Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die Macht der Geister

Schlamm-Krieger und Süßkartoff­eln: Eine Studienrei­se ins Hochland und an die Küste von Papua-Neuguinea führt ans andere Ende der Welt

- Von Matthias Gretzschel

Goroka liegt auf 1500 Metern Höhe, ist die Hauptstadt der Provinz Eastern Highlands in PapuaNeugu­inea, wirkt mit seinen 20.000 Einwohnern aber ziemlich verschlafe­n. Mit einem klapprigen Kleinbus fahren wir von hier aus in eine zauberhaft­e Gebirgslan­dschaft mit weiten Ausblicken und üppig bewachsene­n Bergen. Dann geht es zu Fuß weiter, bis uns plötzlich ein einheimisc­her Krieger entgegentr­itt. Mit einem Speer in der Hand sieht er martialisc­h aus, grüßt aber freundlich und stellt sich als unser Guide Daddy Rose vor. Den ganzen Körper hat er mit hellem Lehm beschmiert, den Kopf mit Kohle angemalt, er trägt nur einen Lendenschu­rz und einen Kopfputz, beides aus Rindenbast. Umsichtig führt er uns den Berg hinauf zu einer Höhle, die nur durch einen engen Spalt betreten werden kann.

Höhlen spielen im kultischen Leben des Guropoke-Volks eine wichtige Rolle

Doch zuvor muss noch ein Geist angerufen und um Erlaubnis ersucht werden. Dann drückt Daddy Rose uns Männern einen kleinen Ast in die Hand, den „Schlüssel“zur Höhle, den wir am Eingang in den Boden stecken sollen. Für Frauen ist der Eintritt verboten. Kriechend und vor Hitze schwitzend zwängen wir uns durch den Spalt, der sich schließlic­h zu einem Gang öffnet und in einer etwas größeren Höhle endet, die nach oben hin offen ist. Solche Höhlen spielen im kultischen Leben des Guropoke-Volks eine wichtige Rolle, sie sind magische Orte, aber auch Verstecke, die bei Stammeskri­egen genutzt werden können. Als wir die Höhle schließlic­h über eine Leiter verlassen und die Frauen der Gruppe wiedertref­fen, genießen wir einen Panoramabl­ick auf die tropische Gebirgslan­dschaft. Daddy Rose und einer seiner Begleiter stehen auf einem Felsvorspr­ung und zeigen uns, in welcher Richtung das Dorf der Asaro-Mudmen liegt.

Die Schlamm-Menschen aus dem Asaro-Tal kennt jeder, der sich mit der Kultur der Südsee-Insel Neuguinea beschäftig­t hat. Auch die zwölf Mitglieder unserer Studienrei­se haben von der Geschichte der Schlamm-Krieger gehört, die der Sage

Ein Schlammkri­eger aus dem Asarotal bei einer Auf ührung.

nach vor einem weit überlegene­n feindliche­n Stamm in das Bett des Asaro-Flusses fliehen mussten und dort zu Fall kamen. Als sie sich wieder erhoben, waren ihre Gesichter so mit Schlamm verschmier­t, dass ihre Verfolger glaubten, es mit bösen Geistern zu tun zu haben und schleunigs­t verschwand­en. Die Asaro-Mudmen machten sich diesen Zufall zunutze, beschmiert­en sich mit Schlamm und fertigten Tonmasken an, die besonders furchterre­gend aussehen.

Im Dorf erleben wir eine regelrecht­e Show. Zunächst macht einer der Männer mit Bast und getrocknet­en Pflanzen ein Feuer. Dann nähern sie sich mit Speeren, Pfeil und Bogen von allen Seiten. In einer lautlosen Choreograf­ie bewegen sie sich wie in Zeitlupe und treten oft dicht vor die Besucher. Nach einer Viertelstu­nde ist alles vorbei, dann nehmen die Krieger die Masken ab, stellen sich mit Namen und Alter vor und erwarten das auch von uns – eine sympathisc­he Begegnung auf Augenhöhe.

In der Zwischenze­it haben die Frauen des Stammes ein Mumu vorbereite­t, das berühmte pazifische Erdofeness­en. Dafür wird eine Grube ausgehoben und mit Palmenblät­tern ausgekleid­et. Dann kommen Süßkartoff­eln, Maniok, allerlei Blattgemüs­e und Geflügelfl­eisch hinein. Schließlic­h werden noch Steine hineingele­gt, die zuvor lange Zeit in einem Feuer erhitzt worden sind.

Am nächsten Morgen fahren wir westwärts zu jenem Strandabsc­hnitt, an dem die Geister erscheinen werden. Sehen können wir sie noch nicht, aber zu überhören sind sie kaum. Etwa 1000 Menschen, zu 95 Prozent Einheimisc­he, stehen in der Dunkelheit und lauschen dem dumpfen Schlagen der Trommeln, die vom Wasser her ertönen. Im Morgengrau­en ist das erste Auslegerbo­ot auf dem Meer zu erkennen, auf dem die Tumbuane zum Klang der Trommeln tanzen. Diese Geister sind in jenen kegelförmi­gen Masken präsent, die die längste Zeit des Jahres an heiligen Plätzen verwahrt werden. Der Kult der Tumbuane wird im Stamm der Tolai von einem Geheimbund ausgeübt. Das Zeremoniel­l, das wir im Morgengrau­en erleben, heißt Kinavai und spielt die Geschichte der Tolai nach, die vor Jahrhunder­ten von einer anderen Insel kamen, um dieses Land in Besitz zu nehmen. Es ist ein fantastisc­hes Bild, wenn die Geister unter der aufgehende­n Sonne vor der Kulisse das Vulkans ihre Kanus verlassen und an Land gehen, während die Menschenme­nge respektvol­l zurückweic­ht – eine Höhepunkt einer Reise in ein ebenso fernes wie fasziniere­ndes Land am anderen Ende der Welt.

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FOTO: MAT HIAS GRETSCHZEL

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