo abschließt, gibt so am Ende mehr aus als er wollte. Die Agentur Nextmedia.Hamburg hat in einer Umfrage herausgefunden, dass kaum jemand in Deutschland über 15 Euro pro Monat fürs Streaming ausgeben will. Eine Mehrheit wäre am liebsten mit weniger als fünf Euro dabei.
Allein Netflix kostet ab diesem August in Deutschland acht Euro im Monat für normale und zwölf Euro für bessere Bildqualität. Disney hat für Deutschland noch keinen Preis bekannt gegeben, doch das Abo dürfte um sieben Euro im Monat kosten. Amazon Prime verlangt im günstigsten Fall sechs Euro, doch im Preis sind viele Filme nicht enthalten–siekostenextra.Magenta TV verlangt von TelekomKunden mindestens knapp fünf Euro im Monat.
Das deutsche Angebot Joyn ist bis zum Winter kostenlos – es ist in vielen Punkten mit klassischem Fernsehen verwandt. Folgen sind nur zeitlich begrenzt abrufbar. So sind vom japanischen Zeichentrickabenteuer „One Piece“derzeit nur die Folgen 675 bis 678 aus der elften Staffel abrufbar – und die sind für Neueinsteiger komplett unverständlich. Joyn ist im Sommer durch Verschmelzung verschiedener Onlineangebote von ProSiebenSat.1 entstanden. Joyn zeigt: Wer keine guten Langzeitverträge mit den Studios hat, sondern nur Senderechte einkauft, hat einen dicken Nachteil. Gerade die jüngere Generation erwartet alle Inhalte jederzeit und sofort. Sie will Serien hintereinander weggucken und nicht eine Woche auf die Freischaltung einer neuen Folge warten. Konkurrent Sky leidet ebenfalls darunter, dass immer wieder Lizenzen auslaufen und Teile des Angebots offline gehen. Aktuelle Trends werden das Verschwinden der Inhalte beschleunigen. Die US-Medienhäuser CBS und Viacom wollen fusionieren und ihre Streamingangebote zusammenlegen. Das führt etwa die Kinoreihe und die TVSerien zum „Raumschiff Enterprise“zusammen. Die neue ViacomCBS käme mit einem Angebot von 3600 Filmen auf Augenhöhe mit Netflix, wo ungefähr 4000 Filme abrufbar sind.
Als Nächstes steht für CBS die Internationalisierung des eigenen Streamingangebots All Access an. Damit gäbe es etwa „Star Trek Discovery“auch in Deutschland nicht mehr auf Netflix, sondern nur auf dem hiesigen Ableger von CBS. Bisher waren die Verbraucher dagegen mit Netflix allein sehr gut bedient. Schließlich fanden sich dort Inhalte von Disney, CBS, 20th Century Fox, Paramount oder Warner – plus die vielen Eigenproduktionen.
Doch schon jetzt verschwinden Disney-Inhalte in Vorbereitung auf den Start des eigenen Dienstes – wie der Superheldinnen-Film „Captain Marvel“. Für Disney sieht der Streaming-Einstieg damit auf den ersten Blick nicht wie ein geschickter Zug aus. Bisher hat der Konzern mühelos Geld damit verdient, seine Inhalte zu lizenzieren.
Jetzt muss das Unternehmen erst einmal Milliardenbeträge in die Hand nehmen, um in den Markt zu drängen. „Wer einen Dienst für Endverbraucher neu anbietet, kann sich zunächst auf gewaltige Verluste gefasst machen“, sagt der Analyst Rich Grennfield des Finanzdienstleisters BTIG. In den ersten zwei Jahren wird Disney der Strategiewechsel rund zwei Milliarden Dollar kosten.
Für die sieben Dollar im Monat wird es eine Menge zu sehen geben. Zu Disney gehören neben den endlosen Reihen von Superhelden aus dem MarvelUniversum auch Reihen wie „Star Wars“oder „Pirates of the Caribbean“. Bei Kindern beliebt sind „Nemo“, „Cars“oder die „Eiskönigin“. Das Unternehmen nutzt seine existierenden Rechte auch für Neuauflagen. „Die Schöne und das Biest“, „Der König der Löwen“, „Aladdin“oder „Das Dschungelbuch“werden in immer neuen Erscheinungsformen wiedergeboren. Im Konzern ist die Erkenntnis gereift, dass an diesen beliebten Filmen und Serien keine Zwischenhändler mitverdienen müssen. Als Weltmeister im Aufbau von Marken und der Verführung von Konsumenten traut Disney sich nun den Kampf gegen Netflix und Amazon zu.
In den USA entsteht der nächste Streamingriese