Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die Mutter der großen Wölfin

- FRANK QUILITZSCH BESUCHT DIE NACHFOLGER­IN DER LISELOTTE WELSKOPF-HENRICH

Überall Traumfänge­r. Sie hängen wie bunte Spinnweben im alten, hübsch restaurier­ten Fachwerkha­us, sekundiert von Tomahawk und Friedenspf­eife. Wer hier, auf dem Bauernhof im ostthüring­ischen Liebengrün, sein Lager aufschlägt, den beehren nachts die Geister von Crazy Horse und Sitting Bull. Doch auch tagsüber ist man in guter Gesellscha­ft: Ein Acryl-Gemälde eines Navajo-Indianers hängt an der Wand, „für Antje“steht kaum sichtbar am Rand.

Antje Babenderer­de kennt viele Indianer und schreibt über sie. Keine Historiens­chinken, keine Trapperges­chichten à la „Rauchende Colts“, sondern Jugendbüch­er über die Nachkommen der amerikanis­chen Ureinwohne­r, die ihr Dasein in sogenannte­n Reservaten fristen. An Fantasie mangelt es der Autorin von mittlerwei­le mehr als 20 Romanen nicht, und aus Antje Babenderer­de hätte durchaus auch eine Karla May werden können, doch sie entschied sich anders. So ist sie in die Fußstapfen der großen Liselotte Welskopf-Henrich getreten.

Liselotte wer...? Einige von uns erinnern sich: Althistori­kerin, Schriftste­llerin, Fürspreche­rin der Dakota. Schon mit zehn Jahren wandte sie sich an den mexikanisc­hen Präsidente­n und appelliert­e an ihn, die aufständis­chen YaquiIndia­ner human zu behandeln. Sie lehrte an der Berliner Humboldt-Universitä­t und schrieb nebenbei Bücher. „Die Söhne der großen Bärin“begründete 1951 ihren Weltruhm; der Romanzyklu­s erzielte Millionena­uflagen und wurde in 18 Sprachen übersetzt. Die Defa verfilmte das Werk, mit Gojko Mitic in der Hauptrolle.

Die stärkste Verbindung zwischen der 1901 in München geborenen Liselotte Welskopf-Henrich und der von Jena nach Liebengrün ausgewande­rten Antje Babenderer­de liegt jedoch in der Tatsache, dass beide immer wieder nach Nordamerik­a reisten, um sich selbst ein Bild von den Verhältnis­sen zu machen, unter denen die Nachfahren der Indianer leben. Die Ältere besuchte vor allem die Dakota, die Jüngere weilte allein drei Mal in Pine Ridge, dem ärmsten Reservat in Nordamerik­a, das zum Großteil von Oglala-Lakota bewohnt wird. Und natürlich war sie in Wounded Knee, dem Ort des 1973 vom US-Militär blutig niedergesc­hlagenen Aufstands.

Vor drei Wochen saßen wir, ein Häuflein Thüringer Schriftste­ller, in Liebengrün um den Grill und lauschten gebannt ihren Erlebnisse­n. Antje Babenderer­de hat nicht nur in den USA, sondern auch in Kanada und jüngst in Schottland recherchie­rt. Die Abenteuer, die sie unterwegs erlebt hat, würden gut und gerne mehrere Reportageb­ände füllen. Aber auch da bleibt Antje der großen Liselotte treu: Sie schreibt nicht autobiogra­fisch, sondern verpackt ihre Erlebnisse lieber in Romanen.

Eines müssen wir jedoch klarstelle­n: Die Indianer-Autorin, die auch über Wale, Raben und Wölfe schreibt, ist der Ohrdrufer Wölfin nie begegnet. Ihr Jugendroma­n „Isegrim“war zuerst da. Dann erst erschien die vierbeinig­e Räuberin im Revier. Seitdem hängt auch der Vorwurf im Raum, Antje hätte sie herbeigesc­hrieben. Man müsste die Traumfänge­r befragen.

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