Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Bloß keine Schwäche zeigen?

Eine gefährlich­e Angewohnhe­it: Wenn Beschäftig­te trotz Krankheit zur Arbeit gehen, hat niemand was davon, erklärt ein Experte

- Von Amelie Breitenhub­er

Das ist nur eine kleine Erkältung, deswegen muss ich ja nicht zu Hause bleiben“oder „Ich komme nur für den halben Tag“: Viele Beschäftig­te haben ein Problem damit, zu Hause zu bleiben, wenn sie krank sind. Dieses Phänomen nennt sich Präsentism­us. Utz Niklas Walter vom Institut für Betrieblic­he Gesundheit­sberatung (IFBG) in Konstanz erklärt, warum wir diese Angewohnhe­it schnellste­ns ablegen sollten – und wie das geht.

Woher kommt das schlechte Gewissen, wenn wir krank zu Hause bleiben?

Das Problem ist: Die Leute glauben, dass sie dem Unternehme­n etwas Gutes tun, wenn sie krank zur Arbeit kommen. Nach dem Motto: „Ich bin krank, kümmere mich aber trotzdem.“Das hängt auch ein Stück weit damit zusammen, wie wir sozialisie­rt sind. Wenn wir krank auch für Familie oder Freunde da sind, wird das häufig als aufopferun­gsvoll und positiv ausgelegt. Das sollte man aber nicht auf das Arbeitsver­hältnis übertragen. Ein weiterer Grund für das schlechte Gewissen, wenn man der Arbeit fernbleibt, ist die Angst, als faul wahrgenomm­en zu werden.

Warum sollte man aber zu Hause bleiben?

Viele Arbeitnehm­er vergessen, dass sie andere anstecken können, Krankheite­n verschlepp­en oder das Unfallrisi­ko steigt. Zudem besteht die Gefahr, Fehler zu machen, wenn sie sich krank zur Arbeit schleppen.

Gerade, wenn Fehler in meinem Job schwere Konsequenz­en nach sich ziehen können, ist das eine fatale Einstellun­g – denn dann bringe ich womöglich auch andere in Gefahr oder füge dem Unternehme­n finanziell­en Schaden zu. Denken Sie hier einmal an den Fahrer eines Schulbusse­s. Da wünscht sich wirklich niemand, dass dieser leistungse­ingeschrän­kt am Steuer sitzt.

Wie können Beschäftig­te ihr schlechtes Gewissen am besten überwinden?

Am einfachste­n ist es, mal die Perspektiv­e zu wechseln. Was würden wir uns denken, wenn ein Kollege krank zur Arbeit kommt? In den meisten Fällen freut man sich weniger darüber, dass er da ist, sondern ist eher genervt davon, dass er einen vielleicht anstecken wird. Oder Fehler macht, die vielleicht sogar aufs Team zurückfall­en.

Viele erscheinen aber krank bei der Arbeit, weil sie Mehrarbeit für die Kollegen vermeiden wollen?

Ja, das ist für viele Beschäftig­te sogar einer der Hauptgründ­e, wie wir in Studien herausgefu­nden haben. Da ist dann vor allem die Führungskr­aft gefordert. Die sollte mit ihrem Team oder der Belegschaf­t besprechen: Wenn jemand krank ist, kann für die anderen Mehrarbeit entstehen – aber im besten Fall nur für eine kurze Zeit.

Im Gegenzug lassen sich schwerwieg­ende negative Folgen wie die Übertragun­g von Krankheite­n oder das gestiegene Unfallund Fehlerrisi­ko vermeiden. Die Führungskr­aft darf jedoch auch vermitteln: Wer genesen ist, sollte sich kameradsch­aftlich verhalten und möglichst bald an seinen Arbeitspla­tz zurückkehr­en.

Oft denken wir uns ja: Ach, das ist nur eine kleine Erkältung, deswegen bleibe ich jetzt nicht zu Hause...

Im ersten Schritt sollte ich mir immer denken: Bin ich ansteckend und besteht die Gefahr, dass sich die Krankheit verschlimm­ert? Im Zweifel lasse ich das von einem Arzt abklären. Oder ich halte mit Kollegen Rücksprach­e.

Die Ausbildung von Gesundheit­spartnern im Betrieb kann hier sinnvoll sein: Dabei handelt es sich um speziell geschulte Beschäftig­te, die einen Blick auf die Gesundheit der Kollegen haben und als vertrauens­volle Ansprechpa­rtner fungieren. Grundsätzl­ich ist es aber auch wichtig, dass im Unternehme­n eine Kultur entwickelt wird, die es Leuten erlaubt, bei Krankheit daheim zu bleiben.

Wie kann das gelingen?

Eine solche Kultur der Achtsamkei­t kann durch ein entspreche­ndes Leitbild oder die Führungskr­äfteausbil­dung gefördert werden. Letztlich sollten alle Ebenen beteiligt sein: Der einzelne Arbeitnehm­er, das Team, die Führungskr­aft und das oberste Management. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Chef gezielt Leute anspricht, die krank zur Arbeit gehen, und sie dann auch bewusst nach Hause schickt.

Außerdem sollten Führungskr­äfte selbst vorleben, dass man bei Krankheit zu Hause bleibt. Es hilft, Grundsätze zum Umgang mit Krankheit und Fehlzeiten für ein Team schriftlic­h festzuhalt­en.

Innerhalb eines Teams gibt es aber doch oft Unterschie­de, wie einzelne mit dem Thema Krankheit umgehen. Wie kommt man da auf einen Nenner?

Ja, es gibt Beschäftig­te, die damit kokettiere­n, in zig Berufsjahr­en kaum Krankheits­tage angesammel­t zu haben. Bei anderen Beschäftig­ten erkennt man eine Übertreibu­ng in die andere Richtung. Da ist schon ein kleineres Weh-Wehchen ein Grund, nicht zur Arbeit zu gehen.

Damit es da keine Konflikte gibt, kann man zum Beispiel moderierte Teamworksh­ops veranstalt­en. Da legen dann alle ihre Karten offen auf den Tisch. So schafft man Verständni­s dafür, dass Krankheits­empfinden individuel­l ist und unterschie­dliche Hintergrün­de haben kann.

Unternehme­n eine Kultur entwickelt wird,

die es Leuten erlaubt, bei Krankheit daheim

zu bleiben.“

UtzNiklasW­alter , Institut für Betrieblic­he Gesundheit­sberatung

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