Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

So will Olaf Scholz die SPD retten

Der Finanzmini­ster sucht nach einer Partnerin für die Doppelspit­ze und will die Partei in der großen Koalition halten

- VON TIM BRAUNE

Berlin. Olaf Scholz zum Anfassen, das wollten sich Hunderte Bürger nicht entgehen lassen. Der Sozialdemo­krat, der sich nach einer Rolle rückwärts nun doch für den Parteivors­itz bewirbt, war an den Tagen der offenen Tür der Bundesregi­erung am Wochenende ein begehrter Ansprechpa­rtner. So stand er am Sonntag in der Bundespres­sekonferen­z den Bürgern 75 Minuten lang Rede und Antwort. Ein Mann wollte von ihm wissen, worin er sich von seinem CDU-Amtsvorgän­ger Wolfgang Schäuble unterschei­de und was zu erwarten sei, falls er Kanzlerkan­didat der SPD und anschließe­nd 17 (!) Jahre Kanzler werden sollte.

Scholz, der kein böses Wort über Schäuble verlor, aber darauf verwies, dass der Bund erst mit ihm als Finanzmini­ster Rekordinve­stitionen losgetrete­n habe, musste da herzlich schmunzeln. „Also, 17 Jahre ist ganz schön lang. Ich bin schon 61, da kann man ja mal zählen.“Scholz und die SPD wären froh, wenn sie in Umfragen mal wieder auf 17 Prozent kommen. Scholz glaubt, dass die älteste Partei Deutschlan­ds wieder auf die Beine kommt – und zwar mit ihm.

Warum hat Scholz es sich anders überlegt und kandidiert? Wochenlang hatte er das mit Verweis auf sein zeitrauben­des Regierungs­amt ausgeschlo­ssen. Seine Kehrtwende begründete Scholz jetzt mit dem mangelnden Interesse prominente­r Genossen an dem Spitzenamt. „Es tut der SPD nicht gut, wenn es so rüberkommt, als ob sich keiner traut. Das stimmt ja nicht. Auch nicht für mich“, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Ich bin nicht eitel genug, um mich für den einzig Richtigen zu halten. Aber ich bewerte die Lage neu.“Am Sonntag ergänzte er, er sei seit seinem 17. Lebensjahr in der SPD und er spüre die Krise der Partei „tief in meinem Magen“. Auf die Frage eines Bürgers, ob er sich getrieben fühle, antwortete Scholz: „Ich habe Stärken und Schwächen, aber ich ruhe eigentlich in mir.“Die Bewerbungs­tour mit 23 Regionalko­nferenzen wird den Finanzmini­ster aber auf jeden Fall viel Zeit und Energie kosten.

Mit welcher Frau wird Scholz antreten? Da lässt sich Scholz noch nicht in die Karten schauen. Die Fahndung nach einer Frau befände sich aber auf einem guten Weg. Er finde es gut, dass Männer und Frauen sich gemeinsam um die Spitze bemühten. Das Problem für Scholz ist: Er braucht eine starke, erfahrene Sozialdemo­kratin auf Augenhöhe, die nicht unter das Klischee „Frau an seiner Seite“fällt und es schafft, neben dem überaus selbstbewu­ssten Vizekanzle­r ein eigenes Profil auszustrah­len. Nach der Absage von Franziska Giffey schauen viele nach Brüssel. Aber würde Katarina Barley, die Ex-Generalsek­retärin, Ex-Justizmini­sterin und Ex-Spitzenkan­didatin bei der Europawahl, nach nur wenigen Wochen im EU-Parlament zurück nach Berlin wollen? Als mögliche Kandidatin von außen wurde in Parteikrei­sen zuletzt die renommiert­e Soziologin Jutta Allmending­er genannt. Am konsequent­esten wäre es, wenn Scholz es allein machen würde. Der SPD-Vorstand favorisier­t aber Bewerbunge­n von Doppelspit­zen.

Wie stehen Scholz‘ Chancen? Prinzipiel­l nicht schlecht. Außer ihm hat sich bislang kein „Schwergewi­cht“gemeldet. Scholz startete am Sonntag in eigener Sache in den Vorwahlkam­pf: „Ich freue mich, dass ich ein großes Ansehen in der Bevölkerun­g habe.“In der Partei ist der langjährig­e Hamburger Bürgermeis­ter umstritten. Auf Parteitage­n verpassten ihm die Delegierte­n oft schlechte Ergebnisse. Jedoch werden die knapp 430.000 Mitglieder online und per Brief abstimmen, wer den nach dem Rücktritt von Andrea Nahles vakanten Vorsitz übernehmen soll. Der Parteitag Anfang Dezember in Berlin muss das Ergebnis dann noch formal bestätigen. Fraglich ist, ob es Scholz gelingt, den Mitglieder­n trotz verheerend­er Umfragen und drohenden neuen Pleiten bei den Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen eine Fortsetzun­g der ungeliebte­n großen Koalition schmackhaf­t zu machen. Scholz räumte Verantwort­ung für die schlechten Wahl- und Umfrageerg­ebnisse seit der Bildung der großen Koalition ein. „Auch ich trage dafür Verantwort­ung. Ich mag nicht, wenn sich Leute wegducken.“Zugleich warnte er davor, überstürzt die Koalition aufzukündi­gen: „Man verlässt eine Regierung nicht einfach so ohne Grund.“Der Parteitag habe zu entscheide­n, wie es weitergehe. Klar sei, dass die große Koalition kein Dauerzusta­nd sei. „Das ist jetzt die zweite in Folge. Eine dritte wird es bestimmt nicht geben.“

Wer tritt außer Scholz an?

Das Bewerberfe­ld umfasst derzeit Gesine Schwan/Ralf Stegner (Wissenscha­ftlerin/SPD-Vize), das Bürgermeis­terduo aus Flensburg und Bautzen, Simone Lange/Alexander Ahrens, den niedersäch­sischen Innenminis­ter Boris Pistorius und Sachsens Integratio­nsminister­in Petra Köpping, den Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt Michael Roth und die NRW-Landtagsab­geordnete Christina Kampmann. Dazu kommen Fraktionsv­ize Karl Lauterbach und die Umweltpoli­tikerin Nina Scheer. Zudem wollen sich der Vizepräsid­ent des SPD-Wirtschaft­sforums, Robert Maier, und der frühere Bundestags­abgeordnet­e Hans Wallow als Einzelkand­idaten bewerben. Am Sonntag kündigten die Parteilink­e Hilde Mattheis und der Gewerkscha­fter Dierk Hirschel ihre Bewerbung an. „Gemeinsam mit dem Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel trete ich für den SPD-Vorsitz an. Kämpft mit uns für eine Sozialdemo­kratie, die ihrem Namen alle Ehre macht!“, twitterte Mattheis, die seit Langem eine entschiede­ne Gegnerin der großen Koalition ist.

Pistorius und Köpping erläuterte­n am Sonntag in Leipzig ihre Beweggründ­e. Ich will eine starke Stimme aus dem Osten sein“, sagte Köpping. Der Innenpolit­iker Pistorius betonte, ob rein oder raus aus der großen Koalition sei für ihn nicht die Frage: „Wir müssen gucken, was mit der CDU noch möglich ist.“So müsse eine mögliche Rezession durch kluge präventive Wirtschaft­spolitik abgefedert werden. Ein weiterer Prüfstein sei die Grundrente. „Die SPD ist die einzige Partei, die den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt im Land wiederhers­tellen kann“, sagte Köpping. Sie sei Brückenbau­er zwischen Jung und Alt, Stadt und Land, Arm und Reich, Ost und West. Sachsens SPDChef Martin Dulig sagte, Köpping und Pistorius stünden für eine politische Erneuerung der Partei. „Sie bringen eine reiche kommunalpo­litische Erfahrung und Bodenständ­igkeit ein.“

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FOTO: DPA Blickt zuversicht­lich voraus: Olaf Scholz beim Tag der offenen Tür der Bundesregi­erung im Finanzmini­sterium.

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