Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Die Macht der Geister
Schlamm-Krieger und Süßkartoffeln: Eine Studienreise ins Hochland und an die Küste von Papua-Neuguinea führt ans andere Ende der Welt
Goroka liegt auf 1500 Metern Höhe, ist die Hauptstadt der Provinz Eastern Highlands in PapuaNeuguinea, wirkt mit seinen 20.000 Einwohnern aber ziemlich verschlafen. Mit einem klapprigen Kleinbus fahren wir von hier aus in eine zauberhafte Gebirgslandschaft mit weiten Ausblicken und üppig bewachsenen Bergen. Dann geht es zu Fuß weiter, bis uns plötzlich ein einheimischer Krieger entgegentritt. Mit einem Speer in der Hand sieht er martialisch aus, grüßt aber freundlich und stellt sich als unser Guide Daddy Rose vor. Den ganzen Körper hat er mit hellem Lehm beschmiert, den Kopf mit Kohle angemalt, er trägt nur einen Lendenschurz und einen Kopfputz, beides aus Rindenbast. Umsichtig führt er uns den Berg hinauf zu einer Höhle, die nur durch einen engen Spalt betreten werden kann.
Höhlen spielen im kultischen Leben des Guropoke-Volks eine wichtige Rolle
Doch zuvor muss noch ein Geist angerufen und um Erlaubnis ersucht werden. Dann drückt Daddy Rose uns Männern einen kleinen Ast in die Hand, den „Schlüssel“zur Höhle, den wir am Eingang in den Boden stecken sollen. Für Frauen ist der Eintritt verboten. Kriechend und vor Hitze schwitzend zwängen wir uns durch den Spalt, der sich schließlich zu einem Gang öffnet und in einer etwas größeren Höhle endet, die nach oben hin offen ist. Solche Höhlen spielen im kultischen Leben des Guropoke-Volks eine wichtige Rolle, sie sind magische Orte, aber auch Verstecke, die bei Stammeskriegen genutzt werden können. Als wir die Höhle schließlich über eine Leiter verlassen und die Frauen der Gruppe wiedertreffen, genießen wir einen Panoramablick auf die tropische Gebirgslandschaft. Daddy Rose und einer seiner Begleiter stehen auf einem Felsvorsprung und zeigen uns, in welcher Richtung das Dorf der Asaro-Mudmen liegt.
Die Schlamm-Menschen aus dem Asaro-Tal kennt jeder, der sich mit der Kultur der Südsee-Insel Neuguinea beschäftigt hat. Auch die zwölf Mitglieder unserer Studienreise haben von der Geschichte der Schlamm-Krieger gehört, die der Sage
Ein Schlammkrieger aus dem Asarotal bei einer Auf ührung.
nach vor einem weit überlegenen feindlichen Stamm in das Bett des Asaro-Flusses fliehen mussten und dort zu Fall kamen. Als sie sich wieder erhoben, waren ihre Gesichter so mit Schlamm verschmiert, dass ihre Verfolger glaubten, es mit bösen Geistern zu tun zu haben und schleunigst verschwanden. Die Asaro-Mudmen machten sich diesen Zufall zunutze, beschmierten sich mit Schlamm und fertigten Tonmasken an, die besonders furchterregend aussehen.
Im Dorf erleben wir eine regelrechte Show. Zunächst macht einer der Männer mit Bast und getrockneten Pflanzen ein Feuer. Dann nähern sie sich mit Speeren, Pfeil und Bogen von allen Seiten. In einer lautlosen Choreografie bewegen sie sich wie in Zeitlupe und treten oft dicht vor die Besucher. Nach einer Viertelstunde ist alles vorbei, dann nehmen die Krieger die Masken ab, stellen sich mit Namen und Alter vor und erwarten das auch von uns – eine sympathische Begegnung auf Augenhöhe.
In der Zwischenzeit haben die Frauen des Stammes ein Mumu vorbereitet, das berühmte pazifische Erdofenessen. Dafür wird eine Grube ausgehoben und mit Palmenblättern ausgekleidet. Dann kommen Süßkartoffeln, Maniok, allerlei Blattgemüse und Geflügelfleisch hinein. Schließlich werden noch Steine hineingelegt, die zuvor lange Zeit in einem Feuer erhitzt worden sind.
Am nächsten Morgen fahren wir westwärts zu jenem Strandabschnitt, an dem die Geister erscheinen werden. Sehen können wir sie noch nicht, aber zu überhören sind sie kaum. Etwa 1000 Menschen, zu 95 Prozent Einheimische, stehen in der Dunkelheit und lauschen dem dumpfen Schlagen der Trommeln, die vom Wasser her ertönen. Im Morgengrauen ist das erste Auslegerboot auf dem Meer zu erkennen, auf dem die Tumbuane zum Klang der Trommeln tanzen. Diese Geister sind in jenen kegelförmigen Masken präsent, die die längste Zeit des Jahres an heiligen Plätzen verwahrt werden. Der Kult der Tumbuane wird im Stamm der Tolai von einem Geheimbund ausgeübt. Das Zeremoniell, das wir im Morgengrauen erleben, heißt Kinavai und spielt die Geschichte der Tolai nach, die vor Jahrhunderten von einer anderen Insel kamen, um dieses Land in Besitz zu nehmen. Es ist ein fantastisches Bild, wenn die Geister unter der aufgehenden Sonne vor der Kulisse das Vulkans ihre Kanus verlassen und an Land gehen, während die Menschenmenge respektvoll zurückweicht – eine Höhepunkt einer Reise in ein ebenso fernes wie faszinierendes Land am anderen Ende der Welt.