Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Über Tratsch
Bill scheint neuerdings vom Virus der Gefallsucht infiziert und ist mit unseren Cowboy-Frisuren nicht mehr zufrieden. Heute ist er zum Kofför ins Städtchen geritten und sieht jetzt aus mit seiner Lockenmähne wie eine Mischung aus dem Musketier D’Artagnon und dem König der Löwen. Außerdem hat er von diesem Ausflug aktuellen Tratsch mitgebracht und gibt, während wir in der Ranchküche sitzen und Jack ökologisch nachhaltige Bratkartoffeln für uns brutzelt, seine Schoten zum Besten.
„Beim Vau-Eh-Beh Goethe ist frischer Wind eingezogen“, lästert er. „Die neue Chefin demonstriert Dynamik auf einem grasfroschgrünen Mini-Drahtesel.“Vorigen Samstag solle sie sogar in der Amalienstraße mit ihrem Beh-Emm-Ix einen Beh-Emm-Weh abgehängt haben. „Na und?“entgegne ich kühl. „Das bedeutet ja nichts.“– „Doch“, widerspricht Bill. „Die Leute machen sich ihren Reim drauf.“Den Amtsvorgänger habe man höchstens mal als Herrenreiter auf dem Hollandrad fahren sehen – Hauptsache würdig und gravitätisch. Die Neue hingegen erwecke den Eindruck, sich abstrampeln zu wollen, und stifte mit ihrer Linkskurventechnik ein Vorbild. „So’n Quatsch“, murmelt Dick. „Und sonst?“– „Sonst“, überlegt Bill, „sonst ist vor allem das Spektakel in der Landeshauptstadt ein Thema – und der Zirkusdirektor vom Domplatz. Weil er sich so untertänigst für den Abbruch der Premiere entschuldigt.“– „Für den Regen kann er doch nichts“, sage ich. „Hat da nicht eher der Schirmherr versagt?“– „Nein, nein“, beteuert Bill. „Den Schirmherrn trifft gar kein Vorwurf. Die Leute sind sauer, weil der Zirkusdirektor so mildtätige Trostworte gedrechselt hat – und das in dem Wissen, dass er die volle Abendkasse im Sack hat.“Wir lachen. Bill schiebt nach: „Krokodilstränen also!“
„Jetzt reicht’s“, faucht Jack und nimmt die Pfanne vom Herd. „Ein bisschen Fairness muss ja wohl sein.“Er schaufelt uns die knusprigen Tschipps auf die Teller, und während wir mampfen, erklärt er: „Solche Vergleiche sind heutzutage aus Pih-ßih-Gründen nicht mehr gestattet. Man muss sich diese Form der Herabwürdigung einfach verkneifen.“Dann doziert er, dass Krokodile aufgrund ihres winzigen Hirns zu komplexen Gefühlen wie Heuchelei gar nicht fähig seien. Mit den Tränen habe es eine rein physiologische Bewandtnis.
„Mit ihrem Schnappmaul kann die Echse zwar die Beute festhalten, aber nichts abbeißen“, erläutert Jack. Also versuche sie schwere Brocken aus dem armen Opfer herauszureißen und schlinge sie runter. Wenn dann ein großes Fleischstück auf den Gaumen drücke, werde wegen des flachen Schädelaufbaus halt ein bisschen Flüssigkeit aus den Tränendrüsen gepresst. „Das heißt nicht, dass der Jäger sein Opfer betrauert“, endet Jack. „So viel zur Ehrenrettung.“Na gut, denke ich. Der Tratsch ist offenbar nicht unser Metier. Und ein richtiges Steak am Abend wäre auch besser gewesen.